#ARD

Experimentierfreude statt Romantik

von and , 10.8.15

Es war der Sieg der deutschen Romantik gegen amerikanische Lässigkeit und französischen Tiefgang: Am 18. Juni 1983 setzte sich die Gebirgsschmonzette „Das Schweigen im Walde“ gegen das amerikanische „Bettgeflüster“ und Frankreichs Annie Girardot in „Anklage: Mord“ durch. Der deutsche Fernsehzuschauer hatte gesprochen – auf seinen Wunsch wurde an diesem Tag statt einer Komödie oder einem Krimi das Ganghofer-Drama im Zweiten Deutschen Fernsehen gesendet. Der Zuschauer hatte – zumindest für diesen Abend – die Programmhoheit übernommen.

„Wunschfilm der Woche“ nannte sich dieses Konzept, das auch in der Schweiz und in der damaligen DDR erprobt wurde: Der Zuschauer wurde per Postkarte oder später per Televoting zum Programmdirektor befördert. In der Bundesrepublik dauerte dieses Experiment von 1983 bis 1989; in den Sommermonaten konnten die Zuschauer jede Woche unter drei Filmen den Samstagsabendfilm bestimmen. Western, Krimis, Heimatfilme, Komödien – zum ersten Mal in der Geschichte des Deutschen Fernsehens hatte der Zuschauer das Gefühl, dass er zumindest einen Teil des Programms bestimmt.

Heute bestimmen wir schon lange unser Programm selbst: Video, DVD, Internet-Videos, Video-on-demand – das lineare Fernsehen scheint seine besten Zeiten hinter sich zu haben. Das bekommen auch die Öffentlich-Rechtlichen Sender zu spüren, deren Programmanteile schon lange nicht mehr mit denen der achtziger Jahre zu vergleichen sind – auch wegen der Tatsache, dass wir heute schon längst unsere eigenen Programmdirektoren sind. Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist, dass die Öffentlich-Rechtlichen Sender zunehmend den Anschluss an die Jugend verlieren – das Durchschnittsalter der Hauptsender liegt mittlerweile bei 60 Jahren. Mit dem zweiten sieht man vielleicht besser – aber nicht, wenn man unter 30 ist, diese Altersklasse sieht auf Youtube, Netflix und Watchever besser.

Aber wie soll man die jungen Zuschauer zurücklocken an das mediale Lagerfeuer der siebziger und achtziger Jahre? Bisher versuchen es die Öffentlich-Rechtlichen über Nischensender mit entsprechenden Inhalten für die junge, hippe Generation – über den Erfolg dieser Strategie lässt sich angesichts der Zuschauerzahlen diskutieren. Gibt es noch andere Wege, das Publikum wieder enger an öffentlich-rechtliche Sender zu binden?

So gesehen sollte man neu über den Wunschfilm der Woche nachdenken: Warum nicht die Idee von einer größeren Zuschauerbeteiligung wiederbeleben – auf einer etwas höheren Ebene? Die Idee ist einfach: Die Öffentlich-Rechtlichen veröffentlichen auf ihren Homepages Exposees von Projekten, die man verwirklichen könnte, und lassen die Zuschauer per Internet darüber abstimmen, welches dieser Projekte realisiert und gesendet werden soll. Der Zuschauer kann sich im Internet in Ruhe ansehen, welche Projekte zur Wahl stehen, wer sie macht, was sie kosten sollen und kann abstimmen, welches Projekt er gerne realisiert und gesendet sehen möchte. Auf diese Weise gewinnt der Zuschauer ein Stück mehr Programmhoheit, was auch seine Bindung an die Öffentlich-Rechtlichen sowie die Akzeptanz des Rundfunkbeitrags erhöhen könnte.

Das Argument, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ja gerade ein Programm machen soll, das sich explizit nicht an den Wünschen der Zuschauer richtet, verfängt hier nicht, denn die Sender haben nach wie vor die Kontrolle darüber, welche Projekte sie zur Auswahl stellen – man muss also keine Abstriche am Programmauftrag machen. Zudem geht es nicht um Spielfilme, die gesendet werden sollen, sondern um Reportagen, Dokumentationen und Sendeformate, die als besonderer Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen angesehen werden.

Ein Gegenargument könnte die geringe Beteiligung sein, die man beim Wunschfilm der Woche in den achtziger Jahren gesehen hat; Berichte sprechen davon, dass sich damals lediglich rund 30.000 Zuschauer beteiligt hätten, das „Tor des Monats“ der ARD-Sportschau hingegen habe in diesen Jahren mehr als 300.000 Zuschauer zum Abstimmen motiviert. Allerdings sind die Möglichkeiten der Abstimmung und Zuschauer-Partizipation mittlerweile deutlich besser und billiger geworden, so dass diese Idee daran nicht scheitern muss. Zudem kann man derartige Experimente zunächst einmal in den öffentlich-rechtlichen Nischensender starten, bevor man sich an größere Projekte wagt.

Im Ansatz gibt es ein derartiges Verfahren bereits. Im Jahr 2012 wurde das TVLab auf ZDFneo eingerichtet. Hier haben im Jahr 2014 immerhin mehr als 13.000 Teilnehmer über fiktionale Serienideen abgestimmt. Eine weitergehende wissenschaftlich fundierte Begleitforschung gab es allerdings nicht. Ob das Experiment die Zuschauerbindung und Akzeptanz des Rundfunkbeitrags gesteigert hat, lässt sich somit nicht beurteilen. Eine verschenkte Chance. Wer neue und alte Zuschauer enger an sich binden will, muss Mut und Kreativität haben – auch und vielleicht gerade die jüngeren Zuschauergruppen lassen sich vielleicht nicht durch Ganghofer-Schmonzetten, aber durch mehr Experimentierfreude für ARD und ZDF begeistern. Eine moderne und wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung des Wunschfilms der Woche könnte sich lohnen.

 


Mehr zum Thema: Carta-Dossier Transparenz und Finanzierung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

 


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