#AfD

Vor dem Fest

von , 8.12.15

„Driving Home for Christmas“ wird rauf und runter im Radio gespielt werden, während sich wieder Hunderttausende auf die Reise quer durch die Republik machen, um Weihnachten im Kreise ihrer Liebsten zu verbringen. Oder im Kreise ihrer Verwandtschaft. Es werden andere Weihnachten sein, als noch vor ein oder zwei Jahren. Es werden völlig andere Gespräche stattfinden, als vor drei, vier oder fünf Jahren. Es werden Gespräche sein, in denen „Paris“, „Syrien“, „Flüchtlinge“, „Krieg“, „Terror“ und „Dresden“ vorkommen werden. Und nicht selten wird ein Riss durch die Familien gehen.

Es wird die Nichte, die in Berlin studiert und sich für Flüchtlinge engagiert, auf den Onkel treffen, der beim nächsten Mal AfD wählen will. Es werden sich Eltern mit Kindern streiten und diesmal nicht über das, worüber sie sich bisher jedes Mal in die Haare bekommen haben. Deutschlands Kirchen werden wieder gefüllt sein – aber diesmal mit mehr engagierten Christen und auch mit wesentlich mehr Heuchlern, die Lieder anstimmen werden, deren Sinn sich ihnen wohl noch nie erschlossen hat.

Deutschland hat die Wahl. Und Deutschland wird sich entscheiden müssen. Nicht an der Wahlurne, nicht in einem Volksentscheid, sondern ganz privat: In welchem Deutschland wollen wir leben? Wie will ich leben? In welchem Land sollen meine Kinder aufwachsen, in welchem gesellschaftlichen Klima will ich älter werden?

Die Deutschen standen schon häufiger vor einem Scheideweg und sie haben sich nicht unbedingt einen Namen damit gemacht, richtig abzubiegen. Ich bin sehr optimistisch, dass es diesmal anders kommen wird. Deutschland ist weiter als manche Skeptiker und auch manche hasenfüßige Politiker meinen.

Die Zukunft Deutschlands wird unter dem Tannenbaum entschieden. Damit es eine gute Zukunft wird, müssen alle klare Kante zeigen, die das moderne, weltoffene, demokratische, freie, europäische Deutschland schätzen, lieben und immer besser machen wollen. Sie müssen dem Rassismus, den Vorurteilen, der verdrucksten Engstirnigkeit oder gar der Aggression offensiv begegnen. Zu Hause. Gegenüber dem Bruder, der Oma oder auch den eigenen Eltern.

Wer das moderne Deutschland will, der muss aufklären, argumentieren, Ängste nehmen, diskutieren, debattieren und darf sich nicht verkriechen um des lieben Friedens willen.

Zwischen einem weltoffenen Deutschland und einem Deutschland der brennenden Flüchtlingsheime, der Verrohung, Bedrohung und rechter Parolen gibt es keinen Kompromiss. Gibt es keinen Kompromiss. Gibt es keinen Kompromiss. Gibt es keinen Kompromiss.

Wenn besonders die Älteren Sorgen umtreiben, ob das gut gehen kann mit Zuwanderung und Integration, dann ist es an den Jungen, sie aufzuklären. Über die fremdländisch klingenden Namen in ihrem Adress-Account, über das gemeinsame Arbeiten in internationalen Firmen, über das Aufwachsen in kulturell vielfältigen Metropolen, über die globalen Freundschaften in sozialen Medien, über ein Leben, das sie schon längst leben.

Es geht nicht darum, dass man sich etwas vormachen muss, oder dass alles perfekt laufen wird. Aber alles, wirklich alles, wird besser laufen als zwischen 1933 und 45. Das kann man mit gutem Wissen und Gewissen laut und deutlich vertreten.

Es ist nicht mein Deutschland, in dem Lokalpolitiker verhetzt, bedroht oder gar abgestochen werden. Es ist nicht mein Land, in dem Feuerwehren in brennende Flüchtlingsheime gerufen werden. Es ist nicht mein Land, in dem Menschen, die Kleider oder Lebensmittel spenden, von einem wütenden Mob angebrüllt werden. Das kann nicht das Land sein, indem wir leben wollen. Aber wenn es das nicht ist, dann dürfen wir nicht still sein.

Ja, auch ich habe ein mulmiges Gefühl am Flughafen, im Hauptbahnhof oder in der U-Bahn. Und ich bin fast täglich an einem dieser Orte. Aber ich käme niemals auf die Idee, die Flüchtlinge, die vor dem Terror fliehen, dafür verantwortlich zu machen. So schrecklich es sein mag, aber die Anschläge von Paris haben mich den Flüchtlingen näher gebracht. Etwa zwei Wochen vor den Anschlägen saß ich in den Cafés rund um das Zentrum der späteren Anschläge. Die Anschläge von Paris wiederholen sich jeden Tag. In Syrien. Im Irak. In Afghanistan, wo jeder Gang zum Gemüsehändler der letzte sein kann. Der Terror im Alltag ist, was die Menschen zu uns treibt und den verstehe ich heute noch besser als vor einigen Wochen.

Was ich aber überhaupt nicht kannte, war eine dunkle Bedrohung zu Hause in Deutschland. Kürzlich hatte ich eine Lesung in Magdeburg, kurz nach der Veröffentlichung meines auch auf stern.de und carta.info hunderttausendfach verbreiteten Blogbeitrags „Es ist Zeit.“ Dieser hatte natürlich auch die erwarteten freundlichen Mails zur Folge, aber ich dachte mir nichts dabei. Bis immer mehr Freunde oder Kollegen meinten: „Magdeburg? Pass auf Dich auf!“. Und schon waren sie da, die Bilder von Baseballschläger-bewaffneten Nazis, die in den Straßen Magdeburgs Jagd auf Flüchtlinge machen. Warum dann auch nicht auf Blogger? Es passierte nichts, die Veranstaltung war gut besucht, alles friedlich, alles fein. Nichts ist friedlich, wenn man sich solche Gedanken machen muss.

Der Terror ist in Deutschland angekommen. Der Terror von Deutschen. Gegen Flüchtlinge aber auch gegen alle engagierten Demokraten und alle, die nie wieder zurück wollen in die schrecklich beschränkten, hasserfüllten und intellektuell armseligen Grenzen des dunklen Deutschlands.

Einige meinen, man dürfe nicht immer die „Nazikeule“ schwingen, gegen die Nazis. Ja, gut, dann schwingt halt die Gänsekeule. Oder irgendwas veganes. Es geht um euer Deutschland, eure Zukunft, eure Freiheit – euer Leben, so wie ihr es kennt. Es geht um eine immer noch junge Demokratie, die auf der ganzen Welt bewundert wird. Und die absolut keine Selbstverständlichkeit ist.

Also: Rein mit den Plätzchen, rauf mit den Kilos und raus mit der Sprache.

Fröhliche Weihnachten.

PS: Und wenn ich ihm schon den Titel klaue, dann auch noch mein Lesetipp: Sasa Stanisic: Vor dem Fest. Großartig, verwunschen, brillant. Hat mit dem Artikel gar nichts zu tun. Bis auf die Tatsache, dass auf Amazon tatsächlich kommentiert wurde, er solle gefälligst über Bosnien schreiben und nicht über die Uckermark. Und überhaupt dürfe man ihn nicht mit einem wie Fontane vergleichen, weil er ja kein Deutscher sei. Der arme Fontane. Wer solche Freunde hat…

Der Text ist auch erschienen auf frank-stauss.de

 


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