#Burbach

Die besten Ausreden für Misshandlungen von Flüchtlingen

von , 14.10.14

Alles was bei den Amerikanern passiert, schwappt nach 5 oder 10 Jahren nach Deutschland, sagte man, bevor das Internet den zeitlichen Abstand zwischen den Kontinenten verkürzte. Von Abu Ghraib bis Burbach hat es dann aber doch volle 10 Jahre gedauert.

In der dortigen Flüchtlingsunterkunft hat das Wachpersonal Flüchtlinge misshandelt, verprügelt, getreten, gefesselt und wer weiß, was noch. Die Täter fanden das – wie einstmals im Irak – fotografierens- und filmenswert sowie, sonst wäre das Ganze nicht an die Öffentlichkeit gekommen, auch verbreitenswert. Die Feiern, bei denen so etwas stolz herumgezeigt wird, will man sich gar nicht vorstellen.

Fotos und Filme zeigen, dass Misshandlungen der Flüchtlinge von einem Großteil des Personals als zu ihrer Aufgabenbeschreibung gehörend empfunden wurde. Zudem werden jetzt weitere Fälle bekannt, auch in anderen Unterkünften.

Die in Deutschland auch historisch beliebte Einzeltäterthese ist also nicht haltbar. Was macht man, wenn sich niemand dazu bereit findet, durch Exil oder Selbstmord alle Schuld auf sich zu nehmen? Man sucht nach Erklärungen, die sich bei näherer Betrachtung als Ausflüchte oder Ausreden herausstellen.

Die US-Soldaten in Abu Ghraib hatten noch richtige Ausreden für ihr Ausrasten: Krieg, 15 Monate Einsatz in der Wüste, Schusswechsel und Selbstmordattentäter sobald man den Stützpunkt verläßt. Damit kann das Wachpersonal in Nordrhein-Westfalen nicht mithalten, so anstrengend Einzelne die abendliche Heimfahrt auf der A 45 oder das schlechte Fernsehprogramm im Pausenraum auch empfinden mögen.

Reflexartig holt jede Interessensgruppe ihre Erklärungen aus der Schublade:

„Das sind die Auswüchse einer vollkommen fehlgeleiteten, schleichenden Privatisierung der inneren Sicherheit“, sagte Sebastian Fiedler, NRW-Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, und andere Vertreter der Interessen des öffentlichen Diensts stimmen zu. Dass Flüchtlinge und Asylbewerber im Polizeigewahrsam nicht immer höflich oder freundlich behandelt werden und dass sie diese Kontakte manchmal nicht überleben, verschweigt die Polizeigewerkschaft.

Mir leuchtet das Argument mit der Privatisierung nicht ein. Krankenhäuser sind privatisiert, die Post ist privatisiert, der Zugverkehr ist privatisiert, die Lufthansa wurde privatisiert, aber dennoch schlagen und treten Stewardessen, Briefträger und Ärzte niemanden. Nein, an der Privatisierung kann es nicht liegen.

Aus der Gewerkschaftsecke kommt der Hinweis auf niedrige Löhne des Wachpersonals. Das entbehrt ebenfalls jeglichen Zusammenhangs. Noch niemand wurde beim Einkaufen im Supermarkt, beim Friseurbesuch oder an der Imbissbude eingesperrt oder angekettet, obwohl dort Niedriglöhne gezahlt werden. Es gibt durchaus gute Gründe für Mindestlöhne, aber dass Menschen bis 8,50 Euro pro Stunde prügeln und ab 8,51 Euro plötzlich ganz nett zu Afghanen und Somalis sind, kann mir niemand weismachen.

In die gleiche Richtung geht der Erklärungsversuch, die Männer seien mangelhaft ausgebildet gewesen. Die Aussage eines Professors aus dem Jura-Studium kommt mir in den Sinn: „Menschenwürde kann man schwer definieren, aber man erkennt sie, sobald sie verletzt wird.“ Wenn täglich der Großteil der Bevölkerung seine Arbeit verrichtet, ohne seinen Kunden oder den ihm anvertrauten Menschen mit dem Stiefel ins Gesicht zu treten, kann man davon ausgehen, dass es zu dieser Einsicht keiner Schulung oder Ausbildung bedarf. Spätestens mit Abschluss des Kindergartens gehört das zum Allgemeinwissen.

Die Kommunen weisen schließlich noch darauf hin, dass sie überlastet seien und mit der „Flut“ an Flüchtlingen vom Bund und der EU allein gelassen werden. Also etwa so wie beim Ausbau von Kindergartenplätzen. Ich bin gespannt, ob Misshandlungen von Kleinkindern, so sie mal bekannt werden, konsequenterweise ebenso entschuldigt werden würden.

Aber woran liegt es dann? Ich kann zwei Gründe ausmachen:

Zum Einen ist es immer gefährlich, Menschen in Uniformen zu stecken und ihnen Schlagstöcke, Pfefferspray und Handschellen zu geben. Unabhängig davon, ob privat oder staatlich, Beamter oder Mindestlöhner, solche Konstellationen sind kein guter Nährboden für humanen Umgang miteinander.

Zum Zweiten ist auffällig, dass das Wachpersonal anscheinend erst bei diesem Einsatz aggressiv wurde. Die Hemmschwelle gegenüber nicht Deutsch sprechenden oder dunkelhaarigen und -häutigen Personen war geringer. Das nennt man Rassismus, auch wenn das unangenehmer und komplexer ist als eine wiederaufgewärmte Privatisierungs- oder Mindestlohndebatte. Der Wachdienst in Burbach bezeichnete sich selbst als „SS-Trupp“. Hier schließt sich dann sogar der Kreis von der individuellen zur gesellschaftlichen Verantwortung, denn individueller Rassismus gedeiht besonders gut, wenn in der öffentlichen Debatte Flüchtlinge als Gefahr, als Überforderung, als Last bezeichnet werden, wenn Kommunen oder Stadtteile sich gegen Flüchtlingsheime wehren und wenn Menschen als „Problem“  tituliert werden.

Nach dem Folterskandal in Abu Ghraib verhängte ein amerikanisches Militärgericht Haftstrafen gegen die beteiligten US-Soldaten von bis zu zehn Jahren. Das Ordnungsamt Nürnberg hat dem Wachmann, der dem Flüchtling den Stiefel in den Nacken drückte, nach Bekanntwerden der Fotos bescheinigt, dass er zuverlässig sei und weiterhin in diesem Job arbeiten dürfe. Das Ordnungsamt ist übrigens weder privatisiert, noch werden dort Billiglöhner eingesetzt.

Der Text ist zuerst auf  Mosereien erschienen.

 

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