#"Raubland"

Amazon: Volksverhetzung on Demand?

von , 6.11.16

Helmut Richard Götting hat nach eigenem Bekunden „eine exzellente Bildung genossen“. Und doch scheint irgendwo zwischen seinen illustren Ausbildungsstationen Tübingen, Freiburg und Stanford etwas gehörig schief gelaufen zu sein. Der Doktor der Naturwissenschaften versucht sich seitdem jedenfalls als Schriftsteller mit Hang zu Verschwörungstheorien und Volksverhetzung.

2009 „enthüllte“ er eine „klammheimliche Machtergreifung“ der „amerikanischen Schattenregierung“ CIA an US-Universitäten in einer so von ihm bezeichneten Recherche, die dem Begriff „embedded“ eine ganz neue Bedeutung verleiht: „Ich war der Angestellte und homosexuelle Vertraute des CIA Bosses in Amerika“. Nach vollendeter Mission („Ich habe Licht in eine dunkle Räuberhöhle gebracht. Jetzt liegt es beim Leser, das Labyrinth zu erkunden“) widmete sich Götting 2016 einem neuen Projekt: der Entlarvung der „Haken-Stern-Sekte“, ihres „Raubstaat(s)’“ und des „Judenfaschismus“ insgesamt.

In seinem Buch „Raubland“ fabuliert er in Versform von „blutrünstigen Haken-Stern-Besatzern“ und „Schwindel-Semiten“, die im „heißen Wüstensand“ die von ihnen unterjochten „Syrianettaner“ ausbeuten und („wie Hitler“!) „palustrinische KZ-Zwangsarbeiter“ in „Gaz-A-U.s.c.h.w.i.t.z.“ quälen:

 

„Stellen Sie sich vor, Sie leben im Jahr 1945 und versetzen sich für einen Augenblick in die Lage der Palustrinier, die Gold und Handelsschiffe, Weinberge und Olivenhaine besaßen. In den schmucken Dörfern und reichen Handelsstädten der Ureinwohner lebten ihre Väter, Großväter und Ahnen bis in die Vorzeit hinab, seit undenklichen zwei Jahrtausenden….. Und eines schönen Tages kommt die Haken-Stern-Sekte mit Maschinengewehren und auf Menschen abgerichteten Bluthunden und verlangt von den Palustriniern, daß sie mit ihren Familien ihre Häuser, Kontore und Saatfelder verlassen und sich ein paar Kilometer weiter in einem Konzentrationslager hinter Stacheldraht einkerkern lassen.“

 

Eine Parabel (und ein Vergleich) so subtil wie ein Vorschlaghammer. Soweit so durchgeknallt. Jede Redaktion in Deutschland bekommt ab und an solche Pamphlete zugesandt. Auch CARTA. Das Interessante daran: Nachdem Göttings literarischem Werk größere Aufmerksamkeit bislang offenbar versagt geblieben war, erschien auch „Raubland“ im Selbstverlag, und zwar bei Amazons Self-Publishing-Plattform CreateSpace. Das US-Unternehmen ging aus den 2005 von Amazon aufgekauften Plattformen CustomFlix Labs und BookSurge hervor und bietet seine Dienstleistungen inzwischen auch in Deutschland an. Autoren schicken ihre Dateien an CreateSpace, kurze Zeit später kann das Buch bei Amazon in gedruckter Form oder als „Kindle-Edition“ bestellt werden.

„CreateSpace by Amazon“ kümmert sich eigenen Angaben zufolge „um alles“, um Druck, Marketing, Vertrieb, Zahlungsabwicklung und Kundenservice. Zudem umwirbt man Autoren damit, Leser auf der ganzen Welt über Amazons regionale Webseiten erreichen zu können. Bestellt ein Kunde den Titel beim Internet-Giganten, wird dieser „on demand“ als gedrucktes Buch produziert und die Kasse klingelt. Beim Autoren, aber auch bei Amazon. CreateSpace erhält neben den Druckkosten 40 Prozent vom Nettobetrag des festgelegten Verkaufspreises. In einer Beispiel-Kalkulation auf der Webseite des Unternehmens sieht das so aus:

 

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Die Kasse klingelt. Beispiel-Kalkulation Amazon Print on Demand.

 

Nun könnte man meinen, dass es sich dabei um klassisches Verlagsgeschäft handelt, zumal CreateSpace auch die Bereitstellung der ISBN übernimmt. Doch bei Amazon hält man sich schadlos und will offenbar als reiner Druckdienstleister gesehen werden. Wer sich bei CreateSpace anmeldet, der geht auch ein „Member Agreement“ ein und bestätigt unter Punkt 7 („Representations and Warranties“):

 

„You acknowledge that we are not the publisher of your Titles (including your Content). You represent and warrant that you will be the publisher of your Titles (including your Content) and, in any case, that you will bear the full and ultimate responsibility for the publication and general distribution of your Titles (including your Content).“

 

Amazons CreateSpace, nichts weiter als ein digitaler Copy-Shop, bei dem jeder, der will, mal eben Anleitungen zum Bombenbau vervielfältigen darf? Nicht ganz, denn es gibt eine „Content Policy“, die „Richtlinien“ für über die Plattform veröffentlichte Inhalte beschreibt. Offenkundig eher auf selbst produzierte Filme bezogen steht dort ganz oben: „Pornography, X-rated movies, home porn, hard-core material … are not permitted. … Any permitted nudity, graphic titles, and descriptions must be sufficiently concealed with censor strips on all items containing such content“.

Sex, da hält es Amazon mit Apple, geht gar nicht. Mit Rassismus, Hate Speech oder dem, was in Deutschland unter Paragraf 130 des Strafgesetzbuches als Volksverhetzung beschrieben wird, scheint das Unternehmen hingegen weniger Probleme zu haben. Abgesehen vom Porno-Verbot und Urheberrechtsverletzungen heißt es jedenfalls nur lapidar, der Autor sei dafür verantwortlich, dass geltendes Recht eingehalten werde. Kontrolliert wird das offensichtlich nicht.

 

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Naziliteratur: 40 % vom Verkaufspreis und die Druckkosten gehen an Amazon.

 

„Raubland“ ist nämlich kein Einzelfall: Bei CreateSpace, das zeigt bereits eine kursorische Recherche, finden sich zahlreiche, häufig rechtschreibschwache Ergüsse von „besorgten Bürgern“ und Möchtegern-Sarrazins à la „Merkels Flüchtlinge: Die schonungslose Wahrheit über den deutschen Asyl-Irrsinn!“ oder „Deutschland am Abgrund“. Aber auch knallharte Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Leugner wie Thomas Goodrich zählen zu den Autoren, denen Amazon eine Plattform bietet (Goodrichs Haltung zum Holocaust: hier). In seinem Buch „Höllensturm: Die Vernichtung Deutschlands, 1944-1947“ behauptet der US-Nazi, der „wahre Holocaust“ sei an den Deutschen begangen worden. Amazon sei Dank ist es nun auch in deutscher Übersetzung und im, wie Goodrich sagen würde, „Land der Opfer“ erhältlich. Die lernen unter anderem folgendes:

 

„In seinem politischen Testament aus dem Jahre 1925, Mein Kampf, hatte sich Adolf Hitler in unmissverständlicher Weise zu seiner Absicht bekannt -im Fall, daß er in zur Macht käme-Deutschland von jeglichem Unheil bringenden jüdischen Einfluß, sowohl ökonomisch, politisch als auch kulturell zu säubern. Als dieses vermeintliche Ansinnen acht Jahre später zur Wirklichkeit und Hitler in einem Land der mächtigsten industriellen Giganten der Erde zum Kanzler gewählt wurde, erklärten die alarmierten Juden Deutschland weltweit den Krieg.“ (Rechtschreibung aus dem Original übernommen, -red)

 

Auf 490 Seiten geht das so: 490 Seiten über die Juden und ihre „Propaganda Kampagne gegen Hitler“, ihren „fanatischen Schrei nach der Extermination alles Deutschem“ (sic) und die „grausame Behandlung der sich nach dem Krieg in jüdischen Händen befindenden Deutschen“. 490 Seiten für 25,59 EUR, exklusiv bei Amazon. Legt man dessen eigene Kalkulation zugrunde, verdient das Unternehmen pro verkauftem Buch 9,50 EUR, die Druckkosten nicht eingerechnet. 40 Prozent vom Nettoverkaufspreis, das entspricht in etwa dem gängigen Buchhandelsrabatt, mit dem Unterschied, dass es dieses Buch im Buchhandel nicht gibt. Propaganda powered by Amazon. Aber ein Verlag will man natürlich trotzdem nicht sein.

Mit dieser Laissez Faire-Haltung fällt Amazon noch hinter Facebook zurück, dessen problematische Rolle im Zusammenhang mit Hassbotschaften und Rassismus ja intensiv diskutiert wird. Doch Facebook hat mit den sogenannten „Gemeinschaftsstandards“ eigene Regeln, deren Schwellen „deutlich niedriger“ sind als die des Strafgesetzbuches beim Tatbestand der Volksverhetzung. Dort heißt es:

 

„Facebook entfernt sämtliche Hassbotschaften, d. h. Inhalte, die Personen aufgrund der folgenden Eigenschaften direkt angreifen: Rasse, Ethnizität, Nationale Herkunft, Religiöse Zugehörigkeit, Sexuelle Orientierung, Geschlecht bzw. geschlechtliche Identität oder Schwere Behinderungen oder Krankheiten.“

 

Für beide Fälle, eindeutig illegalen Content (den Plattform-Betreiber gesetzlich verpflichtet sind zu löschen, sobald sie Kenntnis davon haben) wie auch die Verletzung der eigenen Standards, gilt, dass Facebook seinen Verpflichtungen nicht beziehungsweise häufig zu spät nachkommt. Auf dem Vorwurf der Beihilfe zur Volksverhetzung beruht auch das laufende Ermittlungsverfahren gegen Mark Zuckerberg und andere Manager des Konzerns. Aber wenigstens auf dem Papier schließt das Unternehmen Organisationen und Personen, die Hass gegen die oben beschriebenen Gruppen schüren, von der Mitgliedschaft bei Facebook aus.

Über digitale Self-Publishing-Plattformen im Allgemeinen und CreateSpace im Besonderen, dessen Marktmacht angesichts der Vertriebspower von Amazon ja besonders groß ist, wird hingegen kaum diskutiert. Dort hat man zwar ein „Member Agreement“, aber kein Problem mit Hate Speech, solange es keiner mitbekommt. Sollen das mal die nationalen Behörden klären, und solange sie das nicht tun, wird offenbar gerne mitverdient. Das erscheint umso merkwürdiger angesichts der Tatsache, dass das Unternehmen keine Schwierigkeiten hat, Rezensionen auf der eigenen Webseite automatisiert zu kontrollieren und hier auch vereinzelt löscht – eine wenig durchschaubare Praxis, die seit Jahren für Kontroversen sorgt. Götting selbst schreibt in einer Werbe-Mail an CARTA stolz, seine Erzählung sei von Amazon-Rezensenten als „Antisemitisches Pamphlet“ und als „Fall für die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus RIAS“ verunglimpft, er als „Antisemit“ beschimpft worden. Die entsprechende Rezension sei „leider von Amazon gelöscht“ worden.

Meinungsfreiheit gilt auch für Rechtsextreme, und bei weitem „nicht alles, was man als rassistisch oder hetzerisch betrachten kann, (ist) ohne weiteres strafbar“ (Thomas Stadler). Daher kann und muss man natürlich auch darüber nachdenken, was es bedeuten würde, wenn Amazon als Marktführer den Zugang zum Self-Publishing reglementieren würde. Doch der Status Quo wirft Fragen auf. Grundsätzliche wie die, ob es sich bei CreateSpace trotz seiner umfangreichen Leistungen (und Beteiligung am Verkaufserlös) tatsächlich nur um einen Druckdienstleister handelt, oder nicht doch um einen Verlag. Und sehr konkrete. Deswegen hat CARTA Amazon seit Anfang Oktober mehrfach kontaktiert und um eine Stellungnahme zu „Raubland“ und der „Content Policy“ von CreateSpace gebeten. Unsere Fragen blieben unbeantwortet. Bis auf eine: Da „Raubland“ bis heute dort verfügbar ist, hat sich die Frage, ob Amazon gedenkt, es im Angebot zu behalten und weiter mit Hetze Geld zu machen, erledigt.

 


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