#Arbeitsbedingungen

Gerechtigkeitsdebatte: Vom Schlemmen der Übermütigen

von , 13.5.16

Bereits in der Bibel werden die Schlemmer gewarnt. Bei Amos 6: 4-7, heißt es:

(…) und schlaft auf elfenbeinernen Lagern und prangt auf euren Ruhebetten; ihr eßt die Lämmer aus der Herde und die gemästeten Kälber, und spielt auf dem Psalter und erdichtet euch Lieder wie David, und trinkt Wein aus den Schalen und salbt euch mit Balsam und bekümmert euch nicht um den Schaden Josephs. Darum sollen sie nun vornan gehen unter denen, die gefangen weggeführt werden (…)

Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) von 2015 für die Jahre bis 2012 zeigten schon, wie ungleich verteilt das Vermögen in Deutschland ist und wie sehr die Schere zwischen Arm und Reich auseinander geht:

So sind die realen Einkommen im obersten Zehntel der Einkommensverteilung zwischen 2000 und 2012 um mehr als 15 Prozent gestiegen, während die Einkommen in der Mitte der Verteilung stagnierten und bei den unteren 40 Prozent real gesunken sind. Die Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen liegt damit seit 2005 auf einem unverändert hohen Niveau.

Eine weitere DIW-Studie von 2015 geht davon aus, dass der Reichtum der Reichen sogar bisher unterschätzt wurde. Das reichste Prozent der Deutschen besäße sogar schon mehr als 30 Prozent des Privatvermögens. Die Süddeutsche Zeitung schreibt über die Ergebnisse:

So gehören den 0,1 Prozent der reichsten deutschen Haushalte 14 bis 16 Prozent des Gesamtvermögens. Das ist dreimal so viel wie jene fünf Prozent, von denen die Statistiker bisher ausgingen. Der Anteil des reichsten Prozents der Deutschen steigt von bisher angenommenen 18 Prozent auf 31 bis 34 Prozent; ihnen gehört also ein Drittel des Gesamtvermögens. Und die reichsten zehn Prozent der deutschen Haushalte vereinigen sogar 63 bis 74 Prozent des Gesamtvermögens auf sich, ermittelten die DIW-Forscher; bisher war man von lediglich 60 Prozent ausgegangen.

Der Preis des Gewinns

Das Privatvermögen des 2014 verstorbenen reichsten Mannes Deutschlands (Platz 18 in der Weltrangliste), Karl Albrecht, des Inhabers von Aldi-Süd (4.600 Läden in 9 Ländern) wurde im März 2013 von dem US-Wirtschaftsmagazin Forbes auf etwa 19,2 Milliarden Euro (26 Milliarden Dollar) taxiert. Ein Vermögen, das aus einem „System von Kontrolle und Angst“ für die Mitarbeiter geschöpft worden sei, wie der Spiegel im Mai 2012 anlässlich eines Gesprächs mit einem Firmenaussteiger titelte.

Wie Aldi stellen viele Firmen den Profit über alles. Hauptkonkurrent Lidl durfte einige Jahre davor schon die Schlagzeilen der Zeitungen des Landes unfreiwillig schmücken, 2008 deckte der Stern ein System zur Überwachung der Arbeiter auf und sprach sogar von „Stasi-Methoden bei Lidl.

Um dieses miserable Image abzuschütteln, kündigte Lidl im August 2013 an, einen firmeninternen Mindestlohn einführen zu wollen. Seit Mitte 2015 beträgt der Lidl-Mindestlohn 11,50 Euro pro Stunde und ist somit deutlich höher als der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Eine bemerkenswerte Sozialleistung, die sich die Firma jedoch ohne große Anstrengung dürfte leisten können, denn Lidl (damals 150.000 Angestellte weltweit, 50.000 in Deutschland) war mit einem Gewinn von 788 Millionen Euro im Fiskaljahr 2011/12 ein hochprofitables Unternehmen. Tatsächlich bleibt Lidl bis heute auf Wachstumskurs. Forbes taxierte das Vermögen von Lidl-Gründer Dieter Schwarz im Jahr 2014 entsprechend auf 14,4 Milliarden Euro (19,5 Milliarden Dollar), das ist Rang 2 in Deutschland und Rang 29 auf der Welt. Zum Vergleich betrugen alle Ausgaben für Sozialhilfe der Bundesrepublik im Jahr 2013 etwa 25 Milliarden Euro.

Bilanz-Schmarotzertum staatlich gefördert

Die politisch gewollte Niedriglohnpolitik nach den Agenda-Reformen führte dazu, dass die Gewinnmargen des Einzelhandels vom Steuerzahler im großen Stil indirekt subventioniert wurden, wie aus einer Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag von Juni 2013 hervorgeht: Einerseits wurden „die geringen Arbeitseinkommen im Handel durch ergänzende Hartz-IV-Gelder jährlich mit 1,5 Milliarden Euro aufstockt“, denn jeder dritte Beschäftigte arbeitete in dieser Branche für einen Niedriglohn. Gleichzeitig stiegen die Gewinne der Branche nach Hochrechnungen der Bundesbank vor Steuern von 11,8 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 21,5 Milliarden Euro 2010. Reichlich Geld und somit Spielraum waren also vorhanden. Doch statt auf existenzsichernde Löhne wurde – mit Billigung des Staates – Wert auf eine Maximierung der Firmengewinne gelegt.

Freundlich formuliert hat der Staat 15 Jahre lang die Gewinne des Einzelhandels mit Steuergeldern subventioniert. Weniger freundlich formuliert hat sich der Staat in wohlwollender Weise als Helfershelfer in einem breit angelegten Sozialleistungsmissbrauches zugunsten des Einzelhandels und anderer Branchen betätigt. Erst die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1.1.2015 schob dem Missstand einen Riegel vor.

Unter diesen Umständen wundert es nicht, dass sich viele Wirtschaftsvertreter jahrzehntelang gegen die Einführung eines Mindestlohns gewehrt haben. So behauptete der Chef des ifo-Instituts Hans-Werner Sinn beispielsweise 2007, die Einführung des Mindestlohns werde 1,9 Millionen Arbeitslose mehr zur Folge haben. Im Gegenteil, die Beschäftigungsquote ist heute so hoch wie nie zuvor, aber die daraus folgende Debatte war eine höchst erfolgreiche Verzögerungstaktik zur Gunsten der Subventionsbegünstigten.

Die Kehrseite der Medaille: Eine Studie der Universität Duisburg Essen von 2015 zeigt:

  • Seit Mitte der 1990er Jahre hat in Deutschland die Einkommensungleichheit stärker als in vielen anderen europäischen Ländern zugenommen.
  • Der Sozialstaat hat die wachsende Ungleichheit der Markteinkommen nur zum Teil auffangen können.
  • Immer weniger Haushalte der Unterschicht und der unteren Mittelschicht können von ihren Erwerbseinkünften leben.

Eine andere Studie des DIW von 2014 stellte fest, dass die Vermögenswerte der Arbeitslosen in jüngster Zeit stark geschrumpft sind: Von 30.000 Euro im Durchschnitt (2002) auf nur noch 18.000 Euro (2012), ein Rückgang von 40% in nur zehn Jahren! Dieser Gefahr sind übrigens immer mehr Menschen ausgesetzt, denn “Jeder vierte neue Arbeitslose bekommt nur Grundsicherung Hartz IV”, meldete die Wirtschaftswoche im Mai 2015.

Hinter diesen kühlen Zahlen stecken schlichtweg Verzweiflung und Verbitterung einer wachsenden Zahl von Menschen. Das ist gesellschaftspolitischer Sprengstoff.

Subventionen, “Ja, bitte”- Besteuerung, “Nein, danke”

Begünstigt von Globalisierung und Liberalisierung lehnen global agierende Großkonzerne eine Sozialverantwortung zunehmend ab – zu Gunsten der Maximierung des Profits. Staatliche Regelungen, die dies verhindern könnten, fehlen oder greifen oft erst verspätet. Ein gutes Beispiel dafür ist der Internethändler Amazon.

Als Amazon nach Deutschland kam, konnte sich das Unternehmen Subventionen von Bund und Ländern in Höhe von etwa 14 Millionen Euro sichern. In den darauffolgenden Jahren avancierte das Unternehmen, nicht zuletzt aufgrund einer äußerst restriktiven Lohnpolitik, zum Branchenprimus – und seitdem leiden unzählige Kaufhäuser und Kleinhändler unter der Übermacht Amazons, zudem dürfte eine erhebliche Anzahl von oft nach Tarif bezahlten Arbeitsplätzen im traditionellen Handel verloren gegangen sein.

Die Konzern-Strategie bescherte den Aktionären dagegen sehr hohe Rendite: Ende Mai 2004 wurde eine Amazon-Aktie mit 34,10 Euro bewertet, zehn Jahre später waren es schon 223,44 Euro, eine Steigerung um 655%. Für den deutschen Staat dürfte sich die Investition dagegen nicht wirklich rentiert haben, denn Amazon lagert seine Gewinne nach Luxemburg aus und soll laut Medienberichten dort sogar weniger als 1% Steuer zahlen.

Zusammengefasst hat der deutsche Staat ein Geschäftsmodell völlig ohne Not subventioniert, das tendenziell nach Tarif bezahlten Arbeitsplätzen zerstört und darüber hinaus die anfallenden Gewinne am deutschen Fiskus vorbei auslagert.

Rendite über alles – Sozialverantwortung über Bord

Kontraproduktiv im Sinne des Gemeinwohls dürfte ebenfalls sein, Arbeitnehmer zu entlassen und zeitgleich großzügige Dividenden an die Aktionäre auszuschütten. So die Telekom 2009, als die Finanzkrise die Welt in Aufruhr versetzte – wie der Spiegel berichtete:

Das Unternehmen, dessen größter Aktionär [mit 31,7% A.d.R.] immer noch der Bund ist, beglückt seine Anteilseigner mit 3,4 Milliarden Euro – ein Rekord im Deutschen Aktienindex Dax (…) Dabei hat der Konzern im vergangenen Jahr nur 353 Millionen Euro Überschuss erwirtschaftet. Mit anderen Worten: Die Telekom schüttet fast zehnmal mehr Geld an die Eigentümer aus, als sie unter dem Strich verdient hat. (…) [Trotzdem] hat die Telekom im vergangenen Jahr 3,2 Prozent ihrer Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut. Das entspricht rund 4.000 Jobs.

Und die Telekom war im gleichen Jahr kein Einzelfall, bei ThyssenKrupp oder dem Fahrzeughersteller MAN sah es nicht anders aus. Tatsächlich hatte dies mit einer dauerhaften Werte-Verschiebung der Konzerne zu tun: Weg von der Vorsorgepflicht der Mitarbeiter und von der Bindung zu einem bestimmten Standort hin zur ausschließlichen Verantwortung gegenüber den Aktionären und Anteilseignern, wie Diether Döring, Professor für Sozialpolitik und Finanzwissenschaft, in einem Interview der Süddeutschen Zeitung sagte.

Ab 2011 erholte sich das Geschäftsklima in Deutschland spürbar und erreichte Vorkrisenniveau. Eigenartigerweise konnten die Vorstände der DAX-Unternehmen irgendwie im Voraus vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren: „Im Jahr 2010 stieg ihre Vergütung um durchschnittlich knapp 22 Prozent“, meldete der Spiegel im Juli 2011. Aber schon im Jahr zuvor, im Geschäftsjahr 2009, waren die Bezüge der „DAX-Aufsichtsratschefs im Schnitt [um] mehr als 20 Prozent gegenüber 2009“ gestiegen, womit an das Vorkrisenniveau angeschlossen wurde. Der Spiegel fragte damals: „Darf’s etwas mehr sein?“. Ja, es durfte, obwohl damals die Finanzkrise in vollem Gange war.

Das gute Geschäftsklima nach der Krise lässt sich jedenfalls nicht leugnen: Allein zwischen 2010 und 2011 erhöhten sich die Gewinne der 500 größten börsennotierten Firmen Europas um 60 Prozent von 321 auf 514 Milliarden Euro. Eindeutig ein Nachjustierungseffekt, denn seitdem sind etwas niedrigere, aber dennoch stabil hohe Werte zu verzeichnen: 2011: 451 Milliarden; 2012: 376 Milliarden; 2013: 402 Milliarden; 2014: 438 Milliarden. Die Verdienste der Top-Manager sind weiterhin auf hohem Niveau. 2014 verdienten die Dax-Vorstandsmitglieder 3,4 Millionen Euro Jahresgehalt im Mittel, das heißt das 54-fache eines durchschnittlichen Angestellten.

Profit für wenige, Schulden für alle

Wir, alle Bürger Deutschlands, leben in einem unfassbar reichen Land. Doch die jahrelange Liberalisierung der Märkte hat zu einer Steuerpolitik geführt, die die Reichen überproportional begünstigt. Diese Politik nimmt in Kauf, dass die daraus resultierende Unterfinanzierung des Staatswesens durch Kreditaufnahmen gedeckt wird.

Das Problem ist, dass die Staatsverschuldung zwischen allen Bürgern des Landes ungefähr gleich verteilt, während das Nettovermögen (Reichtum) hochkonzentriert bei wenigen ist. Großvermögen werden steuerlich geschont, damit verbundene Risiken bzw. Zukunftshypotheken jedoch in die Massen transferiert. Deutschlands Steuerpolitik hat deshalb zu einer Vermehrung der Nettovermögenswerte von wenigen auf Kosten der Massen beigetragen, könnte man zusammenfassen.

Bestes Beispiel war die Finanzkrise von 2008: Marktabsurde Renditen von Finanzprodukten wurden über die Umverteilung von Steuereinnahmen und die Aufnahme staatlich garantierter Kredite letztlich von den Bürgern nachträglich abgesichert, denn die Staatsverschuldung erhöhte sich zwischen 2007 und 2010 – primär zur Abwehr der Gefahren der Finanz- und Bankenkrise – um etwa 37%, von 1.490 Milliarden (2007) auf 2.036 Milliarden Euro (2010). Durch diese Vergemeinschaftlichung der Spekulationsverluste wird das wirtschaftliche Gleichgewicht zwischen dem Großkapital beziehungsweise dem Staat einerseits und den Bürgern anderseits erheblich gestört. Die Erlöse aus Kapitaleinkünften konnten fast unbegrenzt sein, sogar wenn sie mehrwert- und substanzlos erwirtschaftet wurden, da der Staat gezeigt hat, dass er im Notfall einspringen würde, während gleichzeitig die Einkünfte der Arbeitnehmer von Natur aus begrenzt sind und wegen der aus einer Finanzkrise resultierenden höheren Steuerlast faktisch schrumpfen. Zu dieser grundsätzlichen Steuerungerechtigkeit kommt hinzu, dass den Konzernen und dem Großvermögen vielfache Möglichkeiten zur unethischen Steuerminimierung beziehungsweise zur illegalen Steuerflucht zur Verfügung stehen, während die Besteuerung der Massen in einem hochentwickelten Staat wie der Bundesrepublik flächendeckend und fast lückenlos implementiert ist.

Diese hochproblematische Entwicklung wird in Deutschland gewissermaßen steuerlich begünstigt, da auf Kapitalerträge eine pauschale, einkommensunabhängige Kapitalertragsteuer von lediglich 25% zur Anwendung kommt – auch dann, wenn mehrere Millionen besteuert werden, während der Spitzensteuersatz für die Besteuerung von nicht kapitalgestützten Einkommen ab 250.730 Euro greift und 45% beträgt. Wer also 50.000 Euro aus seiner Hände Arbeit verdient, zahlt denselben Prozentsatz an Steuern wie jemand, der Millionenrenditen „im Schlaf“ einfahren kann. Das ist nicht nur moralisch fragwürdig, es ist auch finanzpolitisch problematisch, weil das Kapital nicht nachhaltig (sondern hochspekulativ und extrem kurzfristig) eingesetzt wird.

Dabei warnen Finanzexperten, dass die Über-Konzentration der Geld-Ressourcen in den Händen weniger über kurz oder lang zur nächsten Krise führen muss und eine fiskalische Umverteilung von Nöten wäre, wenn eine Implosion des Systems vermieden werden soll. Die katastrophalen Nachwehen der Krise in Griechenland im Alltag der dort lebenden Menschen sind eine bittere Mahnung.

Drohende ökonomische Zersetzung der Gesellschaft

Deshalb soll jede vorausschauende Sozialpolitik von einer vernünftigen Besteuerungs- und Umverteilungspolitik begleitet werden. Nach Angaben des Finanzministeriums lag das Steueraufkommen Deutschlands 2015 bei 620 Milliarden Euro, etwa 27 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Der Staat ist alles andere als handlungsunfähig, zumal er selbst die Spielregeln definiert. Solange die „Sozialschere“ auseinanderdriftet, muss sich die Bundesregierung die Frage gefallen lassen, wie das trotz der ständig höheren Steuereinnahmen geschehen kann.

Jakob Augstein stellte 2013 den verschiedenen Bundesregierungen ein „Armutszeugnis“ aus:

1970 besaß das oberste Zehntel der (West)-Deutschen 44 Prozent des gesamten Nettogeldvermögens. 2011 waren es 66 Prozent. Die – von der Masse der Menschen getragenen – Lohn-, Umsatz- und Verbrauchsteuern ergeben 80 Prozent des gesamten Steueraufkommens, die Unternehmens- und Gewinnsteuern machen nur zwölf Prozent aus (…) Die Schulen verfallen, die Städte verrotten, die Straßen verkommen, an den Kreuzungen klauben Menschen Pfandflaschen aus den Mülleimern. Aber man hat uns beigebracht, unseren Augen nicht mehr zu trauen und Ungerechtigkeit für Notwendigkeit zu halten und Unsinn für Vernunft. Alles dient dem Zweck, die Erträge, die unten erwirtschaftet werden, nach oben fließen zu lassen und gleichzeitig zu verschleiern, dass es sich so verhält. (…) Es ist ein System der Lüge. Die Ideologen des Neoliberalismus reden gerne von Leistung, die sich lohnen soll. Aber wir leben nicht in einer Leistungsgesellschaft, sondern in einem Ständestaat.

Solch besorgte, ja gar empörte, Meinungsäußerungen sind beileibe nicht dem linken Journalismus vorbehalten. Der zu früh verstorbene Frank Schirrmacher schrieb 2011 „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“:

Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik. (…) Aber es geht heute nicht allein um falsches oder richtiges politisches Handeln.  Es geht darum, dass die Praxis dieser Politik wie in einem Echtzeitexperiment nicht nur belegt, dass die gegenwärtige ‚bürgerliche‘ Politik falsch ist, sondern, viel erstaunlicher, dass die Annahmen ihrer größten Gegner richtig sind. (…) Das große Versprechen an individuellen Lebensmöglichkeiten hat sich in sein Gegenteil verkehrt.

Die ökonomische Zersetzung einer Gesellschaft hat katastrophale Auswirkungen auf das politische Gebilde: Mit zunehmender Ungleichheit wächst die Gefahr, im Sinne des Gemeinwohls politisch handlungsunfähig zu werden.

Ein sinnvolles Austarieren der Interessen- und Machtverhältnisse ist in einer solchen Situation nicht mehr mit gebotener Neutralität möglich. Joseph E. Stiglitz, der Nobelpreisträger für Wirtschaft von 2001, argumentiert in seinem 2012 erschienenen Buch, „Der Preis der Ungleichheit“, dass die ökonomische Spaltung die politische und gesellschaftliche Zukunft in höchstem Maße bedrohe, denn eine ausufernde ökonomische Ungleichheit zwischen den Bürgern gefährde das Urwesen der Demokratie und somit der friedlichen Koexistenz.

Zukunftsweisendes und entschlossenes Handeln der politischen Entscheidungsträger im übergeordneten Sinne des Gemeinwohls ist also dringend geboten, denn ohne Korrektivmaßnahmen dürfte sich das Problem weiter zuspitzen, was wiederum befürchten lässt, dass heute noch vorhandene Steuerungsoptionen und Lösungsansätze bald nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Untätigkeit wäre ein Schritt in die falsche Richtung.

 


Laurent Joachim beschäftigte sich in seiner Studie „Friss oder Hartz – Warum Hungerlöhne unser Land zerstören“ (2014) damit, wie die stets größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich der Gesellschaft schadet und langfristig schaden wird, wenn keine geeigneten Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. CARTA bringt einen Auszug daraus. Bereits erschienen: Neue Arbeitswelten – Allein unter Börsenwölfen sowie Arm geboren, nix dazu verdient.

 


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