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„Auf dem Weg in den totalitären Staat…“

von , 15.9.17

Medienkritik tut not. Viele Menschen glauben den Berichten nicht mehr, die von ARD und ZDF, von SPIEGEL Online, taz, der WELT oder der SZ publiziert werden. Doch welche Argumente sind gegen die Mainstream-Medien vorzubringen? Werden wir manipuliert und wenn ja, von wem? Der Autor  will Antworten liefern – mit seinem Sammelband „Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung“ (Westend-Verlag, 359 Seiten). 24 Autoren kommen zu Wort, zumeist Männer, darunter bekannte Namen wie der ehemalige ZDF-Journalist Ulrich Tilgner und Geheimdienst-Kritiker Erich Schmidt-Eenboom. Um es vorweg zu nehmen: Das Buch bleibt viele Antworten schuldig. Es stochert im Ungefähren. Es enthält Thesen, die nicht belegt sind. Und es spricht fragwürdige Empfehlungen aus.

Zunächst das Positive. Einige Autoren liefern Beachtenswertes. Professor Ulrich Teusch, Politikwissenschaftler und Hörfunk-Journalist, kritisiert die hiesige Berichterstattung über Russland. Er verweist auf das russische Parlament, die Duma, in der neben der Putin-nahen Partei „Einiges Russland“ drei weitere Parteien vertreten sind. „Die gelten als ‚System-Opposition‘, soll heißen: Sie sind gar keine richtige Opposition“, schreibt Teusch. „Das kann man so sehen. Aber warum legt man solch strenge Maßstäbe nicht an den (…) US-Kongress an? Wie verhält es sich dort mit der System-Opposition – und wo ist die anti-systemische Opposition?“ (Seite 52) Treffer. Dazu dürfte bei ARD, ZDF, SPIEGEL oder FAZ wenig zu finden sein. Ulrich Teusch stellt zudem fest, er könne in den Medienberichten zu den Duma-Wahlen 2016 kaum Unterschiede erkennen. „Auch mir missfällt vieles am russischen System (…), auch ich habe an den letzten Wahlen einiges auszusetzen. Was mich aber frappiert, ist, wieder einmal, die Einstimmigkeit im Mainstream.“ (S. 51)

Lesenswert sind auch die Erfahrungen von Ulrich Tilgner, Leiter des ZDF-Studios in Teheran von 2003 bis 2008. Er habe sich in seinen Möglichkeiten beschnitten gesehen, „das Scheitern des Westens und auch Deutschlands in Afghanistan aufzuzeigen“, berichtet Tilgner. „So wurde ich regelmäßig nach Bagdad geschickt, wenn ein Kollege aus Mainz in Afghanistan affirmative Berichte über den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch fertigte.“ (S.65) Später habe er erfahren, „dass ich im Auswärtigen Amt als nicht vertrauenswürdig und damit als nicht zu unterstützender Journalist gewertet wurde.“ (S. 65) Und: „In den Kriegen des Mittleren Ostens habe ich erlebt, wie die US-Streitkräfte Medien zum Bestandteil ihrer Kriegsführung machen konnten.“ (S. 67)

Zu den Pluspunkten zählt auch das Kapitel des Konfliktforschers Kurt Gritsch, der an den NATO-Militäreinsatz im Kosovo-Krieg von 1999 erinnert. Und an die vielen „NATO-freundlichen Berichte“ in diesem Zusammenhang. (S. 242) Der Journalist David Goeßmann zeigt auf, welche Mechanismen in Redaktionen wirken, er spricht von „Filter“. Zahlreich seien laut Goeßmann die Möglichkeiten der Eliten, ihnen genehme Berichterstattung zu belohnen – etwa durch das Gewähren von „Exklusivinterviews“ oder mittels „Einladungen oder Clubzugänge, lukrative Vertragsangebote, die Schaltung von Werbung, Pressereisen und so weiter.“ (S. 42) Abweichler würden bestraft – durch „Zugangssperren“ oder „Ausladungen aus Zirkeln“ bis hin zu „Anzeigenstornierungen“ und „Kampagnen“. (S. 42)

Jörg Becker, Politikprofessor in Marburg, präsentiert hingegen steile Thesen, die er nicht belegt. Er nimmt sich die Public-Relations-Industrie vor. „Konkret beherrschen vier gigantische PR-Verbundsysteme die gesamte Welt von Werbung, Public Relations, Medien und Consulting“, fasst Becker zusammen. Nun ist der Einfluss von PR-Strippenziehern zweifellos groß, aber beherrschen sie „die gesamte Welt“ der Medien? Jörg Becker bringt ein Beispiel aus den späten 1960er Jahren. Damals herrschte Bürgerkrieg in Nigeria, der zur Hungersnot in der Region Biafra führte. Einer Genfer PR-Agentur sei es gelungen, im Auftrag der Regionalregierung Biafras europäische Zeitungen mit Fotos von hungernden Kindern zu versorgen. (S. 183) So what? Soll dieser Fall etwa Manipulation aufzeigen? Becker erklärt zudem, dass auch viele Regierungen sich PR-Firmen bedienen, um Werbung in eigener Sache zu platzieren. So solle WMP Eurocom im Auftrag der türkischen Regierung „das Türkeibild in der deutschen Presse aufhübschen“. Ketchum Pleon wiederum habe die Aufgabe, „für die russische Regierung ein positives Russlandbild in den deutschen Medien herzustellen“. (S. 180) Und, Mission erfüllt? Diese Beispiele zeigen meines Erachtens eher, wie schnell die Millionen, die Regierungen in PR-Kampagnen stecken, mitunter verpuffen.

Überhaupt zieht sich ein düsterer Sound durch’s Buch. Weltuntergangsstimmung. Immer wieder ist von George Orwell die Rede. Von „Gedankenkontrolle“. Von „Organisationen, die im Verborgenen arbeiten“. Das einleitende Kapitel gipfelt in dem Satz „Unser Land ist mit großen Schritten auf dem Weg in den totalitären Staat.“ (S. 15) Hallo? Geht’s auch eine Nummer kleiner?

Medienkritik kommt aus höchst unterschiedlichen Lagern: Rechtspopulisten schimpfen pauschal auf „die Medien“. Linke kritisieren den Einfluss großer Medienhäuser, die sich im Besitz weniger reicher Familien befinden. Sie verweisen ferner auf den Informationskrieg zwischen den westlichen Ländern und Russland, nicht nur bei NATO-Ost-Erweiterung, Ukraine oder Syrien. Das bürgerliche Lager beklagt das flache Programm der Öffentlich-Rechtlichen und ein schrumpfendes Meinungsspektrum in den großen Zeitungen. Doch diese Unterscheidung findet im Buch zumeist nicht statt. Nur eine Handvoll Autoren hält es für angebracht, sich vom „Lügenpresse“-Geschrei der Pegida-Demonstranten und AfD-Wähler zu distanzieren. Stattdessen wird die Wahl von „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres 2014 zumindest indirekt gerügt. Insbesondere Herausgeber und Mitautor Jens Wernicke, der auch die Online-Plattform „Rubikon“ verantwortet, versucht offenbar, den Begriff zu retten. „Wer die Medien kritisiert, ist neuerdings rechts, insbesondere wenn er dieselben als ‚Lügenpresse‘ bezeichnet – meinen jedenfalls die Leitmedien“, schreibt Wernicke. (S. 324) „Das Pegida-Wort ‚Lügenpresse‘ ist natürlich ein Geschenk für jene, die fundierte Kritik auf Distanz halten wollen“, so der rechter Umtriebe unverdächtige Journalist David Goeßmann. (S. 31) Das sehe ich entschieden anders. Wir können sehr wohl die dumpfen Medienangriffe der Rechtspopulisten zurückweisen – und gleichzeitig das Unterschlagen wichtiger Themen brandmarken, die Quotenhörigkeit der Öffentlich-Rechtlichen kritisieren und den Einfluss von Verleger-Dynastien à la Mohn und Springer anprangern.

Kopfschütteln lässt mich, dass etliche Autoren die Leserinnen und Leser auffordern, „Alternativmedien“ im Internet zu nutzen – ohne auch nur ein Wort darüber zu formulieren, was dort an Ammenmärchen, Halbwahrheiten und Propaganda in die Welt posaunt wird. Selbst Walter van Rossum, ein kluger Journalist und Querdenker, stimmt in diesen Chor mit ein. Er hält das „mediale Improvisieren“ für „großartig“. „Wir basteln uns gerade – jeder auf seine Art – die Informationen zusammen, die wir brauchen“, so van Rossum. Er nennt das eine „Skizze der medialen Zukunft“. (S. 28) Mahnend äußert sich hingegen die Schriftstellerin Daniela Dahn. Sie erklärt, dass „alternative Medien“ nicht mit „alternativen Fakten“ verwechselt werden dürften. (S. 331)

Keine Berührungsängste mit „alternativen Fakten“ hat offenbar Markus Fiedler. Er ist Biologie- und Musiklehrer und stänkert per YouTube-Film gegen Wikipedia.1 Fiedler empfiehlt in seinem Beitrag allen Ernstes „NuoViso.TV“. Dieses „alternative Medium“ sei ihm „durch gut recherchierte Beiträge aufgefallen“, verkündet der Wikipedia-Kritiker. (S. 323) Wer diese knallbunte Webseite aufruft, stößt auf Schlagzeilen wie „Heilige Kuh Klimawandel“ oder die Meldung „Kennedy wurde Opfer des Deep State“, daneben eine Werbeanzeige des rechtslastigen Kopp-Verlags. Eva Hermann, die einstige Tagesschau-Sprecherin, die mit rassistischen Sprüchen um Aufmerksamkeit buhlte, kommt hier zu Wort. Und Markus Fiedler. Man kennt sich, man hilft sich. Auch Daniele Ganser, Historiker aus der Schweiz, singt das Loblied auf „alternative Medien“. Wen könnte er meinen? Ganser präsentiert sich gern bei KenFM, dem Webangebot des umstrittenen Ex-Radiomoderators Ken Jebsen. Der bekennt, dass er den kürzlich verstorbenen Udo Ulfkotte bewundert.2 Ulfkotte verfasste AfD-nahe Bücher wie „Die Asyl-Industrie“ oder „Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung“, erschienen im bereits genannten Kopp-Verlag. Neben Daniele Ganser treten drei weitere Autoren von „Lügen die Medien?“ bei KenFM auf. Dazu zählt der Kieler Psychologie-Professor Rainer Mausfeld. Daniele Ganser, Jens Wernicke und Ken Jebsen veröffentlichen zudem auf free21.org, einem weiteren „alternativen spendenfinanzierten Medienprojekt“. Free 21 gibt sich links, manches ist lesenswert. Doch finden sich hier Schlagzeilen wie „Unbekannte Warnungen vor einer Risiko-Technologie“ (gemeint ist der Mobilfunk) oder „Wer lockt mit Twitter Flüchtlinge nach Deutschland?“. Wer als Medienkritiker das große Wort führt, aber zu gewissen „Medienmachern“ keine Distanz hält, dessen Glaubwürdigkeit sinkt in meinen Augen auf Null.

 

 

(1) „Die Wikipedia ist (…) ein Machtinstrument, um die Meinung der Massen in die von den Eliten gewünschte Richtung zu lenken“, ist in Fiedlers Beitrag zu lesen (Seite 319).

(2) Jebsen schreibt in seinem Nachruf über Ulfkotte: „Mit ihm verlässt ein kritischer Geist die deutsche Medienlandschaft.“

 

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