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Theorie und real existierende Telekom

von , 25.9.14

 

CUPERTINO (dpa-AFX) – Apple hat am ersten Wochenende mehr als zehn Millionen iPhones der neuen Generation verkauft. … Konzernchef Tim Cook verwies am Montag allerdings auch auf Lieferengpässe.

 

Manchmal ist Treue ja nur ein anderes Wort für Bequemlichkeit. Oder Hilflosigkeit. Ich weiß, wovon ich schreibe: Ich bin seit Jahren ein treuer Kunde der Telekom. Ein teures Vergnügen. Um die 100 Euro im Monat. Und nach drei Wochen wird einem, als kostenlose Inklusivleistung gewissermaßen, dann die „Flatrate“ fürs Internet gedrosselt. So kann man sich den Rest des Monats fühlen, als wäre man nochmal jung und das Internet so schnell wie 1999. Priceless.

Unternahm ich in der Vergangenheit ab und an den Versuch, etwas an dieser Situation zu ändern, zum Beispiel wenn mir Freunde erklärten, sie könnten von meinen Mobilfunkkosten vier Handys unterhalten, teilten mir Telekom-Mitarbeiter in schöner Regelmäßigkeit mit, mein Vertrag habe sich gerade wieder „automatisch“ um ein Jahr verlängert. Das muss man sich vorstellen wie die Zinsbindung bei günstigen Krediten. Nur umgekehrt. Aber auch die Mobilfunkanbieter haben vermutlich ein Recht darauf zu wissen, woran sie sind. Von wegen Planungssicherheit und so. Mit diesem Klassiker der Kundenbindung hat wohl jeder schon seine Erfahrungen gemacht. Ein befreundeter Kabarettist erzählte mir neulich, er habe in den Nachrichten gehört, einem Mann aus Düsseldorf sei es, nachdem er hunderte Mails geschrieben, stundenlang telefoniert und schließlich eine Unterschriftenaktion im Netz gestartet hatte, nach 14 Jahren gelungen, seinen Vodafone-Vertrag zu kündigen. Ich war mir nicht sicher, ob er mir das als Kabarettist erzählte oder als Freund.

So vergingen die Jahre.

Da die Batterie meines alten iPhones nun aber seit geraumer Zeit morgens bereits nach dem ersten Kaffee oder anderthalb Telefonaten wieder alle ist, kam mir die Ankündigung eines neuen Modells im Sommer gerade recht. Klavierlack gilt im Jahre 2014 ja eh als No-Go. Jetzt oder nie: Subventioniertes Gerät, neuer Tarif. Mein Plan: Zum nächstmöglichen Zeitpunkt kündigen, um mich danach zurückgewinnen zu lassen. Eine taktische Trennung sozusagen, wie in einer Beziehung. Auf dass danach alles besser wird, aufregender, enger, was weiß denn ich. Günstiger wäre auch nicht schlecht.

Die Kundenberaterin der Telekom zeigte sich am Telefon unbeeindruckt. „Mach doch!“, so ungefähr lautete ihre Antwort. „Geht aber nur schriftlich.“ Gründe wollte sie gar nicht hören, was mich für einen Moment verunsicherte. Aber so etwas macht man auch besser per Brief. Und was soll ich sagen? Print wirkt. Die obligatorischen „Können wir nicht doch noch etwas für Sie tun?“-Anrufe jedenfalls ließen nicht lange auf sich warten. Genau genommen vermute ich nur, dass es darum ging und meine Ex in spe – die Telekom – nicht einfach ihre SIM-Karte zurückhaben wollte. Tatsächlich bin ich die ersten drei, vier Male nicht drangegangen, wenn die Nullachthundertdreiunddreißigundsoweiter im Display erschien. Nur nicht unter Wert verkaufen. Außerdem habe ich im Laufe meines Lebens gefühlt sechs Monate in verschiedenen Warteschleifen der Telekom zugebracht. Deren Warteschleifenmusik ist zwar nicht so behämmert wie die der Airberlin („Flugzeuge im Bauch, im Blut Kerosin, kein Sturm hält sie auf, uns’re Airberlin“), aber vergnügungssteuerpflichtig war das nicht. Rache also. Zappeln lassen.

 

„Wladimir, lass d. m. d. Ukr. bitte sein. LG AM“.

 

Meine Standfestigkeit zahlte sich aus. Kurze Zeit später erhielt ich eine SMS. Dazu muss man sagen: Heute wird ja eigentlich alles per Kurznachricht geklärt, die großen und die kleinen Probleme. Das Ende von Carta wird auf Twitter verkündet. Und dass das mit dem Ende von Carta gar nicht stimmt auch. Die Kanzlerin bevorzugt SMS, Politik per Knopfdruck quasi. „Wladimir, lass d. m. d. Ukr. bitte sein. LG AM“. So ungefähr. Berufliches wie Privates also heutzutage alles per Kurznachricht, ganz normal. Mein Beziehungsknatsch mit der Telekom lag irgendwo dazwischen, also beruflich, aber auch irgendwie persönlich. Ein großes Thema in jedem Fall, für beide Seiten. Das ging auch aus der SMS hervor. Sinngemäß: „Das macht mich fertig. Ich will dich zurück. Ich will mich bessern. Lass uns reden. Du kannst mich jederzeit anrufen. 0800 usw.“

Dieser Hilferuf erreichte mich in einem Moment der Schwäche. Ich rief sofort zurück. „Können wir nicht doch noch etwas für Sie tun?“ … Jaja, ich sei ja auch keineswegs sicher, es sei nur so, dass ich mich als langjähriger Kunde nicht wirklich gewertschätzt… „Apple bringt im Herbst ein neues iPhone heraus… “. „Aha… [gespielte Überraschung]. Das würde mich gegebenenfalls schon interessieren…“

Unterdessen hatte ich erfahren, dass Apple neben dem „iPhone 6“ ein „iPhone 6 plus“ auf den Markt bringen würde. 6 plus!!! Als aufgeklärter Konsument lasse ich mich in meinen Kaufentscheidungen natürlich nicht von Produktnamen und anderen mehr oder weniger subtilen Marketingstrategien beeinflussen. Aber wenn schon eine Neuanschaffung, dann auch eine zukunftssichere. Zukunft PLUS! Außerdem weiß ja jedes Kind: Die Bewegtbildinhalte im Internet werden nicht weniger. Dazu braucht es einfach einen großen Bildschirm. Und wer trägt heute noch sein Handy in der Hosentasche herum?!

Bestellen konnte ich das Gerät freilich nicht. Aber ich hätte Glück, teilte mir die Kundenberaterin mit: Ich sei einer der ersten Interessenten und würde ganz oben in einer Liste geführt, die nach und nach abgearbeitet werde, sobald Informationen über die Liefertermine und Tarife vorlägen. Man werde mich dann gleich anrufen. Vorausgesetzt natürlich, ich würde dann von meiner Kündigung Abstand nehmen. Ja! Natürlich!!! Mal wieder ganz vorne dabei! Early adopter und so. Ganz weit hinten in meinem Kopf blieb ein schales Gefühl. Würdelos, das Ganze. Aber hatte die Dame nicht auch etwas von günstigeren Konditionen gesagt? Oder wenigstens von einer Internet-Flatrate, die nicht nach drei Wochen…

Die Monate gingen ins Land. Gaza, Ukraine, die Landtagswahl in Sachsen. Ich zählte die Tage. Dann endlich die langersehnte Präsentation der neuen Apple-Produkte. Mit Live-Übertragung. Grandios. Mondlandung nichts dagegen. Ob es sich auf das weltweite Bruttosozialprodukt auswirkt, wenn in Büros rund um den Globus Tim Cook geguckt wird? Und auf die Produktion der vielen iPhones in China? Auf meines gar? Die Frage stellte ich mir nicht ohne Grund. Denn nach der Präsentation passierte erst mal: nichts. Kein Anruf. Nicht dass ich mir das Ding jetzt gleich in Cupertino hätte abholen wollen, aber letzte Woche war ich doch beunruhigt. Sollte man mich vergessen haben? Das war mir vor ein paar Jahren bereits so gegangen, als ich mich Monate vor der für September angekündigten Einführung eines Gerätes hatte vormerken lassen und es schließlich erst auf mehrfache Nachfrage irgendwann um Weihnachten herum bekam.

Letzten Freitag immer noch nichts. Nicht auszuhalten. Das ging wohl nicht nur mir so. Drei Männer in Berlin wussten sich in ihrer Verzweiflung offenbar nicht anders zu helfen, als bewaffnet und maskiert zum Berliner Apple-Store am Ku’damm zu stürmen. Sie wurden erst von einem Geldtransporter aufgehalten. Auch ich entschloss mich schließlich, mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, nahm mir vorsichtshalber einen Nachmittag frei und rief bei der Telekom an.

 

Die Telekom, der Deutschen liebster Feind.

 

Das folgende Telefongespräch hat mein Leben verändert. Das klingt jetzt vielleicht übertrieben. Andererseits: Was würden Sie sagen, wenn Sie nach einem Anruf bei der Telekom mal nicht das Gefühl hätten, a) nichts verstanden zu haben, b) vom Berater nicht verstanden worden zu sein, c) ziellos von einer Abteilung zur nächsten und wieder zurück vermittelt zu werden, oder d) nach 30 Minuten Warten aus der Warteschleife zu fliegen [Mehrfachnennungen möglich]? Eben. Die Telekom, der Deutschen liebster Feind.

Die Warteschleife habe ich überlistet, indem ich im Sprachmenü nicht auf das Angebot einging, „iPhone“ zu sagen, was vermutlich zwei Tage Wartezeit bedeutet hätte, sondern „Vertrag“. Die Leute wollen halt in der Regel keinen Vertrag, sondern ein iPhone. Der Vertrag notwendiges Übel. Selbst Schuld. Jedenfalls hatte ich rasch meinen Kundenberater an der Strippe. Wer „iPhone“ sagte, wartet vermutlich immer noch.

Herr T., dem Tonfall nach Schalke-Fan, der Tonlage nach Kettenraucher, schien wenig überrascht darüber, dass man mich nicht angerufen hatte. Routiniert ging er stattdessen die Bestellung des iPhones und die Ermittlung des zu mir passenden Tarifs an. „Was brauchen Sie denn?“… „Ein größeres Datenvolumen“, „Also mehr als bisher 2 Gigabyte? Was machen wir da… 3, 4, 5, 7 oder 10. Ich sach mal: 5 Gigabit“. Check. So ähnlich ging das mit Roaming, dem Datenspeicher des Geräts, Farbe (kein Klavierlack!) und so weiter. Herr T. navigierte uns souverän durch das Dickicht der Optionen, ich verstand vielleicht die Hälfte, stimmte aber immer zu. Lediglich das Tablet für weniger als umsonst wollte ich nicht, ich hatte ja bald mein iPhone 6 Plus. Nach fünf Minuten präsentierte er den Preis für das Gerät: „So, Herr Novy! Was sagen Sie? [Dramatische Pause] Da kann man nichts sagen, oder?“ Habe ich dann auch nicht, außer mir erlaubt zu fragen, wie das denn mit den Lieferzeiten aussähe. Ob ich denn eine Reservierungsnummer hätte, fragte er. „Ja, nein, ich meine, man hat mir vor zwei Monaten gesagt, dass ich nun auf eine Liste käme und sofort alarmiert werde, wenn das neue Gerät…“. „Da hätten Sie anrufen müssen. Also keine Reservierungsnummer? “… „Aber SIE wollten mich doch anrufen!“… „Ja, Herr Novy, das… Das ist die Theorie…“

Was folgte, war ein knapp 30-minütiges Gespräch, das man hier gar nicht komplett wiedergeben kann. Mehrfach habe ich mir währenddessen gewünscht, es aufnehmen zu können, zu Schulungszwecken, Schule fürs Leben gewissermaßen. Doch mein altes iPhone kann das nicht. Jedenfalls habe ich viel über die Telekom erfahren, über das Leben im Allgemeinen und über das Leben als Mitarbeiter der Telekom im Besonderen. So gestaltet sich die Markteinführung des iPhones Herrn T. zufolge jedes Mal aufs Neue so, als würde das iPhone ohne Vorankündigung vom Himmel fallen. Praktisch keine Vorbereitung. Stattdessen werden die Mitarbeiter an der Basis überwältigt vom Ansturm der Massen. Anscheinend stellen alle gleichzeitig fest, nicht mehr ohne Zeitlupenaufnahmen mit 240 Bildern pro Sekunde und mobile Bezahlmöglichkeit leben zu können. Die Folge: Konzernweit werden hektisch Listen angelegt, bald weiß kein Mensch mehr, wo, von wem und wie viele. Zusammenführen könne man sie nicht, selbst wenn irgendwer noch den Überblick hätte. Zu unterschiedlich die Kundenklassifikationen (der Wert einzelner Kunden für das Unternehmen), zu verschieden die internen Vertriebsstrukturen (provisionsgebunden, provisionsfrei). Und dann melden sich die Novys dieser Welt und jammern, dass man sie nicht angerufen hat. Dabei könne eigentlich alles so einfach sein, meint Herr T. Mit einer einheitlichen, zentralen Software. „Der Kunde sagt, was er will: iPhone-Modell. Klick. Tarif. Klick. Preis. Klick. Kunde zufrieden, Firma zufrieden. Alle zufrieden.“ Der Stoff, aus dem die Utopien eines Telekom-Mitarbeiters gemacht sind…

 

Systemtheoretiker im Kundenkontakt

 

Als Herr T. mich so lakonisch auf den Unterschied zwischen Theorie und real existierender Telekom hinwies, hatte ich kurz befürchtet, jetzt käme der Moment, bei dem einem als Kunde erklärt wird, wie bescheuert man sei, dass man sich auf vorher erhaltene Zusagen verlassen habe. Kennt man ja. So war es aber nicht. Und es war auch keines jener Gespräche, wie man sie manchmal mit Bahnangestellten führt; Schaffner, die, wenn man sie um 22 Uhr nach, sagen wir einmal, zwei ausgefallenen Zügen, 100 Minuten Verspätung und dem Defekt der Klimaanlage zu fragen wagt, wie es denn mit den Anschlusszügen so ausschaue, so tun, als hätten „Verzögerungen im Betriebsablauf“ rein gar nichts mit ihnen zu tun. Und überhaupt, als sei schlimmer als mit der Bahn zu fahren, nur dort zu arbeiten. Was soll man auch anderes von einem Unternehmen erwarten, das auf ICE-Klos Aufkleber mit dem Hinweis „Bitte verlassen Sie [!] dieses WC so, wie sie es vorzufinden wünschen“ anbringt?!

Nichts davon. Es war die geradezu weise Innensicht eines erfahrenen Angestellten, der im Kampf um Kunden und Rendite über die Jahre unzählige Umstrukturierungen, Aus- und Wiedereingliederungen von Unternehmenssparten und Führungswechsel erlebt hat. Der immer neue Kohorten frisch von den Wirtschaftsunis kommender Unternehmensberater hat kommen und gehen sehen, die alles anders, aber nichts besser machen, der zig neue Absatzstrategien, ständig wechselnde Vorgaben und EDV-Systeme vorgesetzt bekommen hat. Und 2014 die sechste Ankündigung eines iPhones. Die Worte eines loyalen Mitarbeiters, der im direkten Kundenkontakt ausbaden muss, was andernorts entschieden wird; der aber, statt zu klagen, seinem Job mit soviel Stolz nachgeht, dass er mir an diesem Freitagnachmittag nicht nur einen Handyvertrag zusammenpuzzelte, sondern sich auch die Zeit nahm, mir nüchtern zu erklären, warum die Dinge eben manchmal so sind, wie sie sind. Noch. Denn ein großer Wettbewerber sei bereits dabei, seine Callcenter nach Indien und Rumänien auszulagern. Dort, meint Herr T., in Delhi und Bukarest, säßen die „Arbeitssklaven“ der Zukunft. So wurde es ein Gespräch über einen ehemaligen Staatskonzern, die Branche insgesamt, den Kapitalismus und die Globalisierung. Zum Schluss fragte er, der Systemtheoretiker im Kundenkontakt, mich neugierig: „Und, Herr Novy, was machen Sie so?“ Ich anwortete, „was mit Medien und Journalismus“. Der bis dahin so zupackende, mir souverän die Welt und die Telekom erklärende Herr T. wurde plötzlich für einen Moment ganz sanft und fragte schüchtern, fast kleinlaut: „Da ist es aber doch bestimmt genauso, oder?“

Nach unserem Telefonat habe ich herausgefunden, dass wer bei der Telekom online bucht, 10 Prozent monatlich spart. Damit auch die Telekom den Job des Herrn T. irgendwann outsourcen oder automatisieren kann. Wann ich mein iPhone bekomme, weiß ich dagegen immer noch nicht. Die melden sich schon, wenn es in ihren Rhythmus passt. Und wenn es Weihnachten wird, ist es mir auch egal. Ich bleibe erst mal. Was ich erlebt habe, verbindet. Ein bisschen.

 

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