#Eliten

Die Legende von der globalen Wirtschaftselite

von and , 11.10.16

Wolfgang Storz: Es gebe die internationale Wirtschaftselite gar nicht, welche von Großkonzernen aus die Welt regiere. Das sei ein Mythos. So steht es im Klappentext Ihres neuen Buches. Nennen Sie bitte Ihren wichtigsten Befund, mit dem Sie das begründen?

Hartmann: Von den 1.000 größten Unternehmen der Welt wird nur jedes zehnte von einem Ausländer geführt. Bei den Aufsichtsratsvorsitzenden liegt der Prozentsatz noch niedriger und von den 1.000 reichsten Milliardären der Welt wohnen nur 90 außerhalb ihres Heimatlandes. Die grenzüberschreitende Mobilität der Spitzenmanager und Superreichen ist einfach bei weitem nicht groß genug, um eine eigenständige globale Elite oder Klasse zu bilden.

Was ist die empirische Basis Ihrer Arbeit?

Ich habe mir nicht nur die Vorstandschefs der 1.000 größten Konzerne der Welt und die 1.000 reichsten Personen der Welt genauer angeschaut, was nationale Herkunft, Bildungs- und Berufskarrieren sowie Wohnorte angeht, sondern auch die Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstands- wie Aufsichtsratsmitglieder der großen Konzerne. Insgesamt waren das gut 20.000 Personen.

Waren diese Befunde für Sie selbst eine Überraschung?

Im Großen und Ganzen nein, weil ich mich schon seit zwei Jahrzehnten damit beschäftige, früher allerdings auf wenige Länder beschränkt. Was mich wirklich überrascht hat, war die Tatsache, dass die Milliardäre noch weniger globalisiert sind als die Vorstandsvorsitzenden, also die CEO. Das hätte ich eher umgekehrt erwartet.

Damit entziehen Sie ja jeder Verschwörungstheorie die Grundlage, die davon ausgeht, diese eine Wirtschaftselite bestimme im Zusammenspiel mit der Wall Street weitgehend die Geschicke der Welt.

Ja. So etwas existiert nicht.

Nun kann es aber doch sein: Die Wirtschaftseliten organisieren sich zwar unverändert weitgehend national, aber die Eliten aus den jeweils wichtigsten Ländern arbeiten intensiv zusammen. Sie gehen beispielsweise vereint vor, um Ansprüche der Politik, etwa höhere Unternehmens-Steuern, abzuwehren?

Das passiert nicht auf internationaler Ebene, sondern auf nationaler. Alle Wirtschaftseliten sind sich in dem Punkt einig, dass die Steuern für Unternehmen und Reiche möglichst niedrig sein sollten. Das ist nicht überraschend, da Steuern die Gewinne, Einkommen und Vermögen schmälern. Die Politik hat sich diesem Wunsch in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten immer stärker gebeugt. Die Drohungen der Kapitalvertreter, sonst das Land zu verlassen, haben die Spitzenpolitiker übernommen, ohne ihren Realitätsgehalt ernsthaft zu überprüfen. Das hat zu dem Race to the bottom in der Steuerpolitik geführt. Internationale Absprachen zwischen den Wirtschaftseliten waren dafür gar nicht erforderlich. Es reichte die Drohung auf nationaler Ebene.

Muss man dann die Kongresse in Davos und die Bilderberg-Treffen ganz anders lesen: mehr harmloser luxuriöser Umtrunk denn Weltregierung?

Es ist weder das eine noch das andere. Dort treffen sich die Vertreter nationaler Eliten zum Meinungsaustausch. Das macht für sie den Reiz dieser Treffen aus. Man kann ungezwungen über die verschiedensten Fragen debattieren und dabei Meinungsunterschiede oder Gemeinsamkeiten ausloten.

Die Politik könnte den Wegzug reicher Deutscher in die Schweiz oder in andere Länder durchaus stoppen.

Was ist Ihre Schlussfolgerung aus Ihren Befunden: etwa dass die nationale Politik oder gar die EU-Politik sehr viel mehr Macht hat, als das bisher vor allem in linken Kreisen diskutiert worden ist?

Das ist so. Wenn die regierenden Politiker seit vielen Jahren immer wieder behaupten, man könne gegen die Macht der globalen Wirtschaftselite nichts ausrichten und die herrschende Politik sei daher alternativlos, dann hat das vor allem einen Grund: Sie wollen keine Diskussion über mögliche Alternativen aufkommen lassen. Das hat etwas von Selbstentlastung. Man kann eben nicht anders, so das Mantra, gebetsmühlenartig vorgetragen. Es stimmt aber nicht. Man könnte schon etwas machen, wenn man denn ernsthaft wollte. Wie groß die Spielräume tatsächlich sind, kann man nur feststellen, wenn man sie wirklich auslotet.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Die Politik könnte den Wegzug reicher Deutscher in die Schweiz oder in andere Länder durchaus stoppen. Sie müsste dafür nur das machen, was die USA tun. Diese besteuern alle US-Bürger nach den US-Steuersätzen, egal wo diese leben. Wenn sie andernorts weniger Steuern zahlen, müssen sie den Differenzbetrag eben an die USA abliefern. Geben sie die Staatsbürgerschaft ab, fällt eine sogenannte Exit-Tax von gut 20 Prozent auf das gesamte Vermögen an. Das wirkt. Von über 300 US-Bürgern unter den 1000 reichsten Menschen der Welt wohnen nur drei im Ausland. Von den 67 Deutschen sind es dagegen 19.

Da geht es um Privatpersonen, bei Unternehmen wird das nicht so einfach sein.

Richtig, bei den Unternehmen ist es nicht ganz so einfach. Sie können Investitionen durchaus verlagern. Aber auch das hat Grenzen, vor allem wenn es um die Firmenzentralen geht. Sie sind vielfach in regionale oder nationale Netzwerke eingebunden, die sie nicht einfach ohne große Einbußen an Qualität und Leistungsfähigkeit aufgeben können. Das gilt für Apple oder Google im Silicon Valley genauso wie für Daimler oder Bosch im Stuttgarter Raum oder die deutsche Autoindustrie inklusive ihrer großen Zulieferer in Deutschland. Informelle Netzwerke, Kontakte zu bestimmten Hochschulen oder zu politischen Entscheidungsträgern und weiteren wichtigen Multiplikatoren und Machtträgern lassen sich nicht beliebig verschieben oder einfach neu herstellen. Für Unternehmen, die wie in Russland oder China enger an den Staat beziehungsweise die Märkte und/oder Rohstoffe in einem Land gebunden sind, gilt das noch stärker. Außerdem ist auch das Topmanagement oft nicht bereit, den eigenen Arbeits- und Wohnort in ein fremdes Land zu verlegen. Bei den großen Unternehmen, die ihre Hauptsitze aus all diesen Gründen nur juristisch in ein anderes Land wie etwa Irland oder Luxemburg verlagert haben, ist das Topmanagement fast immer im ursprünglichen Heimatland des Konzerns geblieben. Eine solche rein juristische Verlagerung aus Steuergründen kann die Politik, wenn sie will, aber mit Gesetzen verhindern oder zumindest sehr erschweren. Das zeigt beispielsweise der gescheiterte Versuch des weltweit agierenden Pharma-Konzern Pfizer, den Firmensitz, der in New York ist, mit der formalen Übernahme des irischen Pharmaunternehmens Allergan nach Irland zu verlagern. Neue Gesetze in den USA haben das verhindert. Zuvor hat eine Reihe von Unternehmen, darunter Allergan selbst, diesen Trick genutzt.

Sollte es aufgrund Ihrer Befunde zu einer Rückbesinnung auf die Macht des demokratischen Nationalstaates kommen, als entscheidendes Instrument um die Wirtschaft sozial, ökologisch und zivilisatorisch einzuhegen?

Ja. Obwohl man die Beschränkungen der Reichweite der Nationalstaaten durchaus in die Überlegungen mit einbeziehen muss. Als Mitglied der EU ist jeder Nationalstaat schon gewissen Regelungen unterworfen. Aber auch die sind nicht in Stein gemeißelt, wie der flexible Umgang mit der Drei-Prozent-Regel immer wieder zeigt, mit der laut Maastrichter Vertrag von 1992 die Haushaltsdefizite der Nationalstaaten begrenzt werden sollen. Letztlich ist das alles eine Frage von politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnissen.

Wie belegen Sie Ihre Aussage, die Interessen von Ländern und Regionen unterschieden sich immer stärker, die jeweiligen nationalen Wirtschaftseliten handelten entsprechend stärker unterschiedlich und weniger einheitlich?

Die zunehmenden Konflikte zwischen Russland und den NATO-Staaten belegen das ebenso wie die Konflikte zwischen China auf der einen sowie den USA, Japan und anderen Pazifik-Staaten auf der anderen Seite. Diese Auseinandersetzungen haben auch für die jeweiligen Wirtschaftseliten Folgen, wie die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zeigen. Sie treffen beispielsweise die russische Wirtschaftselite massiv.

Ihre Befunde machen doch das auch in Deutschland gepflegte Argument hinfällig, man müsse guten Managern Millionen-Gehälter zahlen, sonst würden sie ins ferne Ausland, beispielsweise in die USA ziehen, wo sie noch viel mehr Geld verdienen könnten.

Das ist so. Die allermeisten Topmanager haben außerhalb ihres Heimatlandes keine wirklichen Alternativen. Wenn man sich die Vorstandschefs anschaut, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Deutschland abgelöst worden sind, so ist es nur Klaus Kleinfeld, der von 2005 bis 2007 Vorstandsvorsitzender von Siemens war, gelungen, im Ausland eine vergleichbare Position zu erlangen. Alle anderen sind nur in zweitrangigen Beraterpositionen untergekommen, wenn sie in Deutschland keinen Vorstandsjob mehr bekommen haben. Der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp ist dafür nur ein Beispiel von vielen.

Dieses Interview erschien zuerst auf oxiblog.

 


 

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