#Die Linke

Was steckt hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen?

von , 2.4.18

Grundeinkommen oder Grundlohn-Ideen haben richtig Konjunktur. Die am weitesten ausgreifende Idee wird von einer Gruppe um die Linken-Vorsitzende Katja Kipping vertreten.

Katja Kipping und deren Mitstreiter wollen pro Jahr 980 Milliarden Euro, also knapp eine Billion Euro, als sogenannten leistungslosen Grundlohn auszahlen lassen; und zwar an jede Bürgerin und jeden Bürger gleichgültig, ob jemand Millionär ist oder unter einer Brücke schläft, ob jemand arbeitet oder nicht. Unterschiedslos.

Finanziert werden soll dieses Grundeinkommen an alle durch eine spezielle Steuer von rund 33 Prozent, außerdem durch eine Reichensteuer von 2,5 Prozent und eine Säulen-Einkommensteuer zwischen fünf und 25 Prozent. Also drei Quellen: Alle Erwachsenen, echt reiche Leute, alle Arbeitenden. Hinzu kommen Sozialabgaben. Die Rentenversicherung würde weniger kosten, da Grundeinkommen auch allen alten Menschen gezahlt werden soll.

Die Steuer- und Abgabenquote läge je nach Einkommen zwischen 50 und 70 Prozent. Ich sage dazu: Das ist sehr, sehr vorsichtig gerechnet, die Quote kann in der Spitze auch über 70 Prozent liegen. Der Grundlohn soll vom zu versteuernden Erwerbseinkommen abgezogen werden, so dass ein echtes Netto- wie Brutto- Grundeinkommen bei nicht Arbeitenden entstünde.

Von knapp einen Billion müssten nach diesem Konzept 860 Milliarden Euro neu finanziert werden. Die Differenz zwischen 980 und 860 ergibt sich aus der Streichung von Leistungen wie Kindergeld und Wohngeld, Sozialhilfe, Grundsicherungen etc. Ausgezahlt würden an jeden und jede 1080 Euro, an Heranwachsende und Kinder unter 16 Jahren 540 Euro.

Zurzeit beträgt der Staatsverbrauch in Deutschland etwa 1,3 Billionen Euro. 70 Prozent des gesamten Staatsverbrauchs entfielen nach heutigem Stand somit auf das Grundeinkommen. Zinsen auf die Staatsschulden, Investitionen des Staates in die Infrastruktur, Mittel der Wirtschaftsförderung, Gehälter der Staatsbediensteten, Pensionen, Renten und Pflege würden über die restlichen 30 Prozent finanziert werden müssen.

Alle weiteren Spielarten des sogenannten bedingungslosen Grundeinkommens bewegen sich zwischen dem Kipping-Konzept (das in der Partei die Linke keine Mehrheit hat) und der heutigen Grundsicherung im Alter und bei Arbeitslosigkeit.

Es gibt andere Modelle des Grundeinkommens, die nicht so konsequent sind, die auf bestimmte Gruppen gemünzt und die an geleistete Arbeit geknüpft sind.

 

  1. Eine Möglichkeit wäre, den etwa 200 000 nicht in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt Vermittelbaren, die in Behinderten- Werkstätten Nützliches tun, ein Grundeinkommen zu bezahlen, das die heutige Grundsicherung und anderes ersetzt und so den Behinderten unseren Stolz auf deren Leistung und auch Anerkennung signalisiert. Das würde auch die Betroffenen auf sich und ihre Arbeit stolz machen. Leider wird an diese naheliegende Möglichkeit kaum gedacht.
  2. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, ein bei den Kommunen angesiedeltes Beschäftigungsprogramm auf den Weg zu bringen, in dem jene Frauen und Männer „aufgehoben“ wären, die aus Altersgründen, wegen fehlender Qualifikation und/ oder eingeschränkter Gesundheit keine Chancen mehr auf dem sogenannten freien Arbeitsmarkt mehr haben. Auch die erhielten ein Grundeinkommen. Für sie wäre nutzbringende, mit einem sicheren Einkommen verbundene Beschäftigung in einer Kommune eine Erlösung. Arbeit gäbe es genug.
  3. Langzeitarbeitslose brauchen Sicherheit über heute gebotene Eingliederungsprogramme hinaus (ein Jahr einarbeiten, ein Jahr Zufriedenheit und im dritten Jahr Sorge und Furcht wegen der ungesicherten Zukunft). Eine dem Grundeinkommen ähnliche, länger als drei Jahre aber nicht unbegrenzt zu zahlende Leistung an Langzeitarbeitslose, das wäre etwas, über das wenigstens nachgedacht werden sollte.
  4. Gescheit wäre, ein solches Grundeinkommen jenen zu bezahlen, die kontinuierlich und mit hohem persönlichem Zeitaufwand die eigentlich ehrenamtlich angelegten, dringend erforderlichen Vereine und Gemeinschaften am Laufen halten. Sportvereine, Tafeln, kirchliche Einrichtungen und anderes mehr brächen zusammen, wenn Frauen und Männer nicht Woche für Woche Einsatz zeigten. Deren Status heißt Ehrenamt, sie arbeiten wie Profis. Ein Zuschlag für jene, die Grundsicherung erhalten und ehrenamtlich tätig sind, wäre eine Ergänzung hierzu.

 

Bereits diese nur skizzenhaft angeführten Lösungswege würden eine Umverteilung nach sich ziehen, wie es sie bisher nicht gegeben hat. Wichtig sind die diesen Wegen innewohnende Problemlösungen: Sie arbeiten Defizite auf, sie haben einen materiellen und einen ideellen beziehungsweise moralischen Aspekt. Allerdings: Wirksame Strategien gegen künftige Arbeitslosigkeit struktureller Art weisen Grundeinkommens-Modelle nicht oder nur eingeschränkt auf.

Das Kipping-Modell kommt daher wie ein Perpetuum mobile. Einmal durchgesetzt soll es laufen und laufen und Armut und Unzufriedenheit sollen schwinden. So kann man sich die entsprechende Suggestion vorstellen.

Wer mehr tun will, als zunächst einmal an der Fata Morgana einer Oase mit köstlich frischem Wasser und prall vollen Dattelhainen mitten in der Wüste mit zu malen, der muss die Quellen neu entstehender struktureller Arbeitslosigkeit verstopfen – und zwar die Quellen, gegenüber denen der Staat tatsächlich etwas tun kann. Das ist vor allem die berufliche Bildung: Angesichts des Zustandes und der Ausstattung vieler Berufsbildungszentren wartet da eine Herkulesaufgabe. Die Aufgabe kostet Geld. Viel Geld. Das ist eine Aufgabe, die der Errichtung und dem betrieb der Kitas vergleichbar ist.

Dort, in den Schulen der beruflichen Bildung wird entschieden, ob Beschäftigte unter Bedingungen digital gesteuerter Entwicklung, Dienstleistung, Produktion und Verteilung mithalten können. Das wird viel Geld kosten und Anstrengung und den Willen, zu lernen, sich anzupassen, Neues hinzu zu packen, sich zu konzentrieren, nicht aufzugeben sondern wieder und wieder neu zu beginnen.

Die Modernisierung der beruflichen Bildungsstätten ist verbunden mit der Revitalisierung der traditionellen Auffassung von Arbeit. Das ist das Gegenteil dessen, was im voraussetzungslosen Grundeinkommen angelegt wäre. Das ist auch das Gegenteil dessen, was die Digitalministerin Dorothee Bär meint: Schüler bräuchten nur noch ein Tablet, die Sportklamotten und ein Pausenbrot, mehr nicht. Und: „Es gibt für Kinder tolle Lern-Apps mit schönen Illustrationen oder Tierstimmen. Wenn ein zweijähriges Kind sich so etwas für fünf Minuten anschaut, ist das kein Problem.“

Hört sich toll an, ist freilich Kappes.

Es ist etwas anderes, das mich unruhig werden lässt angesichts der Grundeinkommens-Diskussion. Das sind die Fragen, wie ein künftiger Staat beschaffen wäre, der das Perpetuum mobile kontrolliert. Bürgernähe wäre überflüssig. Werden noch durch unterschiedliche Erfahrungen und Können standfeste Menschen benötigt? Gibt es noch Reformen? Was würde aus unseren heutigen zivilisatorischen Standards? Benötigt Kreativität gesellschaftliche Widersprüche, auch Ungerechtigkeiten, Streit um „Soll und Haben“, um sich zu zeigen? Ich fürchte nämlich, dass hinter der Idee des bedingungslosen Grundeinkommen am Ende etwas steckt, das die Befürworter dieses Grundeinkommens jetzt neoliberal nennen.

 

Nach einem riesigen Umbau der Verteilungsinstrumente und nach dem Ende der dazu gehörenden Auseinandersetzungen dürfte der handlungsbereite und sozial wache, demokratische Staat allmählich überflüssig werden, wie nach harter Arbeit einschlafen. Was soll er denn noch tun?

 

Die strategische reformistische Linie war doch immer: Wir schaffen kollektive Rechtsansprüche für individuelle Lebenslagen, die Nachteile in sich bergen. Das war das Erfolgsmodell. Beispiel: Der Rechtsanspruch auf Rente (Kollektivrecht) wurde ergänzt durch einen Nachteilsausgleich in individuellen Lebenslagen (der Individualanspruch der Mütterrente). Fünf Grade der Pflegebedürftigkeit und anderes. Der Rechtsanspruch auf Rente ist so stark wie das grundlegende Recht auf Eigentum. Kollektives Recht macht gleich und stärkt zugleich den Einzelnen. Das hat aber Bedingungen!

Die erste: Es muss ein dauerhaft handlungsbereiter, starker Rechtsstaat da sein.

Die zweite: Dieser Staat schafft Raum schafft für Selbstverwaltung und Entscheidungsspielräume.

Die Dritte Bedingung: Reformistische Parteien „auf der Höhe der Zeit“, die sich auf Kontinuität und Änderung verstehen. Auf beides gleichzeitig und gleichgewichtig.

Die Vierte: Bündnis- und Koalitionsfähigkeit.

Grundeinkommensgesellschaften benötigen das alles nicht. Nach einem riesigen Umbau der Verteilungsinstrumente und nach dem Ende der dazu gehörenden Auseinandersetzungen dürfte der handlungsbereite und sozial wache, demokratische Staat allmählich überflüssig werden, wie nach harter Arbeit einschlafen. Was soll er denn noch tun?

Ich vermute, dass solche Gesellschaften am Ende auch keine repräsentative Demokratie mehr benötigen, denn das „Mobile“ läuft ja. Der Sinn dieses Mobile ist nicht wie weiland bei Thomas Spencer die Beseitigung von Armut, sondern der Sinn ist, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Sicherung der Existenz nicht mehr den Einsatz der eigenen Existenz erfordert. Es überrascht mich nicht, dass überzeugte Marxisten auf Abstand bleiben, weil sie vermuten, dass ein Ende manch treibender Widersprüche das Ende der Geschichte bedeuten könnte.

Grundeinkommensgesellschaften setzten, so vermute ich weiter, ihre Mission damit fort, Rechtsansprüche nach und einzukassieren, abzubauen, damit sie funktionieren. Da leben dann „Ameisen“ mit Abitur, Bachelor und institutionell geregelter Zufriedenheit. Der Staat des Grundeinkommens für alle ohne Arbeit wäre übrigens auch ein konfiskatorischer Staat.

Er geriete sofort in die von Peter Glotz immer wieder beschworenen Gefahr: Wer die Wahlfreiheit in der Gleichheit beseitigt, der muss historisch gewachsene Bürger- und Sozialrechte abbauen. Das kann, glaube ich, nicht unser Weg sein.

PS: Ich bin für eine breite Debatte der Grundeinkommens-Idee. Aber bitte ohne Scheuklappen und Illusionen.

 

 

 

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