#Sternsinger

Die Ängste der Gertrud S.

von , 22.12.16

Von Michael R. Dederichs

Wie jedes Jahr hatte Gertrud S. (Name ist der CARTA Red. bekannt), den Sternsingern ihrer Sankt Hilarius-Gemeinde die Tür zum blitz sauberen Eigenheim geöffnet. Eben erst hatte sie den nachweihnachtlichen Hausputz beendet. Wie hatte sie sich schon auf den Sternsinger-Besuch und deren Gesang gefreut: “Das ist ja so schön erhebend, wenn die zuerst läuten und dann singen. Die lieben Kleinen.”

In diesem Jahr hätten die drei Granden aus dem Morgenland aber nur mühsam einen Teil des Sternsinger-Lieds zusammen gestoppelt, erinnert sie sich. Auf ihre Frage, ob er der Balthasar sei, habe ein überaus hoch gewachsener Jugendlicher mit dunkler Stimme geantwortet: Balthasar? Von Balthasar wisse er nichts.

Andere hätten versucht, sie beiseite zu drängen, um einen Blick in ihr Haus zu werfen, wusste die S. zu berichten. Die wackere Frau ahnte Gefahr und wurde grob: „Raus, aber schnell raus. Sonst rufe ich die Polizei!“ Die drei hätten kurz überlegt, dann seien sie rasch die Straße hinab gegangen. Gegangen? „Nein, gelaufen“, fügte S. auf Frage hinzu.

Auf der Polizeiwache zeigte man sich über Katharina S.s Meldung höchst erstaunt. Komische Sternsinger? Die seien doch „kreuz brav“, meinte der Chef der örtlichen Ordnungshüter. Noch nie habe es Ärger mit denen gegeben.

Auch der Pastor gab sich völlig ahnungslos: „Woher die jungen Leute sind? Von hier! Die kommen zu unseren Sternsingern und machen mit. Was soll denn daran verdächtig sein?“ Der Pastor setzte sich. Ja, ein Auge halte er schon darauf, wer da mitmache. Eignungstests gebe es freilich nicht. Warum denn auch. „Vielleicht noch den Führerschein, was?“ Zweifelhafte Gestalten will Pastor Kremer nicht entdeckt haben. Kein Grund zur Beunruhigung also. Daher habe er Bischof Kirffel, dem in der Kirche für die Sternsinger zuständigen Oberhirten, nichts Beunruhigendes zu melden gehabt.

Damit aber liegen weltliche und geistliche Obrigkeit gemeinsam arg daneben. Ein Anruf beim längst aufgeschreckten Landeskriminalamt sorgt für erste Klarheit. Dort wusste man von Fällen zu berichten, in welchen Banden Jugendlicher die Sternsinger-Aktionen nutzten, um mögliche Ziele für Brüche auszubaldowern.

Das ganze Ausmaß der um sich greifenden Sternsinger-Unterwanderung wird aber nirgendwo registriert. Zwar weiß man in Katharina S.s Heimat, wie viele Jungferkel pro Jahr mit welchem durchschnittlichen Gewicht geworfen werden, aber die hoch sensible, Kriminelle geradezu anlockende Tätigkeit der Sternsinger bleibt in vielen Gemeinden faktisch unbeaufsichtigt. Schon warnen Fachleute der Landeskriminalämter vor einem potenziellen neuen Verbrechens-Schwerpunkt. „Auch die Geldschrank- Knacker vom Balkan, die vor einigen Jahren über Land fuhren, entstanden wie aus dem Nichts heraus“, belehrt Kriminalamts- Sprecherin Kaesberger die Skeptiker.

Dabei ist die seit vielen Jahren praktizierte Sternsingerei keine Kleinigkeit. Zwischen 500.000 und 600.000 Kinder und Jugendliche, aus beiderlei christlichen Konfessionen, machen jedes Jahr kurz nach Weihnachten anlässlich des Festes der Heiligen Drei Könige mit. Bauernsöhne wie Pfarrerstöchter, kleine Jungen mit traurigen Augen in Begleitung ihrer übermüdeten, allein erziehenden Mütter wie Onkel und Tanten, die den Familien-Nachwuchs bewachen, während der singt und sammelt. Sogar junge Muslime will man in einigen Pfarrgemeinden unter den Sternsingern entdeckt haben.

Das Fest erinnert an die so genannten drei Könige aus dem Morgenland, die das Christkind suchten, es der Fama nach zusammen mit Maria und Josef in einem Stall fanden und dann zum Erstaunen ortsansässiger Bauern anbeteten. Die Überbleibsel der drei Könige namens Caspar, Melchior und Balthasar sollen der Überlieferung nach im Kölner Dom aufbewahrt werden.

Seit Jahren wandern so Hunderttausende anlässlich des Drei- Königs- Festes durch die Gemeinden, klopfen, klingeln, singen und sammeln: Über 50 Millionen Euro zuletzt. Oft völlig sich selber überlassen. Von den Verantwortlichen in den Gemeinden wird kein Klingler und Sammler ausgewählt. Kontrolliert wird nicht während der millionenfachen und millionen- schweren Hausbesuche. Interessant wird es für die Kirchen vor allem, wenn ihre Sammlerschar die Spendengelder abliefert. „Ohne die Sternsinger-Spenden läuft in vielen Dritt-Welt-Gemeinden nichts mehr“, erklärt Entwicklungs- und Erziehungsfachmann Karl Dörfinger.

Gleichwohl übt er Distanz: „Ob es richtig ist, Kinder oft noch bei Winternacht und Schnee durch eine Gesellschaft von Egomanen und Tabubrechern zu schicken, müssen andere entscheiden. Ich wäre da vorsichtig.“ Das mag Bischof Kirffel am Ende noch entkräften können. Aber dass nun auch Nachrichtendienste auf der Spur der Sternsinger sind, das wird den Gottesmann härter treffen.

Denn der Staats-Nachrichtendienst hat in den vergangenen Monaten die meisten „freiwilligen Organisationen mit Massenbezug“ – so Sandra Wenzel, Bereichsleitern beim Dienst, einer „Plausibilitäts- Analyse“ unterzogen. Und Alarmierendes gefunden: Zwar könne den meisten der untersuchten Organisationen „Stetigkeit und Transparenz“ bescheinigt werden, unterstreicht sie. Einige Organisationen bereiteten aber Sorgen. Große Sorgen machten vor allem die bis dato unbeachteten Sternsinger. „Da entwickelt sich ein Problem“, erklärt die hochrangige Nachrichten-Frau.

Es sei überhaupt nicht zu erklären, warum „Hunderttausende hoch motivierter junger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur für wenige Tage einen extrem ertragreichen Job erledigten“, erläutert die Bereichsleitern, für den Rest des Jahres aber inaktiv seien: “Das kann nicht sein.”

In aller Regel seien solche Zustände ein wichtiger Hinweis darauf, dass neben einer bekannten Tätigkeit nicht erfasste Tätigkeiten und verborgene Zielsetzungen vorlägen. Wenzels Fragen: „Wo bleiben die Aktivisten der Sternsinger nach dem Drei-Königs- Tag? Wohin verschwinden sie? Wovon leben sie? Welche Ziele verfolgen sie noch – und warum wurde darüber bisher nicht berichtet?“

Schon ist die Politik auf die Befürchtungen der Dienste aufmerksam geworden. Die Parlaments- Abgeordnete Carola Meinzer will von der Bundesregierung nun wissen, ob sie die Ergebnisse der Nachrichtendienst-Analyse kenne und welche Konsequenzen sie daraus ziehe. Es könne nicht angehen, dass solche „Erkenntnisse bei Seite gelassen“ würden. Zeit sei es, so die junge Abgeordnete aus einem nahezu konfessionsfreien ostdeutschen Milieu, „diesen Organisationen auf die Finger“ zu schauen.

Bei Katharina S. ist wieder Friede eingekehrt. Es wintert schön. Bald wird sie mit anderen zusammen vorsichtig die Krippe- Figuren einpacken und ihre Hilarius-Kirche aus der weihnachtlichen Schmuck-Orgie lösen. Bis zum nächsten Mal. Für Bischof Bernd Kirffel werden die Zeiten unruhiger: Der Bischof wollte sich im verschneiten Schwarzwald von den Strapazen der Weihnachtszeit ausruhen. „Singen“ die Sternsinger bei Polizei und Diensten, hat er künftig öfter Gelegenheit, im Schwarzwald zu wandern.

 

 


 

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