#Außenpolitik

P.L.A.N. B.: Was Obamas Außenpolitik auszeichnet

von , 16.3.16

Der Text zu Obamas Außenpolitik ist der 1. Teil einer dreiteiligen Serie zur US-Außenpolitik, die folgenden beiden werden sich auf die potenziellen Veränderungen nach der Wahl beziehen.

„Die Außenpolitik von George W. Bush war ein Debakel. Man kann es einfach nicht anders sagen. Sie war schlecht durchdacht. Sie beruhte auf törichten Annahmen, wie die Welt funktioniert. Es wird lange dauern, bis wir uns aus diesem Loch wieder ausgegraben haben.“[1] So humorlos fasst James Lindsay in einem Gespräch in seinem New Yorker Büro 2008 das Agieren der Bush-Regierung auf internationalem Parkett zusammen. Nicht nur der Außenpolitik-Experte beim Council on Foreign Relations hofft damals auf einen Kurswechsel unter Bushs Nachfolger. Zu diesem Zeitpunkt geht der Stern von Barack Obama bereits auf, alles deutet auf die Präsidentschaft des Shooting Stars der Demokraten hin. Am Ende gelingt dem „Anti-Bush“ – denn das ist Obama in den Augen seiner Anhänger zuhause in den USA, doch mindestens so sehr in Europa – der Sprung ins Weiße Haus.

Knapp acht Jahre später zeigt sich im Rückblick gerade in der Außenpolitik, wie sehr der Hoffnungsträger mit der visionären Rhetorik am Ende immer ein Manager der Macht gewesen ist. Von Anfang an führen der Präsident und sein Team – hier sind an erster Stelle Vizepräsident Joe Biden, der Stabschef des Weißen Hauses Denis R. McDonough, die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice sowie Obamas langjährige Vertraute und Beraterin Valerie Jarrett zu nennen – die Nation wie ein Unternehmen. Gleich einem Firmenchef geht Obama dabei systematisch vor, um die ‚Performance‘ dieses Unternehmens zu optimieren. Es ist bemerkenswert, dass der Präsident die Organisations- und Hierarchiestrukturen des Regierungsapparates noch stärker auf sich zugeschnitten hat als sein Vorgänger: Obama verlässt sich auf einen kleinen und eingeschworenen Beraterkreis, was unter anderem beim Nationalen Sicherheitsrat immer wieder Frust auslöst. Aus Sicht des Staatsoberhaupts liegen jedoch die Vorteile auf der Hand; schließlich ist die Ausgangslage hochkompliziert. Zwar sind sich die entscheidenden Köpfe in der Regierung (und Opposition) über die Führungsrolle der USA in der Welt einig. Doch gibt es unter ihnen durchaus abweichende Meinungen, wie mit einigen der aktuellen Herausforderungen umgegangen werden soll: Dem Drohnen-gestützten Kampf gegen den Terrorismus, dem rasanten Aufstieg Chinas, dem nationalistischen Gebaren Russlands, den Umwälzungen im Norden Afrikas und im Nahen Osten.

Obama wählt im Verlauf seiner Amtszeit zunehmend den kürzesten Weg zur Entscheidung, denn er hat Großes vor: Unter seiner Ägide sortiert die letzte Supermacht ihr globales Portfolio neu. Dies tut nach der desaströsen Außenpolitik unter Bush Not: Dessen Plan, darüber herrscht heutzutage größtenteils Konsens, ist nicht aufgegangen. Allerdings heißt das nicht, dass Obamas ‚Plan B‘ in allen Zielen mit den Zielen der Bush-Regierung bricht.

Priorität hat nach wie vor die langfristige Sicherung der Vormachtstellung des Hegemons USA. Die Supermacht stellt sicher, dass ihre militärische Überlegenheit dermaßen eklatant bleibt, dass die meisten Länder der Welt nicht einmal in Betracht ziehen, den Vorsprung der USA zu verringern. Die Vormachtstellung Amerikas geht mit seiner Energieversorgung Hand in Hand: Unter Obama arbeitet das Land zielstrebig – und erfolgreich – daran, etwa mit Hilfe von Fracking seine Abhängigkeit speziell von den labilen Regionen der Welt zu verringern. Allianzen werden geschlossen, um Kosten zu sparen; auch unter Obama lassen sich die Vereinigten Staaten jedoch weder von ihren Verbündeten noch den Vereinten Nationen oder der NATO in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken. Zu Bush-Zeiten war hier von ‚Multilateralism à la carte‘ die Rede; Obamas Mitarbeiter vermeiden diesen Tonfall, handeln aber ebenso. Von der Beförderung demokratischer Tendenzen in anderen Ländern hingegen hat man sich weitgehend verabschiedet. Niemand zieht mehr aus auf der Suche nach neuen Monstern, die es zu zerstören gilt. Das heißt jedoch nicht, dass Amerika den Kampf gegen die altbekannten Monster nicht entschlossener denn je führt: Obama hat den Einsatz von Drohnen gegenüber Bush z.B. in Pakistan, Somalia und im Jemen verneunfacht. Nach US- amerikanischen Schätzungen fielen diesen teilweise als präemptiv deklarierten Einsätzen zwischen 2009 und 2014 beinahe 2.500 Menschen zum Opfer, wobei der amerikanische Präsident offen zugibt, dass es nicht immer möglich ist, zwischen feindlichen Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden.[2]

Die Leitlinien sind somit die gleichen geblieben. Es gibt jedoch einen Unterschied im Vorgehen: Nüchtern und pragmatisch gleicht die Regierung Obama ihren Plan B den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts an, welche die Regierung Bush noch nicht begriffen hatte. Amerika hat sich mit dem Umdenken schwer getan; lange Zeit spielte die Nation das Spiel globaler Politik nach den traditionellen Regeln des Kalten Kriegs, als ob die seit jeher bestehenden Konfliktlinien zwischen souveränen Staaten nicht zumindest um eine neue Dimension nicht-staatlicher Akteure ergänzt worden wären. Die Lektion ist gelernt; heute definieren andere Charakteristika das US-amerikanische Auftreten in der Welt: P.L.A.N. B. ist Pragmatisch, Langfristig, Autoritativ, Nachgiebig, und als Folge hieraus und vor allem: Billiger.

Pragmatisch

Die Supermacht USA setzt ihr militärisches, wirtschaftliches und politisches Gewicht ein, um ihre Ziele zu erreichen. Oftmals entfaltet schon eine Geste beachtliche Wirkung, so etwa die Rückkehr US-amerikanischer Truppen auf die Philippinen (Enhanced Defense Cooperation Agreement von 2014) oder die Verlegung von 2.500 Marineinfanteristen nach Australien (Force Posture Agreement, ebenfalls 2014). Wohldosiert wird die militärische Schlagkraft der Vereinigten Staaten an den entscheidenden Stellen deutlich: Während Obama von den außenpolitischen Beobachtern des Landes wiederholt vorgeworfen wurde, den richtigen Zeitpunkt für einen Einsatz verpasst zu haben, entfalten die letztlich durchgeführten Militärschläge doch eine beachtliche Wirkung. Dies gilt für Kampfeinsätze on the ground ebenso wie für die Verwendung von Hochtechnologie: Der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September, Osama bin Laden, wurde im Mai 2011 auf seinem Anwesen in Pakistan von einem amerikanischen Spezialkommando getötet. Die Regierung Obama setzt im Kampf gegen terroristische Zellen mehr denn je auf Drohnen, sowohl was Überwachung als auch den Beschuss aus der Luft betrifft. Diese Methode ist auch in den USA umstritten, weil die vermeintliche Präzision der unbemannten Kleinflugzeuge längst nicht immer gegeben ist. Trotzdem zieht etwa Michael Dukakis, einst Präsidentschaftskandidat der Demokraten, den Drohnenkrieg noch martialischeren Methoden wie Flugzeugträgern vor. Letztere, 2012 vom damaligen Präsidentschaftsanwärter Romney und seinem Vize Paul Ryan ins Spiel gebracht, wären laut Dukakis nicht nur ungleich teurer (geschätzte Kosten pro Stück: ca. 14 Milliarden Euro), sondern auch schlicht nutzlos: Al-Qaida, so Dukakis, „lasse sich hiervon nicht abschrecken.“ Von der potenziellen Allgegenwärtigkeit der Drohnen hingegen ginge eine Bedrohung für die Terroristen aus. Ähnlich gestaltet sich die aktuelle Situation im syrisch-irakischen Grenzgebiet, wo der IS sein Kalifat ausgerufen hat.

Amerika setzt im 21. Jahrhundert auf hochleistungsfähige Technik: Auch im sogenannten Cyberkrieg ist die Weltmacht das Maß aller Dinge. Zwar werden nicht nur von US-amerikanischen Unternehmen, sondern auch bei den Streitkräften zunehmend Klagen über chinesische Computerspionage laut, aber trotz zahlreicher Hackerangriffe von außen sind die USA bei der kriegerischen Auseinandersetzung im virtuellen Raum den anderen Nationen nach wie vor voraus. Hand in Hand mit dieser Überlegenheit geht die intensive Nutzung: Amerika kämpft seine Konflikte schon längst auch im weltweiten Netz aus; das Risiko für Leib und Leben der eigenen Soldaten wird vermieden, der Zugriff auf Informationen ist potenziell unbegrenzt. Moralische Skrupel, auch den Verbündeten gegenüber, passen nicht zum Pragmatismus der Weltmacht: Die National Security Agency (NSA) fühlt sich für die Überwachung elektronischer Kommunikation in Deutschland wie in Afghanistan ebenso zuständig wie berechtigt.

Als größte Volkswirtschaft der Erde (BIP 2015: knapp 18 Billionen US-Dollar) wissen die Vereinigten Staaten ihr Gewicht Dritten gegenüber wirkungsvoll einzusetzen. Das Embargo gegen Kuba ist dabei nur das nachdrücklichste Beispiel. Es dauert bis heute an und steht somit für die längste Unterbindung von Import und Export in der Neuzeit, und das zwischen Nachbarländern. Dabei ist für amerikanische Unternehmen die sogenannte „Geschäftstätigkeit zum Vorteil Kubas“ limitiert, während Geschäfte anderer Art in beschränktem Umfang erlaubt sind. Das Embargo ist laut Obama „im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten“ und wird daher auf absehbare Zeit bestehen bleiben.[3]

Die wirtschaftliche Verflechtung mit anderen Ländern war immer schon ein zentraler Faktor, nach denen das Unternehmen Amerika sein Verhältnis zur Außenwelt definiert. Zu dieser nüchternen Rechnung gehört auch die amerikanische Annahme, dass andere es genauso halten. Der Politikwissenschaftler Robert Keohane spricht offen aus, was alle wissen, wenn er sagt, dass sein Land auf China aus diesem Grund ungleich mehr Rücksicht nehmen müsse als auf Guatemala. Ist der asiatische Riese verstimmt, zahlt die USA einen schmerzhaften Preis, bei ihrem kleinen südlichen Nachbarn hingegen gibt es wenig zu befürchten.

In politischer Hinsicht dominieren die USA nach wie vor die internationale Staatengemeinschaft. Ohne amerikanische Initiative haben es die anderen schwer. Noch wichtiger aber ist laut Ivo Daalder der umgekehrte Effekt. Der Chef der Denkfabrik Chicago Council on Global Affairs nennt dies die „enorme Blockadefähigkeit der USA. “Gegen die Weltmacht ist in der NATO wie auch bei der Welthandelsorganisation, den Vereinten Nationen oder der Weltbank keine Entscheidung zu fällen.

Langfristig

Am strategischen Vorgehen der USA in außenpolitischen Belangen lässt sich dieser Tage zweierlei ablesen: Zunächst die Fähigkeit, erfolgreiche Prinzipen der Vergangenheit beizubehalten und gleichzeitig pragmatisch-flexibel auf Veränderungen der geopolitischen Lage zu reagieren, also das Portfolio den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Damit in Zusammenhang – und nur scheinbar im Widerspruch – steht die Tatsache, dass die USA es sich leisten können, langfristig zu planen und die Weichen betreffend zukünftiger Entwicklungen bereits heute entsprechend ihren Interessen zu stellen. Die Weltmacht denkt in Dekaden, wie am Beispiel des großen strategischen Ziels schlechthin abzulesen ist, der Energie-Unabhängigkeit mit Hilfe von Schiefergas-Bohrungen (Fracking).

Manchmal sind die Dimensionen gar noch größer: Mit dem berüchtigten Achsendreh nach Asien zielt das Land laut Hillary Clinton darauf ab, das 21. Jahrhundert zu „America’s Pacific Century“ zu machen. Als die damalige Außenministerin diesen Anspruch im Magazin Foreign Policy verkündete, bekamen die Leser einen Eindruck davon, welche geographischen, aber auch welche zeitlichen Dimensionen Amerikas Handeln bestimmen – und wie selbstbewusst die Weltmacht ihre Ansprüche weiterhin postuliert. Für den ehemaligen Chefredakteur des Economist, John Micklethwait, zeigt diese strategische Umschichtung amerikanischer Interessen wie auch die Tatsache, dass das Land so frei darin ist, dies zu tun, dass wir es – immer noch – nicht mit einer „post-amerikanischen“ Welt zu tun haben. So sieht es Fareed Zakaria, der 2008 sein Buch The Post-American World nennt. Vielmehr handelt es sich laut Micklethwait um eine Welt, in der Amerika „sehr viel zurückhaltender“ darin ist, die Führungsrolle einzunehmen. Dieser Trend sei im Verlauf von Obamas Regierungszeit immer deutlicher hervorgetreten und werde wohl langfristig zu einer Konstante amerikanischer Außenpolitik werden.

Micklethwait bezeichnet Obama als „umsichtiger“ als seinen Vorgänger Bush, da seine politischen Entscheidungen auf Dauer angelegt und weniger auf interventionistische Tendenzen gegründet seien. Amerika habe sich etwa während des Arabischen Frühlings im Hintergrund gehalten und weitestgehend auf Direktiven verzichtet. Während dieser Konflikt eher in Jahren begriffen werden sollte (also auch aus diesem Grund keine Rede von Amerikas ‚afrikanischem Jahrhundert‘ zu erwarten ist), agiert die Weltmacht auch hier mit langfristigen Zielen im Blick: Dieses Mal geht es primär darum, amerikanische Kosten und Verluste in kriegerischen Auseinandersetzungen zukünftig möglichst gering zu halten. Folglich war im Libyen-Konflikt die Versicherung der amerikanischen Regierung, dass es keine eigenen Truppen auf libyschem Boden geben würde (no boots on the ground), der entscheidende Faktor. Großbritannien und Frankreich wurde die Führungsrolle überlassen; die USA traten einer Koalition aus 27 Staaten erst bei, als die Intervention gegen das Gaddafi-Regime ihren Lauf nahm. Die Bevölkerung war mit dem Vorgehen zufrieden: Nur etwa 20% sagten, die USA hätten erst gar nicht teilnehmen sollen. Wichtiger ist, dass nur 7% der Auffassung waren, die USA hätten die Führungsrolle übernehmen sollen. Viele Befragte einer Umfrage des Chicago Council weisen hingegen explizit auf den Wert geteilter Verantwortung hin, was wohl auch den schmerzhaften Lehren aus dem Afghanistan- und Irakkrieg geschuldet ist.

Autoritativ

Fällt in Amerika das Stichwort Autorität, so stellt man fest, dass der Begriff selbst von kritischen Stimmen innerhalb und außerhalb der Regierung nicht unbedingt in dem Sinn verwendet wird, wie es beispielsweise ein deutscher Beobachter tun würde. Hierzulande ist Autorität oft eine Rollenzuschreibung: Einer Instanz wird, etwa aufgrund ihrer Expertise, Erfahrung oder Stellung innerhalb der Gruppe, von anderen Entscheidungsgewalt zugeschrieben. Dadurch wird dieser Instanz eine herausragende Position zu eigen, aufgrund derer sie damit rechnen kann, dass von ihr getroffene Entscheidungen akzeptiert werden und für andere verbindliche Gültigkeit erhalten. In den USA wird Autorität jedoch oft schlicht mit Entscheidungsmacht gleichgesetzt: Die USA tun, was sie wollen, weil sie es können. Entsprechend dieser Auslegung sehen Regierungskritiker in den USA durchaus die Gefahr, dass ihr Land die von George W. Bush eingeschlagene Linie schrankenloser Autorität nicht mehr verlässt und unter Präsident Obama wie seinen Nachfolgern sogar noch weiter vorantreibt. Wurde der Tiger erst einmal aus dem Käfig gelassen, so der Politikwissenschaftler David Lake, dann ist es sehr schwer, ihn wieder dort hinein zu befördern. Wenn überhaupt, kann das nach dieser Logik nur den USA selbst gelingen. Wie zuvor erwähnt, stellen zumindest die kleineren Länder, die von der Schutz- und Handelsmacht USA abhängen, kein brauchbares Korrektiv für deren ungezügeltes Agieren dar. Mit anderen Worten: Die Supermacht müsste sich selbst einschränken. Führt man sich je doch vor Augen, wie die USA amerikanisches Recht auch auf fremdem Boden durchsetzen oder internationaler Gerichtsbarkeit die Anerkennung verweigern, ist Skepsis angebracht, ob sich der Tiger freiwillig wieder in seinen Käfig begibt. Unter Obama hat sich die gezielte Tötung von – darunter auch vermeintlichen – Terroristen durch weltweite Drohneneinsätze gegenüber Bush mehr als versechsfacht (auch die Zahl der zivilen Opfer hat sich verdoppelt). Das Gefangenlanger Guantánamo auf kubanischem Staatsgebiet ist nach wie vor in Betrieb (das Gelände liegt außerhalb des US-Territoriums und wird von Militärrecht bestimmt. Konsequenz: Die zivile Gerichtsbarkeit der USA hat keinen unmittelbaren Zugriff).

Natürlich ist den Strategen in den Schaltstellen der Macht wie auch den sie umgebenden außenpolitischen Kreisen bewusst, dass diese Form der Autorität einen hohen Preis hat. Ungezügelte Machtausübung beschädigt die Möglichkeit als legitim erachteter Herrschaft und daraus resultierender Geltungsansprüche, also Autorität im zweiten Sinn. Anfangs hatte es sicher geholfen, dass mit Obama nun ein gewandter Redner das höchste Amt im Staat innehatte, der sich in seiner Rhetorik deutlich von der Hau-drauf-Manier Bushs unterschied. Letztlich erlagen aber sowohl der Cowboy als auch der Diplomat den Versuchungen, welche die Konstellation der Unipolarität mit sich bringt: Es ist vermeintlich nicht mehr nötig, die eigene Autoritätsposition im weltweiten Nationengefüge zu pflegen, da es keinen gibt, der eine getroffene Entscheidung tatsächlich verhindern könnte. Allerdings können die anderen die Umsetzung jedweder Entscheidung sehr kostspielig machen, und das ist Politikern aller Couleur wie auch den Kommentatoren des politischen Geschehens bewusst. Fragt man so unterschiedliche Beobachter der Szene wie die zuvor erwähnten David Lake und John Micklethwait, wie es um die Autorität der USA heute bestellt ist, so bekommt man jedes Mal praktisch die gleiche Antwort. Auch der Anwalt und Jurist John Yoo, berühmt-berüchtigt für die sogenannten „Foltermemos“ der Bush-Regierung, in denen er auch Waterboarding im Kampf gegen den Terror für rechtlich zulässig erachtet, und der links-liberale Kolumnist Stephen Hill kommen zum gleichen Ergebnis: Auf einer Skala von 1 – 10 (wobei 10 für die höchste Autorität steht) legen sich alle Befragten auf 6-7 fest. Das ist ein Rückgang gegenüber der Jahrtausendwende; für die damalige Zeit schreiben alle den USA eine 8 zu.

Ein Problembewusstsein ist also vorhanden: Die Vereinigten Staaten verlieren international an Autorität. Aber als wirklich dramatisch wird dieser Autoritätsverlust offenbar nicht empfunden. Zumindest herrscht Einigkeit, dass aus einem 1-Punkt-Rückgang im Verlauf der vergangenen Dekade keine Bedenken wegen eines angeblichen Niedergangs der USA abzuleiten sind. Bei dieser Einschätzung macht auch der linke Rand keine Ausnahme. Interessant ist gleichwohl, dass sich die amerikanische Linke, die sich mit am meisten von Obama enttäuscht zeigt, im internationalen Kontext dann doch wieder hoffnungsvoll auf ihn bezieht. Wenn es um Amerikas Autorität in der Welt geht, sei Obama wohl in der Lage, etwas vom Image-Verlust wieder gut zu machen, den sich die Nation unter Bush geleistet habe. Die Begründung hierfür: Der derzeitige Präsident werde auch in anderen Ländern als geradliniger und prinzipientreuer, weniger ‚zweideutig‘ als Bush oder Al Gore wahrgenommen. Diese Einschätzung ist aus europäischer Sicht zweifelhaft, zumal nach den Enthüllungen über die Praktiken der NSA, die Unterwanderung deutscher Behörden durch amerikanische Geheimdienste und die Folterverhöre von Terrorverdächtigen durch die CIA. Wie aus dem Senatsbericht vom Dezember 2014 und einem Bericht der New York Times wenig später klar wird, war die von Obama angeordnete Tötung bin Ladens dreieinhalb Jahre zuvor von vorneherein auch als Rechtfertigung der brutalen Befragungen durch die US-Geheimdienste geplant worden. So konnte der Top-Terrorist angeblich nur gestellt werden, weil es der CIA gelang, entscheidende Informationen von den Gefangenen zu ‚erfragen‘.

Wichtiger ist an dieser Stelle jedoch die Erkenntnis, mit welch überwiegender Geschlossenheit die US-amerikanischen Intellektuellen wie Politiker, bei allen Kontroversen im politischen Detail, hinter der Idee der als legitim erachteten Spitzenposition ihres Landes in der Welt stehen. Aus pragmatischen Überlegungen heraus lassen sich vereinzelt Bemühungen feststellen, verlorene Autorität zurückzugewinnen (anstelle schlicht auf das Recht des Stärkeren zu pochen). Das Kalkül hierbei ist, die Kosten der Kooperation mit anderen Nationen möglichst gering zu halten. Und doch enden Anstrengungen dieser Art in dem Moment, wenn aus Sicht der Amerikaner damit eine Einschränkung der eigenen Handlungsfreiheit einherzugehen droht. Umso mehr, wenn diese Einschränkung das uramerikanische Sicherheitsbestreben berühren könnte. Jüngstes Beispiel ist auch in diesem Fall die Auseinandersetzung um die Abhörmethoden der Supermacht. Ein von Deutschland – einem der wichtigsten Alliierten – eingefordertes Anti-Abhörabkommen kommt für die Amerikaner nicht in Frage. Ungeachtet der Empörung hierzulande wurde dieses Ansinnen von Obama sofort unmissverständlich abgelehnt. Obama sah auch keinen Grund, etwa ‚wieder gut zu machen‘, dass seine Geheimdienste das Handy von Bundeskanzlerin Merkel wohl selbst in dem Moment abhörten, als der Präsident bei seiner Berliner Rede im Juni 2013 das deutsch-amerikanische Vertrauensverhältnis beschwor.

Mit dem Rückgang der Autorität hängt ein Vertrauensverlust zusammen. Aus amerikanischer Sicht ist das der Autorität der USA entgegengebrachte Vertrauen wichtig, wenn die Integration der internationalen Staatengemeinschaft im Sinne Amerikas gelingen soll. Nur wenn andere Staaten darauf vertrauen, dass die Supermacht ihre Entscheidungen nicht ausschließlich zum eigenen Wohl, sondern auch mit Rücksicht darauf fällt, wie andere davon betroffen sind, kann sich ein Konstrukt wie die Vereinten Nationen mit Leben füllen. Die dort gefällten Entscheidungen werden dann im Idealfall als verbindlich wahrgenommen, hierarchische Strukturen innerhalb der Organisation eher akzeptiert. Allerdings gilt weiterhin: Im Ernstfall ordnen die USA des 21. Jahrhunderts die Frage nach dem Vertrauen derjenigen nach der Autorität unter. Dementsprechend präsentiert sich auch die UN in Aufbau und Struktur: Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, mit Vetorecht ausgestattet, geben den Ton an. Gegen den Willen der USA ist nichts durchzusetzen.

Nachgiebig

Der englische Begriff resilience bringt die Idee der Belastbarkeit und Widerstandsfähigkeit zum Ausdruck, und zwar auf dem Weg der Nachgiebigkeit. Resilienz steht also für eine gewisse Elastizität, die es erlaubt, Belastungen auszuhalten und aufgrund der eigenen Federkraft beizeiten wieder in die ursprüngliche Form zurückzukehren, sich zu regenerieren. Dieses Nachgeben während einer Belastungsprobe und das anschließende ‚Zurückfedern‘, wenn sich die Situation entspannt, gehören zusammen. Beides verhindert, dass ein Körper, ein Gegenstand, eine Nation unter Druck zerbrechen, wie es bei einer starren Konstellation der Fall wäre.

Die Vereinigten Staaten präsentieren sich unter Obama flexibel im Umgang mit neuen weltpolitischen Herausforderungen. Die Idee der Resilienz steht hinter dem globalen Kampf gegen den Terrorismus, den das Land führt. Politischen wie militärischen Entscheidungsträgern ist klar, dass diese Auseinandersetzung nicht mit herkömmlicher Kriegsführung zu gewinnen oder kurzfristig zu einem Ende zu führen ist. Doch sollte die neue Geduld der Weltmacht nicht mit Langmut verwechselt werden. Vielmehr spiegelt sich der Pragmatismus der Vereinigten Staaten in der Bereitschaft, mal entschiedener, mal zurückhaltender vorzugehen. Offenbar erfolgreich: Entgegen realpolitischer Prognosen ist auf dem Globus bisher keine anti-amerikanische Koalition entstanden (worauf Russland dieser Tage abzuzielen scheint), um das Gewicht der USA zu kontern. Als Beispiel für den Erfolg amerikanischer Resilienz ist hingegen die Politik der Weltmacht in Fernost zu nennen: Amerika nutzt den Aufstieg anderer, wesentlich kleinerer Staaten zum eigenen Vorteil und speziell dafür, die regionale Großmacht China in Schach zu halten. So hielt sich das Land unter Obama in der Region auffallend zurück, bis die Tigerstaaten und Vietnam, besonders aber Japan im Inselstreit nach mehr US-Präsenz vor Ort riefen, um sich besser gegen China behaupten zu können. In der Folge verlegte Amerika mit voller moralischer Legitimation Truppen auf die Philippinen und nach Australien (siehe oben).

Billiger

Die Vereinigten Staaten haben sich unter Obama für eine neue, ökonomischere Version ihres globalen Engagements entschieden. Die Form der weltweiten Präsenz, wie sie sich im Verlauf des Kalten Kriegs entwickelt und während der Regentschaft von George W. Bush am stärksten ausgeprägt hatte, ist auf Dauer zu teuer. Gleich einem Unternehmen drückt die Weltmacht die Kosten ihrer außenpolitischen Verpflichtungen, ohne dabei den eigenen Anspruch auf größtmöglichen Einfluss und die letzte Instanz in weltpolitischen Fragen aufzugeben.

Neu ist, dass andere Länder in höherem Maße als früher in die Verantwortung genommen werden. Der damalige US-Verteidigungsminister Robert Gates machte bei seiner Rede zur Zukunft der NATO in Brüssel bereits 2011 unmissverständlich deutlich, was es für Europa bedeutet, einen Teil der Kosten zu schultern. Laut ihm standen der Wert und die Notwendigkeit der transatlantischen Allianz beinahe sechs Dekaden lang in den USA nicht zur Debatte: Gut die Hälfte aller Militärausgaben in der NATO übernahm die Weltmacht. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Mauerfall beträgt der amerikanische Anteil an den Kosten jedoch sogar mehr als 75%. Dies zu einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten zuhause mit schmerzhaften Einschnitten zu kämpfen haben. Laut Gates wird die US-amerikanische Bereitschaft, sich über Gebühr einzubringen, stetig geringer. Seine Nachfolger, Leon Panetta und Chuck Hagel, wichen von dieser Linie nicht ab, und der aktuelle Amtsinhaber Ashton Carter nutzt gleich seinen Antrittsbesuch in Berlin dazu, den Deutschen weiter ins Gewissen zu reden. Allen Europäern voran stünde es Berlin im Jahr 2015 an, sich den aktuellen Herausforderungen für das westliche Bündnis zu stellen: „Die Herausforderung im Süden durch den ‚Islamischen Staat‘ (IS) und jene im Osten durch die neue Machtpolitik Russlands.“[4] Nicht zuletzt hierdurch wird unmissverständlich klar: Amerikas Plan B wird zwangsläufig auch für Europa eine Planänderung bedeuten. Dabei gilt es, auf der Höhe der Zeit zu bleiben: Nach derzeitigem Kenntnisstand stehen Europa – und zuallererst Deutschland – mehr Forderungen nach globaler Verantwortung und mehr Unruhe vor der eigenen Haustüre ins Haus, ganz gleich, an wen Obama den Schlüssel zum Weißen Haus übergibt.

 

[1] Interview mit James Lindsay, in: Tobias Endler, After 9/11: Leading Political Thinkers about the World, the U.S. and Themselves (2011), S. 97 ff. Übersetzung ins Deutsche durch den Autor. Alle weiteren Zitate stammen ebenfalls, sofern nicht anders gekennzeichnet, aus Interviews, die der Autor geführt hat.

[2] “For the most part they have been very precise precision strikes against Al Qaeda and their affiliates,” so Obama im Jahr 2012. Siehe Scott Shane, “U.S. Said to Target Rescuers at Drone Strike Sites”, New York Times, 5. Februar 2012.

[3] Anfang 2015 lockert die US-Regierung die gegen das sozialistische Kuba verhängten Reise- und Handelsbeschränkungen weiter. Obama hatte diese Entschärfung nach 55 Jahren Embargo verfügt; aufheben kann der Präsident das Embargo ohne Zustimmung des Kongresses aber nicht.

[4]Ulrike Scheffer, „Russland soll zurück in die Zukunft“, Der Tagesspiegel, 22.6.2015.

 


Im Dossier #Election2016 wird sich Carta in den kommenden Monaten mit den Kandidaten, Kampagnen und Konzepten von Demokraten und Republikanern beschäftigen. Wohin bewegen sich die Vereinigten Staaten von Amerika? Und welche Rolle wird Europa, wird Deutschland zukünftig spielen?

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