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ARD, ZDF & „Cloud-TV”: Ein Gutachten wie ein Requiem

von , 10.10.16

Das 108-seitige Gutachten „Legitimation und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Zeiten der Cloud“ von Dieter Dörr, Bernd Holznagel und Arnold Picot dient der Bestandsaufnahme und der Perspektivbestimmung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Es unternimmt den durch eine Perlenschnur von Thesen verbundenen Versuch, den Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter den aktuellen Bedingungen der sich wandelnden Medienumgebung zu stützen. Dagegen wäre nichts einzuwenden, aber schon die Analyse des Heute im Jahr 2016 lässt Fragen offen. Der Neologismus „Cloud-TV” erweist sich dabei als wenig hilfreich.

Der Status quo ließe sich in wenigen Sätzen so beschreiben: Noch hat das Fernsehen _neben_ der Internet-Nutzung eine bedeutende Rolle, wenn auch nicht mehr für alle Mediennutzer. Speziell das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat Jüngere, Ärmere und weniger Gebildete als Zuschauer schon verloren. Dabei ziehen die beiden letztgenannten Gruppen eher andere Fernsehanbieter vor und nutzen auch via Smartphone das Internet anders als die älteren, gebildeteren und einkommenstärkeren Mileus. Die Mediennutzung zur Unterhaltung und Ablenkung wird von öffentlich-rechtlichen Anbietern auftragsgemäß nur neben informativen, bildenden und kulturellen Angeboten adressiert. Köder wie Sportübertragungen erreichen das Ziel einer nachhaltigen Bindung der ansonsten abtrünnigen Zuschauergruppen an die öffentlich-rechtlichen Programme eher nicht.

Die Autoren des Gutachtens sehen die Situation ansatzweise ähnlich, auch wenn sie sich mit den Reichweitenverlusten der Öffentlich-Rechtlichen bei den geringer Verdienenden und Gebildeten nicht auseinandersetzen, sondern sich auf den Generationenabriss und die durch Internet-Nutzung erzeugten Verlusten an Reichweite und Relevanz konzentrieren. Die Beschreibung des „Cloud-TV” benennt eine Reihe von neuen Möglichkeiten für die Verbreitung von audio-visuellen Produkten und auch relevante Anbieter wie Youtube oder Amazon, mit denen sich traditionelle Fernsehunternehmen beim Wettbewerb um Nutzungszeiten konfrontiert sehen. Die Sichtweise des Gutachtens weist allerdings zwei gravierende Mängel auf:

 

  1. Das Internet in seinen verschiedenen Ausprägungen und Nutzungsformen (vom PC bis zum Smartphone) wird ausschließlich als weiteres _Verbreitungs_medium gesehen, nicht auch als Kommunikationsmedium. Für die Autoren sind Social-Media-Plattformen offenbar nur Spielwiesen für Algorithmen, die personalisierte Empfehlungen für den Konsum von Medienprodukten anbieten. Dass es auch Empfehlungen von Person zu Person gibt, dass Sympathie und Vertrauen aus der Kommunikation – zwischen Nutzern und auch zwischen Anbietern und Nutzern – hervorgehen und in ihr bestätigt werden, scheint ihnen nicht bekannt zu sein.
  2. Das Internet und seine Plattformen wird als neuer Wettbewerber _neben_ den traditionellen Medien gesehen und nicht als vereinheitlichende umfassende Umgebung für alle Medien. Wenn das „Heute” der Medienkultur zwischen 1996 mit den ersten tastenden Erkundungen netzbasierter Technologien und einer weiterhin von Dynamik und technischer Innovation geprägten nahen Zukunft des Jahres 2036 lokalisiert wird, kann es bei dieser Status-quo-Feststellung nicht bleiben.

 

Zur Stärkung der Legitimation des öffentlich-rechtlichen Auftrags müsste ein Szenario jenseits der sich andeutenden Bruchlinie entwickelt werden. Wenn also in 20 Jahren das öffentlich-rechtliche Fernsehen für die 15- bis 69-Jährigen nicht mehr interessant ist (wie heute schon für die 15- bis 49-Jährigen) und die öffentlich-rechtlichen Medien gleichzeitig mit ihren Internet-Angeboten so wenig erfolgreich sind wie heute (Beispiel: tagesschau.de hat nur ein Drittel der Nutzer von n-tv.de), welchen Sinn haben dann noch der Auftrag und die Beitragsfinanzierung? Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das öffentlich-rechtliche System unter den genannten Prämissen in 20 Jahren noch existiert, wenn es dann keinen messbaren, nennenswerten, relevanten Beitrag zur Vielfaltssicherung und zur Förderung der freien, demokratischen Meinungsbildung mehr leistet. Nur die Transformation der momentan noch ans Paradigma des Rundfunks fixierten öffentlich-rechtlichen Medien in ein netzbasiertes Mediensystem wird ihre Existenz legitimieren und sichern können. Dazu müssten die verfassungsrechtlichen, unionsrechtlichen und einfachgesetzlichen Möglichkeiten ausgelotet und zum Teil sicher neu formuliert werden.

Die Anrufung eines medientheoretisch fragwürdigen Geistwesens namens „Cloud-TV” und auch die ausführliche Beschreibung der Bemühungen der BBC zur Ausschöpfung neuer Verbreitungswege und -verfahren hilft bei der Bestimmung einer Zukunftsperspektive für das öffentlich-rechtliche System nicht weiter. Das vom ZDF bestellte Gutachten bestätigt den Auftraggebern letztlich nur ihren Status quo. Weil sie damit keinen Beitrag zur Formulierung der Zukunftsaufgaben für das öffentlich-rechtliche System und deren medienrechtliche und medienpolitische Bahnung leisten, schaufeln die Gutachter am Grab dieses Systems mit.

 


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