#AP

Guter Journalismus ist ein teures Geschäft

von and , 12.7.17

Informationsbeschaffung, Recherche, das Trennen seriöser von unseriösen Informationen, die Kommentierung und Einordnung in einer komplexen, globalisierten Welt erfordern vielleicht mehr denn je gutes Handwerk. Zugleich, das wird an vielen Stellen deutlich, erodieren die lange bewährten und gelernten Geschäftsmodelle. Deshalb wird es, so unsere Überzeugung, keine Frage sein, ob Coopetition – die Zusammenarbeit im Wettbewerb – notwendig ist, um einer redaktionellen Verelendungsspirale zu entgehen. Die Frage ist vielmehr, welche Ausprägungen von Coopetition journalistisch sinnvoll und ökonomisch erfolgreich sein werden. Selbst große Medienhäuser werden in Zukunft nicht (mehr) alle journalistischen Felder mit der erforderlichen Tiefe beackern können. So zeigt etwa die als „Rechercheverbund“ gestartete Zusammenarbeit von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, trotz teilweise berechtigter Kritik am Zustandekommen und der Ausgestaltung der Zusammenarbeit, wie Kooperationen trotz Wettbewerbs oder besser im Wettbewerb, erfolgreich sein können.

Wettbewerb in Kooperation

Wie sich solche Zusammenarbeitsformen ausprägen, bedarf einerseits eines kontinuierlichen, auch kritischen Diskurses. Andererseits braucht es die Offenheit der Akteure, Scheuklappen beiseite zu legen. Denn es macht heute keinen Sinn mehr, die Entwicklungen allein aus der Perspektive eines kommerziellen Medienhauses oder einer beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt zu betrachten. Vielmehr gilt es, die Zukunft von journalistischer Arbeit systemübergreifend und ganzheitlich in den Blick zu nehmen. Unser Ansatz ist deshalb nicht ideologisch, sondern pragmatisch: Lieber ein exzellentes journalistisches Produkt aus einer Kooperation als ein mittel- mäßiges oder gar kein journalistisches Produkt.

Der Themenkomplex Vielfalt und Kooperationen muss wegen der Digitalisierung ohnehin neu gedacht werden. Denn die Nutzerinnen und Nutzer sind nicht mehr auf einige wenige Inhaltelieferanten angewiesen. Wer sich früher nur eine Tageszeitung leisten konnte, ist heute in der Lage, sich im Netz bei verschiedenen Medien zu bedienen. Hier schaffen sich die Nutzer ihre Vielfalt selbst und haben gar nicht mehr den Anspruch, dass jeder Anbieter alle Inhalte selbst erstellen muss.

Im Übrigen ist die Zusammenarbeit von Journalistinnen und Journalisten aus unterschiedlichen Bereichen wie auch das Aufbauen auf journalistischen Inhalten dabei überhaupt nichts Neues. Zwei Beispiele sollen dies illustrieren.

  1. Mit der Entwicklung der Zeitung zu einem Massenmedium im Verlauf des 19. Jahrhunderts wuchs etwa die Nachfrage nach Nachrichten. Keine Zeitung allein konnte diesen Bedarf befriedigen. Das legte den Grundstein für die Nachrichtenagenturen.
  2. Dass sich der Journalismus zur „zentralen Instanz für die Beobachtung der Gesellschaft“ (Weischenberg) entwickeln konnte, hat ursächlich mit der Etablierung professioneller, aufeinander abgestimmter Strukturen zu tun. Dazu zählt u. a. die Einrichtung von Redaktionen mit professionellen Journalistinnen und Journalisten und ihre spätere Binnendifferenzierung bzw. Spezialisierung. Sowohl die „Instanz“ Redaktion als auch die Nachrichtenagentur als Zulieferer könnten Blaupausen für künftige Kooperationssysteme sein.

Vorbild dpa

Es lohnt deshalb, sich etwas genauer mit der Struktur der Nachrichtenagentur dpa zu befassen. Wenn auch als GmbH 1949 gegründet, basiert die dpa – nach dem Vorbild der US-amerikanischen Associated Press (AP) – auf dem Genossenschaftsprinzip. Die Abnehmer der journalistischen Inhalte (1949 weit überwiegend Zeitungsverlage) sind zugleich Gesellschafter der Agentur. Heute hat die dpa 182 Gesellschafter (Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, Verleger, Rundfunkanstalten und -gesellschaften). Von Anfang an dabei war auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk, heute ARD (Federführung NDR) und ZDF. Mit anderen Worten: Seit 1949 begegnen sich privat organisierte Medienhäuser und der durch den Haushaltsbeitrag finanzierte öffentlich- rechtliche Rundfunk als Gesellschafter der dpa. Angesichts der u. a. auflagenbasierten Finanzierung der dpa und der aktuellen Auflagenentwicklung sind allerdings inzwi- schen auch Nachrichtenagenturen – wie die dpa – weltweit unter Druck. Zugleich steigt vor dem Hintergrund von „Fake News“- und „Bubble“-Debatten die Bedeutung von Nachrichtenagenturen als „Wasserwerk der Demokratie“ (Wolfgang Büchner). Sauberes Wasser, verlässlich produziert und überall verfügbar muss in einem Zeitalter, in dem im Sekundentakt Millionen von Nachrichten, Videos und Bildern verbreitet, hochgeladen und geteilt werden, das Ziel sein.

Für einen starken, qualitativ hochwertigen Journalismus sind wir alle verantwortlich: Gesellschaft, Politik und Medienhäuser. In diesem Kontext hat das beitrags- finanzierte System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den Journalismus eine ganz besondere Verantwortung – und zwar auch in finanzieller Hinsicht: Warum sollte es nicht beispielsweise eine öffentlich-rechtlich organisierte und finanzierte Nachrichtenagentur geben, die ihre journalistische Leistung allen ohne zusätzliche Kosten zur Verfügung stellt? Dies wäre ein wichtiger Beitrag sowohl auf der professionellen Ebene (Medienhäuser) als auch für die Sphäre etwa von ehrenamtlichen Bloggern und Bürgerjournalistinnen und -journalisten.

Diese Stoßrichtung verfolgt auch der Vorschlag von Wolfgang Blau: „Was spräche beispielsweise dagegen, dass öffentlich-rechtliche Sender sämtliche Inhalte, an denen sie die nötigen Rechte klären können, auch den Nachrichtenseiten der Printmedien kostenfrei zur Verfügung stellen? Weshalb kaufen die Websites der Printmedien vor großen Sportereignissen oder Wahlen teure interaktive Datenbank-Module ein, statt die entsprechenden Module der öffentlich-rechtlichen Websites zu nutzen, durchaus auch als White-Label-Produkt (…)?“.

Perspektiven der Stiftungsfinanzierung

Und es lohnt sich auch, wir greifen das Bild des „Wasserwerk der Demokratie« erneut auf, an eine Idee Frank Walter Steinmeiers aus 2009 zu erinnern. Dieser löste mit seinem Vorschlag eines Reformmodells für eine unabhängige deutsche Nachrichtenagentur eine heftige Debatte aus, war aber damit der erste deutsche Spitzenpolitiker, der sich für eine Stiftungsfinanzierung von Journalismus aussprach. Der Vorschlag Steinmeiers holte die Frage, wie wir in Zukunft Öffentlichkeit finanzieren, aus dem Elfenbeinturm der Publizistik in die politische Arena.

Und es ist gut, dass heute der Bundesverband Deutscher Stiftungen gemeinsam mit dem DJV eine kleine Informationsschrift unter dem Titel „Wie Stiftungen Journalismus fördern können“ in die Debatte bringt. 2009 noch undenkbar. Ein aus unserer Sicht großartiges Beispiel für die Relevanz stiftungsfinanzierten Journalismus ist das Science Media Center Germany (SMC). Gesellschafter sind die Klaus Tschira Stiftung und die Wissenschaftspressekonferenz e. V. Das Redaktionsteam des SMC in Köln „recherchiert proaktiv zu relevanten, komplexen oder kontroversen Ereignissen die Einschätzungen kompetenter Wissenschaftler, bereitet deren Aussagen auf und liefert sie zeitnah an registrierte Journalisten. Der Service ist für Journalisten kostenlos.“ (DJV/BDS: Wie Stiftungen Journalismus fördern können.) Auch die ebenfalls kontrovers diskutierte „Vor Ort NRW – LfM-Stiftung für Lokaljournalismus“ (z. B. FAZ vom 1.7.2014: „Journalismus-Stiftung. Das Rettungspaket ist eine Bombe“) entfaltet ihre Wirkung. Es bleibt abzuwarten, wie die neue Mehrheit in NRW mit diesem innovativen Instrument umgehen wird.

Schließlich identifizieren wir ein journalistisches Aufgabenfeld, das auf ein stärkeres Zusammenwirken von privatwirtschaftlich und öffentlich finanziertem Journalismus angewiesen ist, um die längst schon eingeleitete Erosion journalistischer Vielfalt wenigstens zu verlangsamen. Wir sprechen vom Netz deutscher Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten. Hier bedarf es neuer Impulse und Formen der Zusammenarbeit, um ein vielfältiges und weltumspannendes deutsches Korrespondentennetz aufrechtzuerhalten. Es geht beispielsweise um einen Ressourcenmix zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk, dpa, Medienhäusern und der Deutschen Welle, um in relevanten Hauptstädten Redaktionen und an vielen spannenden Plätzen der Welt Korrespondenten zu haben, die einordnen, sortieren, berichten und kommentieren. Als Profis.

Es ist für uns auch eine Frage an die Kulturnation Deutschland, durch welche Brille wir die Welt sehen und verstehen wollen. In einer Zeit, wo aus sehr unterschiedlichen Motiven in anderen Staaten die Budgets staatlich gelenkter „Auslandssender“ rasant steigen, erlauben wir uns ein vielfältiges Nebenei-nander von Journalistinnen und Journalisten, Redaktionen und Infrastrukturen. Mindestens auf der kommerziell finanzierten Seite erleben wir einen kontinuierlichen Abbau. Wir plädieren deshalb dafür, dass – moderiert beispielsweise von dpa – ein Netzwerk gebildet wird, das den Bedarf beschreibt und neue Strukturen vorschlägt. Hier ist Eile geboten.

Diese wenigen Einschätzungen sollen verdeutlichen, dass es keinen Königsweg gibt, der uns die Gewissheit gibt, wie wir in Zukunft die Herstellung von Öffentlichkeit durch Journalismus finanzieren, ohne die Demokratie nicht funktioniert. Die Skepsis, die derartigen Überlegungen nicht nur aus journalistischen Kreisen teilweise entgegen gebracht wird, ist groß. Das ist verständlich. Gleichwohl sollte es hier keine Tabus geben. Vielmehr benötigen wir einen konstruktiven Diskurs, gerne auch einen anständigen Streit darüber, wieviel Vielfalt wir wollen, wer wieviel Geld in die Hand nehmen muss oder kann, wer Unabhängigkeit sichert – und wer für Transparenz sorgt. Dieser Streit lohnt. Gehen wir ihm jetzt aus dem Weg, verlieren wir viel, viel- leicht sogar alles, was uns heute als offene, demokratische Gesellschaft auszeichnet und wichtig ist.

 

Leicht überarbeiteter und aktualisierter Text, der im April 2017 erschienen ist in: Eumann/Vogt: Medien und Journalismus 2030. Perspektiven für NRW, (Bibliothek des Journalismus, Bd. 6), Klartext, Essen.

 


 

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