#Donald Trump

Die harte Tour wartet auf den Präsidenten

von , 16.11.16

Der am 14. November 2009 verstorbene SPD-Politiker Hans Matthöfer, er war zeitweise Bundesforschungs-, später Bundesfinanz- und schließlich Bundespostminister, hat einmal erzählt, als Herr der Zahlen habe er täglich bis zu 90 Entscheidungen treffen müssen. Entscheidungen ganz unterschiedlicher Art: Über die Verwendung von Personen, über Forderungen anderer an den Bundeshaushalt, über die Forderungen aus dem eigenen politischen Bereich, über die Verwendung von Mitteln, über Positionen für Gespräche, für Verhandlungen mit Fraktionen, Ressorts, über internationale Gesprächsstände. Entscheidungen mit teils gravierenden mittelbaren Auswirkungen auf Beschäftigung, Investitionen, Schuldenaufnahme, Schuldenabbau, Belastungen oder Entlastungen, Entscheidungen, die die Funktion der Sozialsysteme tangieren. Was man sich nur denken kann im öffentlichen Finanzwesen, lag auf seinem Tisch, musste so oder so entschieden werden.

Nicht übermorgen oder nächster Wochen oder noch später und auch nicht von irgendwoher, wo es angenehm und sonnig ist, sondern hinter dem Schreibtisch. Jetzt muss entschieden werden, weil jede Entscheidung Voraussetzung für Handeln, Startschuss für andere ist beziehungsweise deren Handeln beeinflussen soll. Matthöfer hatte den Vorzug, einen tadellos funktionierenden Kopf zu haben, strategisch denken zu können, entschlussfreudig zu sein und moralische Skrupel zu haben. Das war Anfang der achtziger Jahre, ist also bald 35 Jahre her, eine Zeitspanne, die wir als eine Generationen-Länge bezeichnen.

Das war damals bereits ein außerordentlicher Stress. Vor diesem Teil des Stresses lag ein ebenso bedeutsamer Teil, der praktisch nie erwähnt wird, während für die Augenblicke der Entscheidungen noch so etwas wie ein rudimentär entwickeltes öffentliches Bewusstsein herrscht. Damit meine ich das Aneignen und Speichern und kopfmäßige Vernetzen der Fakten, die Entscheidungen zugrunde liegen. Und damit in Verbindung steht für jeden und jede derjenigen, die in diese Entscheidungsprozesse eingespannt sind wie in einen Schraubstock die Frage: Habe ich das für mich richtig beantwortet? Haben meine Leute mir das Entscheidende geliefert? Habe ich die Folgen ausreichend bedacht, die wirtschaftlichen, die sozialen und die rechtlichen Konsequenzen.

Der damalige Bundesfinanzminister Matthöfer bewegte sich bereits in einem nach hunderten Köpfen zählenden fachlich hoch angesehenen Apparat, der ihm zulieferte, der beriet, Vorlagen lieferte, die der Apparat zu begründen, zu ändern oder auch zu verwerfen hatte.

Die Jetztzeit hat diese Situation in einer unglaublichen Weise noch zugespitzt. Es muss rascher, noch vielfältiger, mit der Aussicht auf noch gravierendere Konsequenzen als zu früheren Zeiten entschieden werden. Der Zwang zur Entscheidung ist zu einer Bestie geworden. Daher berührt es mich schon seltsam, wenn ich in Verbindung mit den Konsequenzen der Präsidentenwahl in den USA im geschätzten Tagesspiegel folgendes lese: „Raus aus den elitären Zirkeln der Politmächtigen, ihrer Beobachter, Deuter und Follower, heißt das Motto, Schluss mit der Selbstbezogenheit der progressiven Eliten…“.

Das suggeriert ein Regieren, Debattieren und Verstehen, welches so abstrus ist, dass es nur noch mit folgendem Bild verglichen werden kann. Da spielen Herr Kurjakin und Herr Magnusson zurzeit um die Weltmeisterschaft im Profi- Schach. Und plötzlich steht der Herausforderer auf, um dem verdutzten Herrn Magnusson zu sagen: Scheiß elitäres Getue. Spiel mal eine Weile alleine weiter. Ich nehm’ mir meine Dame, denn diese Spielweise passt mir jetzt nicht. Bin später wieder da.

Die Entscheidungsmaschinerie soll also mal Pause machen. Das mag ja im Profi-Schach mit den hochsensiblen Köpfchen, die sich über die Bretter beugen mal als außergewöhnlicher Gag durchgehen. Die Entscheidungsmaschinerie der Politik kann das nicht. Das ist eine, die nie abgestellt ist. Die immer auf Hochtouren läuft, die 24 Stunden rund um die Uhr Informationen, Bewertungen, Urteile und Entscheidungen fordert.

Der größten und mächtigsten Maschinerie dieser Art wird ab Anfang Januar 2017 Donald Trump vorstehen. Und nicht nur vorstehen, er wird sie zu führen haben. Er ist „Commander in Chief“, er hat im Ernst über Leben und Tod zu entscheiden. Spätestens dann wird unsere Belustigung über Trumps ondulierte Tolle zu Ende gehen müssen. Dann ist die Beschäftigung mit seinen prolligen Auftritten vorbei.

Sollte es Leute geben, die ihm einflüstern, Mister Präsident Trump, sie können durchaus mal aus der Spur treten (wie der Herausforderer im Schachturnier), um sich „das Match“ nach dem 10. Januar mal von außen anzuschauen, dann täuschen sie ihn. Das funktioniert ebenso wenig wie das Schachspiel ohne Dame. Probleme und Entscheidungserfordernisse werden Präsident Trump in der Pennsylvania Avenue 1600 die Tür eintreten, wenn er nicht spurt.

Er ist zwar der mächtigste Mann auf der Welt, er bietet aber auch die größte Fläche für Attacken. Denn in der ganzen Welt, rund um unseren Globus hält sein Land Interessen. Und sein Regierungsapparat fordert von ihm, zu sagen, was zu tun und was anzuordnen ist. Ununterbrochen.

Wer ein Gesamtbild haben will, der sollte sich ein Flussdelta vorstellen. Allerdings fließen die Wasser nicht aus einem mächtigen Strom in viele Verästelungen, sondern Informationen, Aufgaben, Notwendigkeiten fließen aus vielen Ästen zusammen in ein Flussbett. Der Präsident hat zu wissen, was er wissen muss, wem er vertrauen kann und was er zu entscheiden hat. Jeden Tag. Leistet er all das nicht, wird ihn die Realität plattklopfen wie ein Wiener Schnitzel. Er ist also gut beraten, denen zuzuhören, die das Geschäft kennen, Frau Merkel, Herrn Hollande und anderen.

Tröstlich ist das nicht. Es ist auch nicht tröstlich gemeint. Aber das muss er hinkriegen. Muss. Freunde und falsche Freunde werden ihn bedrängen. Man wird ihn an seine Versprechungen erinnern. All das sind unangenehme Dinge. Er wird lernen müssen, dass Staaten sich nicht wie Gegenspieler beim Erwerb von Grundstücken in Manhattan behandeln lassen. Dem „ungelernten Politiker“ wird die Gewalt begegnen, die Bürger befreundeter Staaten ebenso bedroht wie eigene Landsleute. Rasch wird er verstehen lernen müssen, dass Isolation in der interdependenten Welt arm macht. Er wird allem ausgesetzt sein, was die Welt an Unangenehmem und Bedrohlichem und Unerwartetem bereithält. Sein Stress wird endlos sein.

Vielleicht liest er nach, was anderen begegnete, die vor ihm in seiner Position waren. Im Juni 1961 trafen sich in Wien US-Präsident John F. Kennedy und der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow.   Sie sollten sich kennen lernen und über die Gefahren miteinander reden, die aus der wachsenden Zahl gewaltiger auf Raketen montierter Wasserstoffbomben resultierten. Beide wohnten während ihrer Treffen im Hotel Imperial an der Wiener Ringstraße. Nomen est Omen. Kennedy war erst wenige Monate im Amt. Damals schrak man über eine Bemerkung Chruschtschows zusammen. Der hatte auf die Reporterfrage, wie man gegen die sowjetischen Wasserstoffbomben schützen könne lakonisch gesagt: Überhaupt nicht. Am besten ziehe man sich ein langes weißes Nachthemd an, nehme eine Kerze in die Hand und wandere zum nächsten Friedhof.

 


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