#Blogging

Google für alle

von , 17.5.09


Vor Google gibt es kein Entkommen. Wenn wir nach einer neuen Wohnung, einem neuen Auto oder einer neuen Liebe suchen, wenn wir bei uns irgendeine Krankheit vermuten, ein Kochrezept brauchen oder in den Urlaub fahren wollen, fragen wir: Google. Google ist im Netz omnipräsent, Google hat ein Quasi-Monopol. Genau deshalb werden auch immer mehr Unkenrufe laut, man müsse sich vor der Datenkrake in Acht nehmen. Und jetzt macht uns ein amerikanischer Professor auch noch den Vorschlag, man soll sich genauso verhalten wie Google. Geht’s noch?

Doch halt. „Was würde Google tun?“ ist kein Buch über Google. Es ist viel mehr ein Buch darüber, wie das Internet unsere Welt verändert hat und was man von Google lernen kann. Wie das geht, erklärt einem unterhaltsam, informativ und auch noch verständlich der New Yorker Medienexperte Jeff Jarvis.

In der Medienbranche ist Jarvis bekannt wie ein bunter Hund, auch wenn er wohlerzogene schlohweiße Haare hat. Er ist als einer der einflussreichsten Personen des Weltwirtschaftsforums in Davos gelistet, der Verleger Hubert Burda hört ihm gerne aufmerksam zu und die britische Zeitung Guardian schmückt sich mit einer Jarvis-Kolumne.

Die nur leicht wuschelige Frisur und der gepflegt gestutzte Bart lassen den Professor für interaktiven Journalismus rundum symphatisch erscheinen. Der wache Blick durch die dünnen Kunststoffgläser seiner Brille verrät: Jarvis ist freundlich, aber nicht gemütlich. Im Gegenteil. Jeff Jarvis bringt die Sachen auf den Punkt – und manchmal scharf. Der ehemalige Reporter und jetztige Blogger hat eine besondere Fähigkeit, Beobachtungen gezielt auf ein gut sitzendes Schlagwort zuzuspitzen. Google-optimiert, sozusagen.

Wie Google das Wirtschafsleben verändert hat, demonstriert Jarvis an seinem Blog Buzzmachine. 2005 hatte er sich einen Dell-Computer gekauft. Unzufrieden mit dem ständig kaputten Gerät und genervt davon, von der Firma in Service-Warteschleifen zwischengeparkt zu werden, brachte er mit dem Blogeintrag „Dell nervt“ seinen Unmut zum Ausdruck. Er beschrieb sein Elend mit dem teuer bezahlten Wartungsservice und dutzende, hunderte und schließlich tausende von Menschen schlossen sich Jarvis Meinung an. Suchte man bei Google nach „Dell“, erschien sein schimpfender Beitrag schon bald nur wenige Positionen hinter der offiziellen Website der Firma. Dell hatte ein Problem.

Lange versuchte die Computerfirma, die Meinungen ihrer Kunden im Netz zu ignorieren. Man zog sich auf die Position zurück, wenn jemand etwas von Dell wolle, beispielsweise sich beschweren, dann solle man das nicht im Netz auf Blogs herumposaunen, sondern sich gefälligst an die Dell-Website wenden. Außerdem: Wer lese schon Blogs? Na eben.

Auf die Dauer ließ sich das Geraune jedoch nicht ignorieren. Das Image war zerkratzt und dieser Kratzer wurde groß und größer. Zum Riss. Dell geriet unter Druck, da sind Risse nie gut. Nach einem knappen Jahr änderte die Firma deshalb ihre Haltung. Jetzt kontaktierten Dell-Techniker Blogger, die über ein Dell-Computerproblem berichteten, um ihnen zu helfen. Mit positiver Ressonanz: Im Netz erntete man dafür lobende Worte und lichte Begeisterung. Die Kunden fühlten sich ernst genommen – und sagten es weiter. Dells negative Berichterstattung schlug nicht nur in positive um, die Firma hatte verstanden, wie man im Internet-Zeitalter operiert.

An Beispielen wie diesen erklärt Jeff Jarvis anschaulich, was sich durch Google verändert hat. Denn früher blieb es großen Organisationen vorbehalten, mit viel Aufwand Millionen von Leuten zu erreichen – über Werbung oder Veröffentlichungen in Medien. Seit dem Internet und dank Google ist das anders. Jeder Eintrag im Internet kann potentiell Millionen von Zugriffen haben – wenn er über Google abgefragt wird. Und jeder kann mit seinem Wissen etwas beitragen. Märkte sind Gespräche, heißt es so schön im Internet-Manifest Cluetrain. Und das ändert alle Bereiche, die mit Kommunikation zu tun haben. Also eigentlich alles.

Jarvis Buch arbeitet Stück für Stück heraus, was durch das Internet und Google anders geworden ist. Dass ein Unternehmen sich heute nicht mehr nur um die Meinung der Presse, sondern auch um die Meinung seiner Kunden bemühen muss – und von ihnen lernen kann. Dass man Fehler nicht mehr leise, still und heimlich unter den Tisch fallen lässt, sondern damit offensiv und transparent umgeht. Und dass man sein Produkt nie ängstlich einzäunen sollte, sondern besser versucht, an so vielen Stellen wie möglich präsent zu sein. Vernetzt.

Auch auf Zeitungen sieht Jeff Jarvis große Veränderungen zu kommen. Keineswegs glaubt er, dass der Journalismus verschwinden wird, doch die Zeitung der Zukunft begreift Jarvis als Netzwerk. Neben dem Recherchieren und Schreiben von Artikeln, sichtet die Redaktion der Zukunft das Internet und findet unter ihren Lesern Experten. Jarvis ist davon überzeugt: Zeitungen schreiben nicht mehr für Leser, sondern arbeiten mit ihren Lesern zusammen.

„Was würde Google tun?“ macht einem also nicht nur deutlich, wie sich die Welt verändert hat, sondern konkretisiert auch für die verschiedensten Bereiche, wie man damit umgehen kann. Als Anregung überzeugt das. Interessant ist jedoch, dass Jarvis Konzept offensichtlich seine Grenzen hat. Denn sein eigenes Nachrichtenprojekt Daylife.com, befolgt all diese Regeln und hat es dennoch nicht zu großem Erfolg im Netz geschafft. Was nicht gegen das Buch spricht. Wahrscheinlich ist es mit den Netzregeln so, wie mit dem Komponieren eines Tophits. Sie erscheinen einem so einfach – und doch gelingt es wenigen, sie zu schreiben. Dennoch, es gibt neue Regeln. Und das Buch von Jarvis hilft, sie zu verstehen.

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