#Alt-Right

10 Thesen zum Kampf gegen den Rechtspopulismus

von , 8.1.17

Welche Gruppierungen versammeln sich in der rechtspopulistischen Allianz, und was macht sie so gefährlich?

1. Die eigentliche Gefahr des Rechtspopulismus besteht in seiner Fähigkeit, breite gesellschaftliche Allianzen zu bauen.

In einigen Ländern (Großbritannien, Vereinigte Staaten, Ungarn, Polen) ist die rechtspopulistische Allianz bereits mehrheitsfähig. Die Plattform dieser Allianz ist eben gerade nicht rechtsextrem sondern rechtspopulistisch: beschworen wird die Ausbeutung des Volkes (99%) durch ein korruptes, globalistisches Establishment (1%). Den als naiv und verblendet gebranntmarkten Eliten wird vorgeworfen, das Volk dem islamistischem Terrorismus und der Überfremdung schutzlos auszuliefern. Der Rechtspopulismus verspricht, die Menschen gegen die Globalisierung zu verteidigen, und dem Volk damit die Macht zurückzugeben, die die oligarchischen Eliten ihm genommen haben.
Identitäre, Rechtsextreme, Wutbürger, Globalisierungsverlierer und Status Quo Konservative haben wenig gemeinsam, das Programm der rechtspopulistischen Allianz muss daher wage bleiben. Was diese heterogene Allianz verbindet ist das Gefühl, vom öffentlichen Diskurs vergessen und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu sein. Der Rechtspopulismus gibt nun all denjenigen eine gemeinsame Plattform, die sich gegen den angeblichen moralischen Verfall der Gesellschaft zur Wehr setzen wollen.

2. Die Funktion der Rechtsextremen ist die Eliten aufzuschrecken.

Auch rechtsextreme Gruppierungen gehören dieser rechtspopulistischen Allianz an. Die Bedeutung der Rechtsextremen liegt weniger in ihrer Zahl; in Deutschland ist in den letzten Jahren weder die Zahl der Rechtsextremen gewachsen noch sind rechtsextreme Positionen mehrheitsfähig geworden. Die eigentliche Funktion der Rechtsextremen liegt in der Störung des „Elitenkonsenses“ durch das lautstarke Skandieren des „Nichtsagbaren“. Dem „Kartell der politisch Korrekten“ wird entgegengeschleudert, dass es eben doch eine Alternative gebe, auch wenn diese allein aus Sabotage bestehe. Dieses Aufschrecken der als unverantwortlich angesehenen Eliten ist es, was viele Protestwähler anzieht.

3. Die Neuen Rechten finden Resonanz bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein.

Inhaltlich geführt wird die rechtspopulistische Allianz von der intellektuellen Avantgarde der Neuen Rechten (Identitäre, Alt-Right). Das Programm der Neuen Rechten zielt auf die Wiederherstellung der Regierbarkeit (Ordnung und Kontrolle) einer komplexen Welt durch die Homogenisierung der Gesellschaft. Die Sehnsucht nach der Reduzierung der Unübersichtlichkeit wird durch einfache Lösungen für komplexe Probleme bedient. Konkret bedeutet die „Bevorzugung des Eigenen über das Fremde“ die Wiederherstellung einer weißen, deutschen, heterosexuellen, patriarchalischen etc. Gesellschaft durch die offensive Ausgrenzung von allem, was für die gefühlte Entfremdung der Moderne verantwortlich gemacht wird. Im Gegensatz zu biologistischen Rassisten betonen die Identitären, dass sie das Fremde keineswegs an sich ablehnen, sondern lediglich ein Nebeneinanderleben unvereinbarer Kulturen in klar voneinander abgegrenzten Räumen anstreben. Dieses Programm zielt sowohl auf die sozio-ökonomischen Abstiegsängste, die der globalisierte Finanzkapitalismus verursacht, als auch auf die kulturelle Entfremdung, die die Moderne durch die Auflösung traditioneller Gemeinschaften und Werte auslöst. In der gegenwärtigen Situation erhält das neurechte Programm Zuspruch sowohl von den materiellen „Verlierern der Globalisierung“ als auch von all denjenigen, die sich von der libertären, pluralistischen Gesellschaft kulturell nicht anerkannt oder gar verachtet fühlen.

Warum erfährt die rechtspopulistische Allianz in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in beinahe allen Ländern des Westens so viel Zulauf?

4. Die Modernisierung bedroht die kollektive Identität.

Rechte Reaktionen treten vor allem in Situationen schnellen gesellschaftlichen Wandels auf, von dem sich viele überfordert fühlen. Im „Taumel des Wandels“ werden im rasenden Tempo alte Gewissheiten über den Haufen geworfen und traditionelle Werte „umgewertet“. Familiäre und gesellschaftliche Hierarchien werden umgestülpt. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern verändert sich. Die Modernisierung treibt die Pluralisierung der Werte, Fragmentierung der Gesellschaft und Diversifizierung der Lebensstile voran, lässt jedoch gleichzeitig traditionelle Gemeinschaften (Vereinigungen, Landsmannschaft, Nation), die Halt geben und Identität spenden, erodieren.. Moralpsychologen sehen im kosmopolitischen Diskurs der Eliten einen Auslöser, der die schlafende Veranlagung zu Intoleranz bei latent Autoritären aktiviert. Die Autoritären sehen im Auseinanderdriften der Gesellschaft einen moralischen Verfall, den es durch die „Ausmerzung“ der Fremden und Diffamierung der Andersdenkenden zu bekämpfen gelte. Die Attraktivität des Narrativs der Neuen Rechten erklärt sich unter anderem daraus, dass es Halt im Taumel des Wandels verspricht, Identifikationsangebote macht wo traditionelle Identitäten unter Druck stehen und (falsche) Gewissheiten anbietet wo die Verunsicherung wächst.

5. Der soziale Wandel wirbelt die soziale Hierarchie durcheinander.

Der rechte Ruf nach der autoritären Wiederherstellung der „guten, alten Ordnung“ tritt vor allem dort auf, wo sich angestammte Eliten und etablierte Mittelschichten sich von sozialen Umwälzungen bedroht sehen. In den Schwellenländern werden die gesellschaftspolitischen Umbrüche von der nachholenden Industrialisierung befeuert, die Millionen Menschen aus den ländlichen Peripherien in die Städte bringt, die Teilhabe und Mitsprache einfordern. In den alten Industrieländern steht nun die sogenannte Vierte Industrielle Revolution an, deren intelligente Roboter zunehmend die Arbeitsplätze der Mittelschichten bedrohen. Soziale Abstiegsängste produzieren jedoch, vor allem bei dem Mittelschichten, oft das Bedürfnis nach sozialdarwinistischer oder fremdenfeindlicher Abgrenzung nach unten. Die Neuen Rechten bieten den „alten, weißen Männern“ an, ihre verlorene Vorherrschaft wiederherzustellen.

6. Die Verlierer des Finanzkapitalismus sind wütend.

Rechtspopulismus findet dort Zulauf, wo Ängste vor dem wirtschaftlichen und sozialen Abstieg und die Wut über die soziale Ungleichheit grassieren. Globalisierung und Automatisierung haben bereits massenhaft Arbeitsplätze wegrationalisiert und Löhne gedrückt. Die Menschen in den deindustrialisierten Regionen verlieren mit ihren Arbeitsplätzen nicht nur Einkommen und soziale Sicherheit, sondern auch Würde, Sinn und soziale Teilhabe. Die Politik des Neoliberalismus setzt die Individuen in allen Lebensbereichen dem Wettbewerbsdruck aus, kappt das soziale Sicherungsnetz und senkt die Steuern für die Reichen. Die Bekämpfung der daraus resultierenden Nachfrageschwäche durch die Verschuldung der privaten und öffentlichen Haushalte löst regelmäßig Finanzkrisen aus, die wiederum durch die Sozialisierung der Verluste abgefedert werden. Der Erfolg des (Rechts-)Populismus erklärt sich unter anderem aus seiner Fähigkeit, die Frustration der wirtschaftlich Abgehängten, die Abstiegsangst der sozial Verunsicherten und die Wut über die Selbstbedienungsmentalität der Eliten auf einen gemeinsamen Nenner („Wir gegen das korrupte Establishment“) bringen zu können.

Wie kann man den Kampf gegen die Neue Rechte erfolgreich führen?

7. Die Alternativlosigkeit durch einen Politikwechsel beenden

Der Rechtspopulismus ist gefährlich, weil er für Menschen bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein attraktiv ist. Den Kampf gegen Rechts gewinnt man jedoch nicht, wenn man sich mit den Windmühlen des rechtsextremen Rands verkämpft, sondern indem man die Bürger ohne geschlossenes rechtsextremes Weltbild zurückgewinnt. Diese Menschen fühlen sich von den Provokationen der Rechtspopulisten angezogen, weil sie zum großen Teil schlicht keine andere Möglichkeit sehen, sich bei den Eliten Gehör zu verschaffen. „Ängste ernst nehmen“ bedeutet damit keineswegs, sogenannten „Wutbürgern“ nun nach dem Mund zu reden und etwa die Rechte kultureller, sexueller und ethnischer Minderheiten preiszugeben. „Ängste ernst nehmen“ bedeutet vielmehr berechtigte Forderungen nach sozio-ökonomischer Absicherung, politischer Inklusion und kultureller Anerkennung durch konkrete politische Angebote zu beantworten. Deswegen gilt es auch besonders wachsam zu sein, wenn der Versuch unternommen wird, den Erfolg der Rechtspopulisten alleine mit dem Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit, dem Sexismus, oder der Homophobie einiger Unverbesserlicher erklären zu wollen. Das Werfen von Nebelkerzen („Die libertären Mittelschichten müssen wieder mehr Empathie für die Arbeiter zeigen“) lenkt von den überfälligen Politikwechseln ab, indem sie die Proteste gegen die Oligarchisierung und die Sorgen um das Auseinanderbrechen der Gesellschaft als kulturelle Ignoranz verharmlost Eine Politik, die auf die Bereicherung einer kleinen Elite durch die Auszehrung der Mittelschichten und Ausgrenzung der Abgehängten zielt bereitet den Nährboden für eine rechtspopulistische Reaktion. Ohne einen grundlegenden Wandel des politischen Paradigmas wird der Kampf gegen Rechts nicht zu gewinnen sein. Eine transformative Politik dagegen hat das Potenzial, den Rechtspopulisten ihr Alleinstellungsmerkmal, die angeblich einzige Alternative zum neoliberalen Einheitsbrei zu sein, abzunehmen.

8. Nicht in die kommunikative Falle der Neuen Rechten tappen.

Ein falsches oder ungenügendes Verständnis der Neuen Rechten führt zu Fehlern in der politischen Kommunikation, die ungewollt zu einer Verstärkung der neurechten Botschaften führen können. „Klare Kante gegen Rechts“ funktioniert nur solange sich eine moralische Firewall nach rechts aufrechterhalten lässt. Den Neuen Rechten ist es, u.a. durch die erfolgreiche Übernahme linker Protestformen (Spaßguerilla, Popkultur, Mode), Narrative („99% gegen 1%“, „Volk gegen Establishment“) und Konzepte (Kampf um kulturelle Hegemonie, Community Organising, Solidaritätsnetzwerke), aber bereits gelungen, sich als eigentliche Kraft der Veränderung gegen den Strukturkonservativismus, „linke Privilegienbewahrer“ und vor allem das „korrupte liberale Establishment“ zu etablieren. Wer dann den Neurechten vorwirft, die Grenzen des Anstandes mit ihren rassistischen Botschaften zu durchbrechen, der muss sich nicht wundern, wenn diese selbsternannten „Verteidiger der Meinungsfreiheit“ gegen das „Kartell aus Lügenpresse und rot-grün-versifften Einheitsparteien“ Beifall für ihren „Kampf gegen die politische Korrektheit“ erhalten. Wer die Wutbürger pauschal beschimpft und ausgrenzt (Pack, Deplorables), der wird schnell selbst zur Zielscheibe des „Volkszorns“ gegen das verhasste „Establishment“. Wer Ängste schürt und die Neuen Rechten populistisch noch übertreffen will, aktiviert damit ungewollt die latent Autoritären, die sich mit demokratischen Mitteln nicht mehr zufrieden geben, sondern durch die Disziplinierung der Andersdenkenden und das „Ausmerzen“ der Fremden die Ordnung der Nation wiederherstellen wollen Eine erfolgversprechende Kommunikationsstrategie muss die Erkenntnisse der kognitiven Linguistik umsetzen, um überhaupt noch zu ihren Zielgruppen durchdringen zu können. Das bedeutet erstens, nicht in die kommunikative Falle der Rechtspopulisten zu tappen und ungewollte deren „Strengen Vater“ Frame zu verstärken. Zweitens sollten demokratische Botschaften den „fürsorglichen Eltern“ Frame nutzen, also das Gemeinsame betonen, Empathie für die Schwachen wecken und Hoffnung auf ein besseres Morgen beschwören.

9. Progressive müssen wieder Identifikationsangebote machen.

Die Wiedereinbindung der Wutbürger nur gelingen, wenn neben einer neuen Wirtschaftspolitik Politik auch ein alternatives, progressives Identifikationsangebot gemacht wird. In der Tradition der alten Lebenswelten der Arbeiterbewegung braucht es Symbole, Mythen, Rituale und Institutionen, die Halt im Taumel des Wandels heben und zur Selbstvergewisserung einladen. Dem Homogenitätswahn der Neuen Rechten sollte ein pluralistisches Verständnis der Nation (ex pluribus unum / Stärke aus der Verschiedenheit) entgegengesetzt werden, das sich von den Identity Politics libertärer Minderheiten (Genderneutrale Toiletten, Safe Zones, schriftliche Einverständniserklärungen vor sexuellem Kontakt) durch eine stärkere Betonung des Wir abgrenzt. Genau dies ist das Anliegen eines linken Patriotismus. Wer nun gleich vor einem neuen Nationalismus warnt, sollte sich daran erinnern, dass die Nation eine Erfindung der Französischen Revolution war, um das „Volk“ als den demokratischen Souverän der Republik überhaupt erst zu erfinden. An diese Tradition wollen eigentlich die Linkspopulisten anknüpfen, indem sie durch den Gegensatz zwischen „uns da unten und denen da oben“ ein neues kollektives Subjekt schaffen wollen. Ob nun der beladene Begriff Nation wirklich dazu taugt, eine progressive Identitätserzählung zu begründen? Aber ohne ein neues Narrativ, das erklärt, wer „Wir“ sind, wer dazugehört und wer nicht, wird es nicht gehen. Umso mehr Menschen sich von diesem Identitätsnarrativ angesprochen fühlen, je breiter wird die gesellschaftliche Allianz gegen Rechts. Und während das „Wir“ der Neuen Rechten in eine eingebildete Vergangenheit starrt, sollte das „Wir“ der Progressiven hoffnungsfroh dazu einladen, gemeinsam eine bessere Zukunft zu bauen.

10. Nur eine breite gesellschaftliche Allianz kann die Rechtspopulisten stoppen.

Ob nun durch die Finanzspritzen und digitale Botarmeen aus Russland oder die Ölbarone und Finanzmagnaten um Trump, der Rechtspopulismus wird von mächtigen Gruppierungen unterstützt und hat damit mächtige Ressourcen. Dieser Machtbasis kann nur eine breite gesellschaftliche Allianz etwas entgegensetzen. Sie lässt sich über alle Interessengegensätze hinweg nur auf der Basis einer gemeinsamen Erzählung bilden, das Identität stiftet und auf eine bessere Zukunft verweist. Doch wie ist im postfaktischen Zeitalter mit Fake News, Bots, Clickfarmen und Filterblasen der Kampf um die Deutungshoheit zu gewinnen? Vor allem die effektive Nutzung sozialer Medien durch die Rechtspopulisten erwischt die demokratischen Kräfte auf dem falschen Fuß.

Eine Gegenstrategie muss daher die Unterwanderung der Gesellschaft durch rechte Meinungskrieger unterbinden. Wer da gleich vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit warnt, hat recht wenig verstanden. In einer wehrhaften Demokratie muss der Staat für die Aufrechterhaltung der freiheitlichen Grundordnung sorgen. Besser wäre es jedoch, endlich die Zivilgesellschaft zu mobilisieren. Deren Widerstandsrecht ist im Grundgesetz verbürgt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.


 

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