#Netzpolitik

Urheberrecht 4.0 oder untauglicher Versuch?

Diskussionsstand und -kultur um den Urheberrechts- und Verwertungsschutz digitaler und/oder digitalisierter Werke zeigen deutlich, wo wir in Europa und in Deutschland stehen.

von , 20.2.19

1. Der Anlass

Seit einigen Tagen nehmen die Debatten zum Vorschlag für eine neue EU-Richtlinie zum Urheberrecht erheblich an Fahrt auf. Seit 2016 wird europaweit über die rechtliche Verankerung von Schutzrechten geistigen Eigentums debattiert. Im Januar scheiterte ein erster Entwurf, nun meldete die Europäische Kommission am 13.02.2019, man habe im Trilogverfahren (also zwischen Europäischem Parlament, Ministerrat und Europäischer Kommission) einen Kompromiss gefunden. Die Diskussionen waren und sind insbesondere auf zwei Themen fokussiert: Betreiber von Internetseiten benötigen künftig Lizenzen für auf ihren Seiten veröffentlichte Beiträge und die Betreiber müssen zudem prüfen, ob eine Veröffentlichung nicht gegen das Urheberrecht verstoßen würde.

In der Medienlandschaft Deutschlands wird dieser Kompromiss höchst unterschiedlich bewertet.

Während die FAZ vom »Sieg über die Digitalkonzerne« spricht und den Entwurf als »Paradebeispiel für die Art, in der im vereinigten Europa Politik gemacht wird« [1], feiert, sieht ZEIT ONLINE den »Aufbruch ins unfreie Internet” gekommen [2].

Diskussionsstand und -kultur um den Urheberrechts- und Verwertungsschutz digitaler und/oder digitalisierter Werke zeigen deutlich, wo wir in Europa und in Deutschland stehen. Am Beispiel des Art. 13 des EU-Verordnungsentwurfs heißt das vor allem:

– Es wird eine Rechtssicherungserwartung aus dem analogen Zeitalter explizit auf die digitale Welt übertragen – so als handele es sich lediglich um ein kleineres »technisches Problem«, das mit den entsprechenden Instrumenten schon in den Griff zu bekommen sei (so explizit der EU-Berichterstatter Axel Voss) und dann wird der analoge Rechtsanspruch auch in der digitalen Welt erfüllt.

– Diese Rechtssicherungserwartung wird in ein Gesetz, in eine Verordnung, in eine Richtlinie gepackt und dann von Menschen diskutiert und entschieden, denen das technische Verständnis für die dahinter liegenden Prozesse in der Regel (ganz oder teilweise) fehlt. Das gilt für Juristinnen und Juristen in gleicher Weise wie für Politikerinnen und Politiker.

– Technisches Verständnis, welches über die Erstellung eigener Werke hinausgeht, fehlt oft auch den betroffenen Urheberinnen und Urhebern. Diese Urheberinnen und Urheber spalten sich nochmal in zwei Gruppen: die »Erst-Urheber*innen«, also die, um deren Werke es geht (Filme, Videos, Texte, Bilder, Musik) und diejenigen, die nicht lediglich das Erstwerk verbreiten, sondern es umgestalten, neu bearbeiten, verfremden und/oder es in ihrem eigenem Werk sonst verwenden (Remix).

– Betroffen sind hier zudem nicht nur die Urheberinnen und Urheber, sondern die Betreiber von Internetseiten und Plattformen. Auf diesen Seiten und Plattformen (z.B. Google, Youtube, Facebook) wird durch das Einstellen von Werken, liken, das Ansehen und entsprechende Werbungen sowie Datenabgriffe (auch) Geld verdient. Insbesondere wenn es sich um Plattformen handelt, steht eine beachtliche wirtschaftliche und auch medientatsächliche, meinungsmachende/meinungsbildende und trendsetzende Macht dahinter.

– Die potentiell bereits jetzt erwarteten technischen Umsetzungsschwierigkeiten werden – auch in der medialen Debatte – nicht der Qualität und Lösungseffizienz der Verordnung zugerechnet, sondern der mangelnden Innovationsfähigkeit der Betroffenen[3].

2. Worum es geht

1. Individuen möchten den Urheberrechtsschutz und die damit verbundene finanzielle Verwertung ihrer eigenen Werke sicherstellen.

2. Individuen nutzen für die Verbreitung ihrer Werke das Netz. Dritte laden – ohne den Urheber zu fragen – deren Inhalte im Netz hoch, gern auf Plattformen.

3. Die Betreiber von Seiten und Plattformen können sich derzeit exkulpieren, da sie die Sicherstellung des Urheberrechtsschutzes an den adressieren, der Inhalte auf diese Seiten hochlädt.

4. Technisch scheint es (derzeit noch) nicht möglich, das Herunterladen oder Kopieren digitaler oder digitalisierter Inhalte oder das erstmalige Erstellen von Inhalten, die später zur Urheberrechtsverletzung genutzt werden (z.B. Fotos, Videos auf Konzerten), fast komplett zu verhindern.

5. Es scheint zudem tatsächlich und rechtlich schwierig, auch bestimmte andere Vorformen späterer Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden (z.B. durch ein Verbot von Handys auf Konzerten oder eindeutig einem Handy/einer Kamera oder einer Internetadresse zuzuordnende Foto-ID).

6. Für den einzelnen Urheber scheint es sowohl technisch (eineindeutige Informationen: wer, wann, wo, wie, was?) als auch vom Aufwand her (wie viele) sowie rechtlich (Beweislast, Fristen und finanzielles Klage-Risiko etc.pp.) schwierig, erfolgreich gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen.

7. Technisch scheint es ebenfalls schwierig, Instrumente zu entwickeln, die Urheberrechtsverletzungen eindeutig identifizieren könnten. Derzeit wird z.B. Filtern angelastet, dass sie die erwarteten Funktionen nicht und/oder nicht im erforderlichen Umfang bringen können.

8. Ein weiteres Argument ist, dass Filtertechnik so »grob« ist oder werden wird, dass jegliche Kreativität dadurch von vornherein herausgefiltert wird und so im Netz nicht mehr viral gehen kann. Ähnlich wird beim »Overblocking« argumentiert. Ein wesentlicher identitfikationsstiftender Teil der Netzkultur würde so auf einmal verschwinden.

9. Zudem unterscheidet ein Filter nicht zwischen legaler und rechtswidriger Verwendung, da auch diese Unterscheidung technisch noch nicht großflächig umsetzbar ist.

10. Weiter wird angeführt, dass – sollten Filter die Technik der Wahl sein – die Kosten so hoch sind, dass diese Kosten den Markteintritt neuer Anbieter behindern könnten.

11. Die derzeit diskutierten Ausnahmeregelungen für die Verwendung von Filtersystemen zeigen weiter, dass unklar ist, wo die rechtlichen Grenzen zwischen kommerziellen, nicht-kommerziellen und privaten Seiten verläuft/verlaufen soll.

12. Zudem wird befürchtet, dass die Filter-Technik nicht nur für urheberrechtliche Zwecke eingesetzt wird, sondern z.B. zur Inhaltskontrolle auch bei Meinungsäußerungen etc.pp. (Filter zur Zensur).

13. Von der Seite derjenigen, die die potentielle Urheberrechtsverletzung begehen, wird u.a. vorgebracht, dass es bei der Verwendung fremder Inhalte auch um die Erstellung neuer Inhalte gehen kann (z.B. Satire-Video, Memes, Mashups, verfremdete Kunst).

Deutlich sichtbar wird, dass es bisher zu wenig Auseinandersetzung mit den eigentlich zugrunde liegenden rechtlichen Themen gegeben hat. Es wird als zu selbstverständlich vorausgesetzt (oder still gehofft?), dass das Urheberrecht der »alten analogen Welt« sich per Normen auch in die »neue digitale Welt« übertragen und sichern lässt. Leider zeigt sich, dass nicht nur die schon bisherigen Lücken und unbefriedigenden Lösungen noch deutlicher zu Tage treten und immer weniger lösbar werden. Hinzukommen aber – und das scheint der am Ende relevante Punkt zu sein – Herausforderungen der neuen Welt, die sich in der alten in dieser Weise nicht stellten: z.B. die Frage nach dem Umgang mit wenigen monopolistischen Plattformen an sich (viele Rechtsfragen sind auch unabhängig von Urheberrechtsfragen völlig offen), die Frage nach grenzüberschreitenden, nur noch virtuellen Geschäftsmodellen oder nach dem Umgang mit Schatten-/Parallelstrukturen im Netz. Ungeklärt sind zudem schon bisher z.B. das »Recht auf Remix« und der Umgang mit Gewinnen von Plattformen, auch jenseits einer (wenn vorhandenen) Unternehmensbesteuerung.

In einer digitalen Welt ist zu fragen, ob es ein »Recht auf Netzkultur« gibt und falls ja, wie sich das äußert. Ist »das Internet« mehr als nur eine digitalisierte Abbildung der analogen Welt, wird dieser »Mehrwert« jedenfalls sicher nicht durch lediglich digitalisierte analoge Regeln reguliert oder abgesichert.

Zum anderen fehlt es an einem ausgewogenen Dialog zwischen »Recht« und »Technik«. Dialog setzt zum einen Verständnis voraus und zum anderen auch den Willen, gemeinsame Ziele erreichen zu wollen. Bei allem Respekt vor guten handwerklichen juristischen und politischen Fähigkeiten: haben wir in den Entscheidungsebenen ausreichend relevante Kenntnisse und Einblicke in die technische Seite? Können »Nicht-Techniker« Vorstellungen über mögliche Umsetzungsalternativen entwickeln oder wenigstens kompetent bewerten? Zeichnet die Technik Linien vor, die quasi »unumkehrbar« nur den einen unvollkommenen regulativen Weg ermöglicht, um überhaupt ein Mindestmaß an Kontrolle zu sichern? Haben die »Techniker« überhaupt ein Interesse an Regulierung?

Erheblich »mitbetroffen« sind zudem ethische Fragen: Ist alles erlaubt, was technisch möglich ist? Wie lässt sich Teilhabe und Informationsgerechtigkeit ermöglichen und absichern: »Die digitale Vernetzung verändert abermals die Rahmenbedingungen der zum Teil über Jahrhunderte gewachsenen gesetzlichen und moralischen Regelungen im Umgang mit Schrift, Bild und Ton.«[4] Sind die Veränderungen disruptiv oder lediglich evolutionär?

Es gibt kaum eine Vorstellung davon, wie mittel- und langfristig der Weg zu dem Ziel, den Urhebern eines Werkes ihre Rechte zu sichern und die Verwertung des Werks zu ermöglichen, aussehen soll. Ist der tradierte Urheberrechtsschutz die »richtige Antwort« in der digitalen Welt oder lediglich ein »Übergangsszenario«? Muss die finanzielle Verwertung zwingend an die Urheberschaft geknüpft sein? Ist die technisch eineindeutige Kennzeichnung von digitalen oder digitalisierten Werken möglich und verträgt sich dies mit unseren Vorstellungen zum Datenschutz? Bedarf es eines »öffentlich-rechtlichen Internets«?

Ungeklärt ist ebenso die Frage, ob KI – Künstliche Intelligenz – ein Teil der Lösung darstellt und/oder Teil des Problems wird [5]: einerseits kann KI helfen, Schutzrechte zu erkennen, zu prüfen und zu »filtern«, und andererseits ist nicht KI aber auch möglicherweise selbst betroffen – als Urheber*in geistigen Eigentums? Wie geht man mit dem Thema Data- und Text-Mining um (und dies nicht nur wettbewerbsrechtlich)? Insgesamt herausfordernd ist in jeder dieser Fragestellung die (Nicht-)Flexibilität des Datenschutzes.

3. Wie also weiter?

Dass der derzeit gefundene Kompromiss auf Ebene der am Trilog Beteiligten noch ernsthaft in Frage gestellt wird, scheint wenig wahrscheinlich.

Ein solch politischer Kompromiss, mag ein taugliches Befriedungsinstrument sein, auch, um das Thema in der Kontroverse zu entschärfen. Er kann einen Lernprozess auslösen, denn aus Sicht der Autorin scheint es sich um ein mindestens schon mittelfristig untaugliches Instrument zu handeln.

Es ist notwendig, sich die technischen Prozesse der Zukunft wenigsten kreativ vorstellen zu können – auch das, was künftig eigentlich ein Werk und wer der oder die AutorIn ist/sein kann. Auch die Frage, was kann, wird und soll KI an »geistigen Leistungen/Werken« beitragen und wie steht es dort um die »Urheberschaft« ist mitzudenken[6].

Die Vernetzung, der unmittelbar zur Verfügung stehenden Pool an digitalen oder digitalisierten Produkten, die unendliche Reproduzierbarkeit und tatsächlich mannigfaltige Reproduktion wird einen anderen, größeren Druck auf das Thema »Urheberrecht« auslösen, als bisher. Das muss zwingend zu anderen Ansätzen in der Frage des Schutzes von geistigem Eigentum und der Verwertbarkeit eigener geistiger Leistung führen.

Vielleicht trägt aber auch die derzeitige (immer noch recht kleine) Welle des Interesses am Thema »EU-Urheberrecht“ zu einer größeren Sensibilisierung für den Urheberrechtsschutz 4.0 bei. Das wäre zu wünschen, denn die derzeitigen Kontroversen um den Kompromiss sind Spiegelfechtereien, die zwar die Öffentlichkeit kurzzeitig zu unterhalten vermögen, aber im Ergebnis an den Herausforderungen der digitalen Welt vorbeigehen.

[1] FAZ, Michael Hanfeld: Sieg über die Digitalkonzerne, 15.02.2019, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/urheberrecht-ein-sieg-ueber-die-digitalkonzerne-16041769.html

[2] Zeit Online, Lisa Hegemann: Aufbruch ins unfreie Internet, 14.02.2019; https://www.zeit.de/digital/internet/2019-02/eu-urheberrecht-leistungsschutzrecht-uploadfilter-europaeisches-parlament

[3] „Sind diese Filter nicht in der Lage, rechtmäßige Inhalte durchzulassen, ist das nicht dem europäischen Gesetz anzulasten, sondern der fehlenden Fertigkeit (etwa) eines Konzerns (…)“. FAZ, Hanfeld, aaO, 15.02.2019

[4] Capurro, Rafael: Das Internet und die Grenzen der Ethik, 1998/2000; http://www.capurro.de/rath.htm

[5] https://netzpolitik.org/2018/wie-die-eu-urheberrechtsreform-die-entwicklung-kuenstlicher-intelligenz-bedroht/

[6] z.B. der Porträtdruck „Edmond de Belamy“, https://www.wbs-law.de/urheberrecht/kunstwerk-durch-kuenstliche-intelligenz-urheberrechtlich-geschuetzt-79134/

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