#Arbeitsmarkt

Oder BWL

von , 18.7.14

Mein Vater fand kurz nach meinem Abitur, ich solle eine Naturwissenschaft studieren. Oder BWL. Meine Mutter liebäugelte für mich mit Jura. Oder BWL. Bei der Berufsberatung hieß es, wir sollten uns möglichst schnell spezialisieren. Oder BWL studieren.
 
Im Studium selbst erinnere ich mich an zwei große Informationsveranstaltungen, in denen uns Absolventinnen der Germanistik empfahlen, unser Studium einfach mit BWL zu kombinieren. Oder zumindest Wirtschaftspädagogik.

Ich weigerte mich. Und studierte Germanistik, Kulturwissenschaften, Romanistik. Ein literaturlastiges, kultur- und geisteswissenschaftliches Studium, das vor allem anderen seine Studierenden dazu ausbildet, Texte zu analysieren sowie selbst qualitativ hochwertige Texte zu erstellen.

In meinem Studium – ich habe den veralteten akademischen Grad „Magister“ – schrieben wir in den Semesterferien wissenschaftliche Hausarbeiten. Umfang immer zwischen 15 und 20 Seiten, die Themen meist selbstgewählt und abgesprochen. Mein größter Output: 5 Hausarbeiten in den Sommersemesterferien. Insgesamt gab ich bis zu meinem Abschluss fast 20 Arbeiten ab, zusätzlich zur Magisterarbeit. Es war ein schönes Studium. Weil ich ausgesprochen gerne schreibe.

Nach dem Studium sattelten einige von uns um – Zweitstudium BWL. Und ich begann, mich vorsichtig auf dem Arbeitsmarkt umzuschauen. Die Stellenanzeigen, die mich interessierten, hatten meist etwa diesen Wortlaut:
 

„Ihr Deutsch ist herausragend in Wort und Schrift? Sie verfügen über ausgezeichnete kommunikative Fähigkeiten und sind in der Lage, schnell hochwertige Texte selbst zu erstellen sowie redaktionelle Tätigkeiten zu übernehmen? Fremde Texte zu lektorieren ist für Sie kein Problem? Dann passen Sie zu uns!“

 
Zur gewünschten Qualifikation stand im Anschluss folgendes:
 

„Sie haben Ihr Studium [des Journalismus, der Medienwissenschaft etc.] oder BWL erfolgreich abgeschlossen und bereits erste Berufserfahrungen in einer vergleichbaren Position? Dann schicken Sie Ihre Bewerbung an …“

 
Oder BWL.

Jedes, zur Verdeutlichung: JEDES einzelne Mal. Der Running Gag meines Erwachsenenlebens. BWLer, so lernte ich dadurch, waren die eierlegenden Wollmilchsäue des Arbeitsmarktes. Die konnten einfach alles! Und vor allem konnten sie offenbar … schreiben! Da hatte ich jahrelang die Diplomarbeiten von BWLern Korrektur gelesen und mir ihr Gejammer angehört, weil die Anfertigung dieser Arbeit quasi der erste längere selbst verfasste Text war, den man von ihnen verlangte, und mir war vollkommen entgangen, dass sie alle eigentlich eine Ausbildung im Schreiben erhielten! Die Wege des universitären Betriebs sind sonderbar.

Nun erzählen einem liebe Menschen aus dem Umfeld, man möge sich bitte nicht vom Wortlaut der Stellenausschreibungen irritieren lassen und sich fröhlich trotzdem bewerben. Was ich tat. Mittlerweile hatten wir eine kleine Tochter, dennoch dachte ich naiverweise, dass sich vielleicht eine berufliche Herausforderung für mich finden würde – und wozu gibt es Betreuungseinrichtungen?

Ich möchte, wenn ich Euch den Rücklauf meiner Bewerbungsbemühungen beschreibe, nicht zu sehr ins Detail gehen. Das, was ich im Briefkasten fand, war im allerbesten Fall höflich-desinteressiert. Der überwiegende Teil meiner schriftlichen Ablehnungen (es sind bis heute nicht allzu viele, ich fing mit der Promotion an und bewarb mich seitdem nicht häufig) war respekt- und stillos. Und die letzte Ablehnung, die ich erhielt, würde ich sogar als tiefe Beleidigung beschreiben.

Und wenn ich BWLer wäre? Werden sie in Stellen, die prädestiniert sind, um mit Germanisten besetzt zu werden, glücklich? Wo gehen sie hin, die ganzen Universalgenies, nach denen sich Teams, die Schreiber suchen, die Finger lecken?

Zumindest unter unseren BWLer-Freunden gab es damals eine nicht unwesentliche Quote an Arbeitslosen – zunächst. Mittlerweile sind viele untergekommen. Z.B. in der Redaktion von Burda, bei einem Sportsender als Reporterin oder als Content Manager bei einem wissenschaftlichen Verlag. Die suchten nämlich alle „oder BWL“.

Ich freue mich für meine Freunde und Bekannten. Und ich habe nichts gegen BWLer. Die meisten sind cool. ABER ich habe eine Neuigkeit für den Stellenanzeigenmarkt und alle Stellenanzeigenproduzenten: Das Erstellen von Texten ist DIE Kernkompetenz eines Germanisten. DIE EINE wichtige, entscheidende Qualifikation, die Ihr benötigt, ist eine, die ein geistes- und literaturwissenschaftliches Studium ausbildet. Anders als Ihr in Euren Stellenanzeigen annehmt, handelt es sich beim Schreiben-Können nicht um eine Art Soft Skill, den jeder schon „irgendwie“ mitbringt. Ihr sucht Menschen, die gelernt haben, zu schreiben und zu redigieren. Ihr sucht Menschen wie mich und übergeht dennoch ihre Bewerbungen.

Natürlich gibt es auch Absolventinnen anderer Disziplinen, die hervorragend schreiben können. Weil sie einfach Talent haben. Seltsamerweise lautet keine einzige Stellenanzeige wie folgt:
 

„Du hast Dein Studium der Germanistik oder Journalistik erfolgreich abgeschlossen ODER bringst ein überdurchschnittliches Talent zur Texterstellung mit …“

 
Nein. Sie lauten:
 

“Blablabla. Oder BWL.”

 
Ich reiche in zwei Wochen meine Dissertation ein. Ab September suche ich eine Anstellung. Daher schaue ich mich erneut auf dem Arbeitsmarkt um. Und die erste interessante Stellenanzeige, die ich öffne, ist die folgende:
 

„Deine Aufgabe ist das Erstellen von erstklassigen, werbewirksamen und suchmaschinen-optimierten Texten für unsere Webseiten (u.a. heise-homepages.de, heise-apps.de, heise-media-service.de) und Social-Media-Kanäle.

Du hast Dein Studium im Bereich Medienmanagement, BWL oder einer vergleichbaren Fachrichtung erfolgreich abgeschlossen oder verfügst über eine vergleichbare Ausbildung? Wenn Du auch ein hohes Maß an Eigeninitiative und Liebe zum Detail mitbringst, dann werde Teil unseres erfolgreichen und motivierten Teams.“

 
Oder BWL. Liebes Team von heise, das ist ein sehr, sehr schlechter Scherz.
 
Crosspost von Juna im Netz

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