#Ausgrenzung

Ein Heckenschütze aus Berlin

von , 7.8.14

Wie hoch ist eigentlich der Anteil gläubiger Katholiken bei der taz? Im Sinne eines Integrationsverständnisses, das sich aus der Abbildung der Gesamtgesellschaft definiert, müsste die Berliner Tageszeitung als ein gescheitertes Integrationsprojekt bezeichnet werden. Aber im Berliner Bundesdorf legt man auf solche Feinheiten nicht viel Wert. Man sieht sich als Metropole, wo antisemitische Demonstrationen stattfinden, die Arbeitslosigkeit hoch ist und die Alimentierung durch den Rest des Landes zum guten Ton gehört.

Das findet im Sauerland nicht statt. Dort gelingt sogar Integration, weil diese vor allem über den Arbeitsmarkt stattfindet. Die Einbindung in Sitten und Bräuche ist demgegenüber sekundär. “Jeder soll nach seiner Façon selig werden”, meinte schon Friedrich II., der Berlin so wenig ausstehen konnte, dass er sogar ein Schloss in einem Vorort baute.

Somit kommen wir zum Schützenkönig aus Werl. Ob diese Kleinstadt überhaupt zum Sauerland gehört, überlassen wir einmal den Spezialisten, die aber in dieser Debatte nur selten anzutreffen sind.

Der Sachverhalt ist bekannt. Ein Muslim wird Schützenkönig, und der Dachverband der Werler Schützen wirft einen Blick in seine Satzung. Eine Zusammenfassung findet man dankenswerterweise in der Bergischen Landeszeitung.

Diese Schützenbrüder definieren sich als katholisch, die Protestanten lediglich aus Praktikabilitätsgründen, Ökumene genannt, akzeptieren. Die Flüchtlinge aus den Ostgebieten könnten über diese kulturellen Integrationsprobleme durchaus ein Lied singen. Nach dem Krieg wurde so mancher Schützenverein neu gegründet, weil die Alteingesessenen die Neuankömmlinge nicht im eigenen Verein haben wollten.

Solche Dispute über den soziokulturellen Charakter sind allerdings noch wesentlich älter. In Neheim, zweifellos zum Sauerland gehörend, wurde deshalb schon 1834 der Jägerverein gegründet, weil die Schützenbruderschaft von 1607 ein Integrationsproblem hatte. Das kommt in der Satzung von 1834 zum Ausdruck:
 

“Nach den Statuten der bereits seit 1607 bestehenden Schützenbruderschaft konnten nur Hausbesitzer und, dem Charakter als kirchlicher Bruderschaft entsprechend, nur Katholiken dem Schützenbunde angehören. Auch Mädchen waren nicht zugelassen, sondern nur verheiratete Frauen.”

 
Der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften hatte somit schon 1834 ein Integrationsproblem (damit sogar vor seiner Gründung) – und nicht erst 2014. Dass sich diese Integrationsproblem keineswegs auf die Muslime beschränkt, wird eingestanden:
 

Unter der Hand weisen Schützen auch auf andere Schwierigkeiten hin. „Menschen, die keinem Glauben angehören, werden ebenfalls ausgeschlossen. Auch nach Scheidung Wiederverheiratete sind ein Problem.“

 
Nun findet das Beharren auf der katholischen Identität noch nicht einmal bei der Amtskirche Verständnis. Zwar definiert sich der Sauerländer Schützenbund auch als christlich und patriotisch, überlässt aber den Mitgliedsvereinen die Regelung ihrer Mitgliedschaft. Er sieht selbst ein Problem in einer Satzung, das es etwa in Neheim schon 1834 gegeben hatte. Allerdings vor allem durch die steigende Zahl an Kirchenaustritten und einen gemäß der Satzung nicht katholischen Lebenswandel mit wilder Ehe und Scheidung.

In Wirklichkeit interessiert das natürlich vor Ort kaum einen Menschen. So bekommen wir aber aus dem Bundesdorf von Deniz Yücel von der taz mit dem Integrationsproblem eine Skizze der Provinz:
 

“Aber ich glaube, wenn man im Sauerland lebt, ist das keine Parallelgesellschaft, das hört sich nur für mich aus Berlin betrachtet an wie eine Mitteilung aus einer fernen Parallelgesellschaft. Im Sauerland selbst ist das nicht Parallelgesellschaft, da ist die – so stelle ich mir das vor – gesellschaftliche Mitte, der Schützenverein.”

 
Natürlich kann man im Sauerland leben, ohne Mitglied in einem Schützenverein zu sein. Man kann schließlich auch in Berlin leben, ohne an antisemitische Demonstrationen teilzunehmen oder seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Es ist völlig in Ordnung, wenn sich eine Interessengemeinschaft dem Integrationsanspruch verweigert. Immerhin wies Yücel darauf hin. Das gilt für einen katholischen Schützenverein genauso wie für eine linke Tageszeitung oder einen islamischen Verein zur Pflege des eigenen Brauchtums. Die Erwartungen an Integration werden sinnigerweise immer von denen artikuliert, die irgendwelche Vorstellungen haben, aber nicht ernsthaft daran denken, in einem solchen Schützenverein Mitglied zu werden.

“Jeder soll nach seiner Façon selig werden” bedeutet gerade nicht, die Integration von gläubigen Katholiken in der Redaktion der taz sicherzustellen. Aber diese Forderung könnte man mit gutem Grund erheben, wenn man das Gerede ernstnähme.

Aber jenseits dessen werden sich vor allem die Dachverbände der Schützen etwas einfallen lassen müssen. Die wenigsten Muslime sind nämlich bis heute in einem solchen Verein, weil sie ihn bisher nicht als einen Ort der Freizeitgestaltung betrachtet haben. Das wird aber im eigenen Interesse mit dem demographischen Wandel zum Problem werden. Mit einer erzkatholischen Definition des eigenen Existenzzwecks werden sie den kaum bewältigen.

Es ist auch Unsinn, einen Übertritt von Mitgliedsvereinen in andere Dachverbände auszuschließen, wie es bei den Schützen bis heute praktiziert wird. Dahinter steckt lediglich das organisatorische Eigeninteresse, nämlich Wettbewerb zu verhindern. Ansonsten werden sie das erleben, was auch schon 1834 in Neheim oder nach dem Krieg in vielen Orten in Deutschland passiert ist: Nämlich eine organisatorische Verselbstständigung der Einwanderer. Das geschieht zumeist auch erst nach einer gelungenen Integration in die Gesellschaft. Nur, wollen das die Schützen wirklich?

In Berlin und den Ballungsräumen ist aber im Gegensatz zur Provinz von gelungener Integration wenig zu sehen. Dort wäre man schon froh, wenn man nur ein Problem mit Schützenvereinen hätte. Die taz und andere Berliner dürfen bei der nächsten Demonstration zu Gaza und Israel gerne aus dem Fenster sehen.

 

Updates

Eine Zusammenfassung der Berichterstattung im WDR.
 
14:35 Uhr

Jetzt hat sich auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingeschaltet. Allerdings nicht mit einem Brief an die taz wegen der Diskriminierung gläubiger Katholiken …

In der Süddeutschen findet man auch etwas zum Schützenkönig. Es ist nicht die Welt der Autoren:
 

“Auf Außenstehende wirkt die aus dieser Zeit stammende, aber noch heute gültige Parole – “für Glaube, Sitte, Heimat” – eher befremdlich. Glaube, Sitte, Heimat, das klingt nach verstaubter Deutschtümelei – und der aktuelle Fall, bei dem Regeln und Rituale sehr starr gehandhabt werden, scheint diese Ansicht zu bestätigen.”

 
Oder wie soll man eine solche Bemerkung finden?
 

“Die Schützen aus Sönnern, so der Sprecher, hätten ihre eigene Satzung eben besser lesen müssen. Mithat Gedik hätte demnach gar nicht aufgenommen, geschweige denn Schützenkönig werden dürfen. “Dat is so. Man sollte gewisse Regeln einfach akzeptieren”, sagt Nieborg, dem man am Telefon nicht nur seine westfälische Sprachfärbung anhört, sondern auch, dass er sehr viel Wert auf Regeln legt.”

 
Eine Regel im Journalismus ist es, auf abwertende Charakterisierungen in der Berichterstattung zu verzichten. Aber die Weltläufigkeit mancher Herrschaften aus München oder Berlin besteht bekanntlich in der genauen Kenntnis der Speisekarte einer amerikanischen Kaffeehaus-Marke.

Nur noch als Hinweis für die vielen Leser, die weder von Vereinen, noch Verbänden eine Ahnung haben: Außer den Funktionären beschäftigt sich kein Mensch mit Satzungen. Funktionierende Verbände passen sie aber den Zeitumständen an.
 
18:10 Uhr

Nach dem Hinweis von aifran drei Links: An die Berliner Demonstranten, die Interviews mit Dieter Graumann und mit Aiman Mazyek.

 

06.08.2014

Mittlerweile entwickelt sich eine muntere Debatte über den Schützenkönig aus Werl. So hat der Jägerverein in Neheim Mithat Gedik mit dieser Begründung zum eigenen Festumzug eingeladen:
 

„Denn unser 180 Jahre alter Jägerverein war 1834 insbesondere deshalb gegründet worden, um eine Ausgrenzung von Menschen aus religiösen, sozialen oder ähnlichen Motiven zu verhindern“, heißt es in einem Brief von Jägeroberst Klaus Humpe an den Brudermeister in Sönnern, Olaf Schmitz.”

 
Zudem wird unter den Funktionären über die Satzung der Dachverbände diskutiert. Etwa in Osnabrück oder in Ahrweiler. In Euskirchen und Oberhausen fragt man sich durchaus selbstkritisch, wie die Schützenvereine mit Einwanderern umgehen sollen.

Was fehlt? Die Sozialisationsschäden von Journalisten. Jörg Diehl, Chefreporter von Spiegel Online, muss wirklich eine harte Kindheit und Jugend hinter sich haben. Aber niemand muss in einem Schützen- oder Musikverein Mitglied werden. Was einen aber wirklich wundert: Er beklagt den unmoralischen Lebenswandel und die Doppelmoral. Diehl argumentiert damit wie ein fundamentalistischer Protestant. Die konnten die Doppelmoral der Katholiken noch nie ausstehen.
 
Crosspost von Wiesaussieht

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