Jan Philipp Albrecht: „Nationale und rückwärtsgewandte Antworten können nur in katastrophale Zustände führen“
Im November letzten Jahres hatte der Film „Democracy. Im Rausch der Daten“ Premiere. Er wird auch im Rahmen des Dokumentarschwerpunkts der Berlinale 2016 gezeigt. Der Film begleitet einen Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene mit dem Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht im Mittelpunkt. Carta spricht mit ihm über die Eignung europäischer Politik als Stoff für Filmprojekte, die Reaktionen von Zuschauern und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
Carta: Um was ging es Ihnen bei diesem Film? Die Brüssler Politikwelt ist ja auf den ersten Blick nicht gerade der Stoff, aus dem spannende Dramen entstehen.
Jan Philipp Albrecht: Mir ging es vor allem darum, Transparenz und Einblicke in die EU-Gesetzgebung zu bringen und mich daher bereit erklärt, unsere Datenschutzgesetzgebung so offen wie möglich zu gestalten.
Bei den Filmvorstellungen fällt mir jetzt auf, wie groß das Verlangen der Menschen nach diesem Einblick in die so dröge und kompliziert erscheinende EU ist. Und wie groß die Überraschung darüber ist, dass es dort tatsächlich hoch spannend und menschlich zugeht.
Und wird dieses Verlangen befriedigt mit dieser ja bislang eher unüblichen Darstellung von politischen Entscheidungsprozessen?
Der Film stellt ohne Zweifel eine neue Qualität der Darstellung von komplexen demokratischen Prozessen dar. Für mich ist diese Dokumentation ein Vorbild für hoffentlich noch viele weitere dieser Art. Für die EU wäre das ein wichtiger Schritt hin zu einer europäischen Öffentlichkeit über die Geschehnisse in Brüssel und Straßburg, insbesondere was den noch immer vollkommen intransparenten Prozess im Ministerrat angeht, also unter den 28 Regierungen der Mitgliedstaaten der EU.
Nach jahrelanger Politikabstinenz stellen sich die Menschen gegen TTIP auf die Strasse, gefühlt wurde selten so viel über und für Europa geschrieben. Gleichzeitig sammeln sich besorgte Bürger unter der Pegida-Flagge und die mindestens „europakritische“ Partei AfD hat ungeahnte Umfragewerte. Die Kritik an dem, was „aus Brüssel kommt“ und der „Politik hinter verschlossenen Türen“ ist weit verbreitet. Sind das Zeichen des Abgesangs auf Europa oder des Beginn einer immer wieder eingeforderten europäischen Öffentlichkeit mit intensiven Debatten um Europas Zukunft?
Ich glaube schon, dass wir die als tiefe Krise erscheinende gegenwärtige Auseinandersetzung über europäische Angelegenheiten tatsächlich eher als große Chance für eine deutliche Vertiefung und Einigung zwischen den EU-Staaten und in der Europäischen Union sehen können. Natürlich ist aber die große Frage, ob die führenden und machthabenden Politiker der Parteien diese Chance auch nutzen. Da habe ich mit Blick auf die großen Koalitionen in Berlin und Brüssel derzeit große Zweifel und hoffe, dass die Menschen anfangen, von den Parteien europäische Lösungen und Antworten einzufordern. Denn die so genannte Alternative nationaler und rückwärtsgewandter Antworten können angesichts einer fortschreitenden Globalisierung aller Lebenssachverhalte, nicht zuletzt durch die Digitalisierung, nur in ein Versagen der Demokratie und katastrophale Zustände führen.
Nun mahnt die EU-Kommission derzeit eine einheitliche Kommunikation zu TTIP an. Es solle endlich über Tatsachen berichtet werden, die Kritik und Skepsis würden europaweit überhand nehmen. Ist das nicht schlichtweg der Versuch, die Menschen auf die Seite der TTIP-Befürworter zu ziehen, anstatt wirklich aufzuklären?
Insbesondere bei internationalen Verhandlungen wie zu TTIP zeigt sich doch: Was fehlt, sind europäische parlamentarische und öffentliche Debatten, die die hier verhandelnde EU-Kommission und die mandatsgebenden Regierungen der EU-Länder unter echten Druck setzen können. Derzeit wissen sie, dass sie die Verantwortung immer von sich weisen können, weil den Menschen vollkommen unklar ist, wer hier eigentlich was verhandelt und keine echte Öffentlichkeit über diese Verhandlungen und ihre Inhalte entstehen kann. Es ist von essentieller Bedeutung, dass die Menschen ein solches Vorgehen bei so entscheidenden Fragen nicht hinnehmen, sondern eine transparente öffentliche Debatte und klare Verantwortlichkeiten einfordern. Nur wenn sich das ändert, kann man sich auch ehrlich damit auseinandersetzen, welche transatlantischen und internationalen Regeln sinnvoll und akzeptabel sind.
Herr Albrecht, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Als Abgeordneter des Europäischen Parlaments vertritt Jan Philipp Albrecht für die Partei Bündnis 90/Die Grünen die Bürgerinnen und Bürger aus Hamburg und Schleswig-Holstein. Seine Themen sind Innen- und Justizpolitik, dabei geht es um die Reform des Europäischen Datenschutzrechts, die Europäische Staatsanwaltschaft, Polizeipolitik und die Bekämpfung von Rechtsextremismus. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei „Bürgerrechten im digitalen Zeitalter“.
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5 Kommentare
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Nein, Ihr Zähler wird laufend verändert:
Deshalb ist @Lusru | 12.03.2016 | 16:13 Uhr zu streichen, da inzwischen falsch:
„Sorry Herr Christian Neuner-Duttenhofer, die Freischaltung meines ersten Kommentars wurde trotz mehrfacher Aktualisierungen erst nach dem Senden meiner „Anfrage“ dazu sichtbar,…“
denn dieser gemeinte Kommentar wurde inzwischen erneut glöscht, so dass erneut nur mein Kommentar vom
@Lusru | 12.03.2016 | 16:03 Uhr zutrifft:
>@ Christian Neuner-Duttenhofer
wie ist das jetzt in Ihrem blogmanagement, was zählt:
Feigheit vor dem Andersdenkenden, nur Agitation und Propaganda für einen Eu-Abgeordneten mit lobhudelnden Fragen?
Oder wollen Sie Reden und Gegenreden, etwa so wie in Demokratie, hier üben, verbreiten, schätzen und schützen lehren?
Wie ich sehe, hat es bisher kein Kommentar in Ihre Freischaltung gebracht, was wohl der Grund dafür ist?<
Schade, es sah so aus, als ob da meine Negativvermutung bei Ihnen keinen Platz hätte und Sie durchaus Meinung an Meinung stellen rsp. stehen lassen könnten, etwa so wie in Demokratie, in unserer nationalen Demokratie, in der sich alle politischen demokratisch plazierten Sichten nach vorn orientieren, an dem "to do" unserer Gesellschaft, indem diese als erstes erfasst wird, wie sie ist und von dort aus vorausgedacht wird.
Aber so bleibt Ihre Sicht hier auch nur wieder festgefahrene rückwärtsgewandte Schlagwortpopulistik der 50er und 60er Jahre,gewissermassen Schule der "alten Männer", statt der Betrachtung der inzwischen "erwachsenen" Frauen die gleiche Aufmerksamkeit und Prüfung zu widmen, womit ich stellvertretend Hannah Arendt und ihre Erkenntnisse zur Entstehung von Totalitarismen, vor allem in jeder vom Dunst eines allseits und allgemein populistischen mainstreams geprägten Parteienzirkus, erwähnen darf.
Diese Frau hat sich dazu weit intensiver GEdanken gemacht, als das unsere gegenwärtige sprödstaubige Durchschnittspopulistik in den Parteien sich wohl vorstellen kann – Was das wohl so für "Antworten" werden? Wer sich wohl so für solche interessiert?
Alle Totalitarismen entstehen aus den in Eigennutz und Beschränktheit darauf installierten Spaltungen, völlig gleich, ob "linkse", "rechtse" oder zwischen diesen sich ein(ver)klemmende Positionen
Danke. Unser Zähler funktioniert.
Hinweis:
Ihr Kommentarzähler funktioniert nicht, oder …?
Sorry Herr Christian Neuner-Duttenhofer, die Freischaltung meines ersten Kommentars wurde trotz mehrfacher Aktualisierungen erst nach dem Senden meiner „Anfrage“ dazu sichtbar, so dass ich mit diesen Überlegungen zu einer Löschung meines Kommentars letztlich wohl daneben liege und diese hinfällig sind.
Bitte nehmen Sie zur Vermeidung unnötiger Missverständnisse nun meinen zweiten Kommentar und diesen Text hier aus der Anzeige heraus – oder anders: Lassen Sie nach ihren Belieben halt beides auch drin, denn zusammen erklärt es sich auch.
(;-)
@ Christian Neuner-Duttenhofer
wie ist das jetzt in Ihrem blogmanagement, was zählt:
Feigheit vor dem Andersdenkenden, nur Agitation und Propaganda für einen Eu-Abgeordneten mit lobhudelnden Fragen?
Oder wollen Sie Reden und Gegenreden, etwa so wie in Demokratie, hier üben, verbreiten, schätzen und schützen lehren?
Wie ich sehe, hat es bisher kein Kommentar in Ihre Freischaltung gebracht, was wohl der Grund dafür ist?
Als Herausgeber dieser sinnvollen CARTA haben Sie doch nicht etwa ihre REIFEprüfung zu absolvieren – oder wollen Sie CARTA zu IHREM Propagandainstrument versemmeln – das wäre sehr sehr schade.
Falls Sie auf meinen Kommentar doch wieder Wert legen möchten, gewissermassen als Zeichen von Seriösität, kurze Anmerkung hier genügt, und ich stelle die Kopie erneut ein.
Eventuell zeigen Sie Herrn Jan Philipp (ist?) Albrecht diesen und meinen nicht freigeschalteten Text als Dienstleistung an engagierte Menschen, die anders nicht erfahren würden, was es zu ihren Ansichten für Meinungen gibt, ein wohl selbstverständlicher in Demokratie üblicher Liebesdienst an Freunde …