#Angela Merkel

„Mach’s wie Gerd, Frank“

von , 2.4.09


Zwei lange Jahre schien die Bundestagswahl 2009 nur noch reine Formsache: Die SPD lag in der Sonntagsfrage beinahe hoffnungslos zurück: Mit einem Wähleranteil von ca. 25 Prozent war die Union zeitweise um bis zu 13 Prozentpunkte enteilt. Doch weil ein halbes Jahr vor dem entscheidenden Urnengang plötzlich auch die CDU schwächelt und gerade noch 33 Prozent der Wähler gewinnt, keimt bei den Genossen plötzlich „Last-Minute-Swing“-Hoffnung auf. Anstatt:„Mach’s noch einmal, Gerd“ heißt es nun:„Mach’s wie Schröder, Frank!“ Aus schier hoffnungsloser Position will die SPD wieder einmal auf Augenhöhe mit den Schwarzen über die Ziellinie kommen: Ganz aussichtslos ist die Sache nicht.

Exakt sechs Monate vor dem Wahltag findet das „Aller guten Dinge sind drei“ plötzlich wieder seine Berechtigung. Weil die Union im Frühjahr 2005 mit 40 zu 26 Prozent sogar noch deutlicher vorne lag, wächst angesichts christdemokratischer ordnungspolitischer Zerstrittenheit klammheimliche Sehnsucht auf, es nochmals „zu wuppen“.

Obwohl die Ausgangslage diesmal noch prekärer ist: Diesmal können die Genossen wahrscheinlich nicht mit der „Steilvorlage Kanzler“ rechnen: denn nicht die SPD, Gerhard Schröder schaffte damals den unerwarteten Endspurt. Doch den „Gerd-Faktor“ gibt es diesmal nicht: 2005 wollten 58 Prozent den damaligen Amtsinhaber, nur 37 Prozent Angela Merkel als Kanzler. Heute liegt die Union-Politikerin mit 52 zu 35 Prozent ebenso deutlich vor Herausforderer Steinmeier. Zwar hat der Außenminister im Imageprofil aufgeholt, dennoch wird er Merkel in puncto Erfahrung, Kompetenz, Durchsetzungsfähigkeit und Sympathie nicht erreichen. Auch weil die Kanzlerin – selten genug – im Lager der Genossen mehrheitsfähig ist.

xxx

Den „Gerd-Faktor“ gibt es diesmal nicht: 2005 wollten 58 Prozent den damaligen Amtsinhaber, nur 37 Prozent Angela Merkel als Kanzler.

Noch deutlicher als damals ist derzeit der Kompetenzrückstand der SPD: In sechs der sieben wichtigsten Kompetenzfelder, vor allem bei Bildung und Arbeitsmarkt, wird der Union mehr zugetraut, lediglich in der Sozialpolitik führen wie üblich die Genossen.

Noch schlimmer: Im Gegensatz zu den Wahljahren zuvor hat die SPD überhaupt kein Zutrauen mehr zu sich selbst: Selbst unter SPD Wählern erwarten aktuell 64 Prozent einen Sieg der Union. Nicht einmal jeder Zweite glaubt noch an die eigene Partei. Denkbar schlechte Voraussetzungen also, das Ruder nochmals herumzureißen.

Die Union kann sich also nur noch selber schlagen. Und ist auf dem besten Weg dahin. Denn längst entscheiden andere Wahlkriterien als damals. Waren Jahrzehnte lang Kompetenz in Wirtschafts- und Arbeitsmarkt die Erfolgstreiber, so werden diese „harten“ Kriterien heute zunehmend durch „weiche“ wie Zuverlässigkeit, Gerechtigkeit, Vertrauen und Ehrlichkeit abgelöst. Nicht mehr Klientelpolitik, überparteiliches Kümmern entscheidet die Wahl.

Dass die SPD dennoch eine Chance hat, liegt an der Falle, in die sich die Union selbst hineinmanövriert hat. Einerseits an ihren wenig konservativen Positionen, die viele CDU-Anhänger ein „Ich erkenne meine CDU nicht mehr“ beklagen lässt. Und daran, dass ihr SPD und Gewerkschaften trotzdem erneut die Wahlagenda aufzwingen. Derzeit nämlich unternehmen sie alles, die moralische Glaubwürdigkeit der Union zu unterminieren. Und sich im Gegensatz zur CDU als einziger Hort „sozialer Gerechtigkeit“ zu präsentieren.

Denn nach der „systemischen“ begründeten massiven Unterstützung rigoros – geldgieriger Bänker wird die Union eine klare Antwort auf eine einfache Frage für die Masse der Wähler finden müssen: „500 Milliarden für die Banken. Und wie viel ist für uns“? So simpel, so irrational, aber so gerechtigkeitsempfindlich weist dieser Satz genau das Sprengstoffpotential auf, an dem die Union noch scheitern könnte. Und das zu einer Zeit, wo sie konservativer werden muss, um ihre Stammwähler zu mobilisieren. Obwohl zwei Drittel den Banken – Schutzschirm für richtig halten, kommt die Union in ein massives Glaubwürdigkeitsdefizit, wenn sie sich bei den Satten als Retter profiliert, bei den Hungernden aber noch notwendigere Hilfe unterlässt. Oder sie verliert ihre letzten ordnungspolitisch gesinnten Wähler.

Entweder die Union kann genau diese Frage im Wahlkampf beantworten – oder die massiv unterstützten Bänker zeigen doch noch Demut, Verständnis und Wiedergutmachungswillen. Sonst könnte die SPD, allen ordnungspolitischen Grundsätzen zum Trotz, wieder zur Partei der Wärme, des Mitgefühls, des Kümmerns, der Menschlichkeit mutieren und wie bereits 2005 das kleine Quentchen mehr „Gegen die Großen und für die Kleinen“ als ihren Markenkern herausstellen. In einer Zeit, in der 70 Prozent der Deutschen kaum mehr Unterschiede zwischen den Großen entdecken können, eine wahlpolitische Steilvorlage.

Denn wer die Unterstützung der Geldwirtschaft als öffentliche Aufgabe definiert, kann Arbeitsplatzverluste in der Realwirtschaft nicht als „Geht mich nichts an“ abtun. „Und wie viel ist für uns?“ Die Frage könnte der Union am 27. September als Drittauflage den schon eingefahren geglaubten Sieg noch verhageln.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.