#Angela Merkel

Angela Merkel, die FAZ und der Verfall publizistischer Sitten

von , 22.5.16

Nachdem die FAS am letzten Sonntag mit der Forderung eines ungenannten Kindes, nicht von ihren Eltern mit dem Auto zur Schule gefahren zu werden, die Seite eins aufmachte, wendet sie sich heute der Bundeskanzlerin und damit wieder der Politik zu. Das wäre als publizistischer Fortschritt zu verzeichnen, wenn es nicht mit einem bemerkenswerten Verfall publizistischer Sitten einherginge.

Auf der Seite 2 erscheint ein ganzseitiges Interview mit der Bundeskanzlerin, dessen wichtigste Nachricht als Agenturmeldung und Schlagzeile auf der eins verbreitet wird: „Mich irritiert die Freude am Scheitern“. Das trifft den Gehalt des Interviews gut, weil es kaum eine strategische und weiter führende Überlegung enthält.

Viel interessanter ist dagegen der eineinhalbseitige Essay des FAZ-Herausgebers Holger Steltzner in derselben Ausgabe, der Merkels Positionen einer beißenden Kritik unterzieht. Er empfiehlt der Bundeskanzlerin ein Blick ins Gesetzbuch, um zu sehen, dass „die Willkommenskultur keineswegs so alternativlos“ sei. Er hält ihr eine „inhumane und unchristliche Flüchtlingspolitik“ vor, weil sie „das mafiaähnliche Geschäft von skrupellosen Schleuserbanden belohnt, in dem die Stärksten überleben und diejenigen durchkommen, die viel Geld für Schleuser aufbringen können.“ Ausführlich zitiert er einen Migrationsforscher, um Merkel vorzuwerfen, „alle Flüchtlinge nach Deutschland einzuladen“ sei auch moralisch verwerflich gewesen. „Sie hat die Menschen quasi aufgefordert, nach Europa zu schwimmen. Das ist russisches Roulette: Such dir einen Schlepper, und hoffe, dass das Boot nicht untergeht“. Und so geht es weiter…

Dieses Vorgehen der FAS ist für eine sich gern auf Werte berufende Zeitung stillos, es ist darüberhinaus journalistisch völlig unakzeptabel. Denn diese Kritik hätten die FAS-Redakteure im Interview vortragen müssen. Es wäre mit Sicherheit interessanter und relevanter geworden. Sie ihr hinterher um die Ohren zu schlagen, wo sie sich nicht wehren kann, geht überhaupt nicht.

PS: Über die Jahre habe ich eine ganze Reihe von Interviews mit Merkel geführt. Es wurde – erst Recht zu ihren Bundeskanzlerin-Zeiten – immer anstrengender, ihren freundlich harten Kordon aus Sachlichkeit und Pragmatismus zu durchbrechen. Das ist die Aufgabe von Journalisten. Wenn sie es nicht können, sollen sie es lassen. Und vor allem nicht nachkarten.

 

PS 2: Mag sein, dass es in der FAZ/FAS innere Auseinandersetzungen über den Umgang mit Angela Merkel gibt. Wenn sie auf diese Weise auf die publizistische Kultur des Blattes durchschlagen, wäre das dramatisch.

 


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