#EU

Erleichterung macht es nicht leichter

von , 27.5.16

Die Wahl eines österreichischen Bundespräsidenten mag wichtig sein. Geeignet, die europäische Öffentlichkeit in Wallung zu setzen, war sie bisher dennoch selten – was auch daran liegen mag, dass die europäische Öffentlichkeit keine permanente ist, sondern stets anhand gemeinsamer Themen, ja anhand gemeinsam erlebter Krisen sich bilden muss. Auch dass nun ein Grüner, der unabhängig angetreten ist „in die Hofburg einzieht“, wie man überall lesen kann, und Europa immer noch auf den ersten, demokratischen Rechtsaußenpräsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg wartet, würde noch keine weitere Betrachtung lohnen.

Selbst ein hauchdünnes Ergebnis mag nur deshalb Thema sein, weil es in seiner Knappheit den Rechten als willkürlich erscheint und die wirrsten Spekulationen über Wahlmanipulationen deshalb blühen dürfen. Aber sich selbst in die Opferrolle zu setzen, um Profil zu gewinnen, und wenn es eigentlich auch nur Schattenwurf und nicht Kontur ist, ist ein häufiger Trick der Rechten, ja der Populisten allgemein.

Der Grund, warum die Völker nicht unbedingt auf dieses Alpenland – aber wohl auf diese Wahl schauen sollten, ist ein anderer: die Reaktion, die sie europaweit ausgelöst hat. In den Beobachterstuben wurde nicht nur mitgezittert, wer die knappe Wahl nun gewinnen möge – es wurde mitgelitten. Das Besondere an dieser Wahl ist ihre Emotionalisierung im erweiterten Beobachterfeld. Dort herrschten, nachdem auf den Karsonntag der Auferstehungsmontagnachmittag, folgte ein eindeutiges emotionales Motiv: Erleichterung.

Erleichterung ist kein normales politisches Gefühl. Zwar mögen Politiker am Ende eines Wahlkampfs erleichtert sein, dass diese politische Phase vorbei ist. Und es gehört zur Perfidie der Mehrparteiendemokratie, dass auf diese Phase in aller Regel die ebenso anstrengende Zeit der Koalitionswerbung und –findung folgt. Sich erleichtert zeigen, heißt aber in der Politik eigentlich nur, dass man (formal) gewonnen hat, sich aber nicht darüber freuen kann, weil man zum Beispiel einen riesigen prognostizierten Vorsprung fast verspielt hat (Merkel und die Union 2005). Vielleicht war insgeheim auch schon mal eine Regierung froh, nach der Abwahl nicht mehr die Mühen der Amtsführung auf sich nehmen zu müssen. Nur: All solche Erleichterung war eine versteckte oder wenigstens nur unabsichtlich zur Schau gestellte.

Das ist bei dieser Wahl anders: Der italienische Außenminister Gentiloni hat einen europaweiten Seufzer der Erleichterung ebenso vernommen, wie ihn die Kommentatoren in der FAZ „im europäischen Ausland“ und die der Zeit „in der deutschen Politik“ gehört haben. Wir sind für den Weltfrieden, gegen Leid im Allgemeinen und erleichtert, dass Hofer nicht Präsident wird. Das Problem der Erleichtertseins ist der Offenbarungseid, der ungeschützt sichtbar wird: Wir sind erleichtert, weil wir keine Mittel haben, uns gegen die neuen Rechten zu wehren. Wir sind jetzt noch einmal davon gekommen, ja wir sagen „wir“ und zeigen noch damit unsere ideenarme Ratlosigkeit. Denn wir meinen mit dem „wir“ fast alle politischen Parteien. Nur eben nicht die ganz Rechten. Wir sind nicht mehr nur die große Koalition, wir sind die größere Koalition. Und wir sind froh und glücklich, dass diese größere Koalition noch ein mickriges Bisschen über 50 Prozent liegt. Das reicht uns.

Diese Saturiertheit, die unsere Kritiker gerne Dekadenz nennen, führt zum inhaltlichen Sieg der Rechten: In der größeren Koalition sind wir beliebig – diese Anhäufung früher einmal verschiedener politischer Strömungen kennt nur noch ein Ziel: den Erfolg der Rechten verhindern. Ist das egal wie knapp, egal wie inhaltsarm erreicht, sind wir… ja was? Zufrieden? Nein. Aber immerhin erleichtert.

 


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