#Altern

Die Zukunft der Heilmethoden: Faszination und Grusel

von , 13.6.14

Ich habe den Grusel-Test erst kürzlich wieder bei einigen Vorträgen gemacht. Die Aussicht, dass in nicht allzu ferner Zukunft unser Gehirn direkt mit dem Internet verkabelt sein könnte, weckt wirklich schaurige Urängste. Verständlich, keine Frage. Die Angst vor der Aufgabe der persönlichen Wesens-Autonomie und dem Übergang zu einem fremdgesteuerten humanoiden Roboter ist nachvollziehbar. Und natürlich.
 

DNA Sequencing Costs, Grafik: © NIH


DNA Sequencing Costs, Grafik: © NIH

 
Es nützt nichts. Man muss sich die Entwicklung unserer Wohlstandsgesellschaft nur genauer ansehen und alle Symptome unbarmherzig analysieren. Nimmt man dazu die entsprechende Steuerung, dann ergibt sich ziemlich deutlich dieses Szenario: die Vernetzung möglichst vieler Menschen direkt bis in die Neurozellen im Gehirn hinein.

 

Eine Parforce-Jagd in die Zukunft

Ich will versuchen, den möglichen Weg in eine derartige Zukunft in einem knappen Thesen-Gewitter zu zeichnen.

Der Startpunkt einer solchen Reise in die Zukunft startet bei unserer derzeitigen gesellschaftlichen Befindlichkeit. Die suchtartige Verbreitung von Gluten-, Laktose- und sonstigen Unverträglichkeiten hat Meike Winnemuth wunderbar in ihrer STERN-Kolumne beschrieben.

Der Trend zur Kenntnis der höchst eigenen, ganz persönlichen gesundheitlichen malfunction ist in einer narzisstischen Gesellschaft nur allzu logisch. Durch nichts kann man sich mehr von den anderen abgrenzen, als durch seine ganz ureigene medizinische Disposition.

Und durch nichts kann man sich, wenn man den Kontakt zum eigenen Ich und Körper verloren hat – was die Grunddisposition jeder narzisstischen Störung ist –, wieder besser spüren als durch eine Fehlfunktion, und sei sie auch nur eingebildet. Dass sie wirkt, dafür sorgt verlässlich der Nocebo-Effekt.

Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren noch verschlimmern – oder soll man sagen: qualitativ weiter entwickeln? Schon in allernächster Zeit wird die Untersuchung des eigenen Genoms weniger als 1.000 Euro kosten, und kurz darauf nur noch etwa 100 Euro. Die wissenschaftliche Entwicklung hat die Preise dafür in ganz wenigen Jahren extrem minimiert.

 

Brisantes Wissen um die persönlichen Schwachstellen

Dann gibt es kein (Kosten-)Argument mehr dagegen, seine höchst eigenen Schwachstellen und damit Risiko-Areale analysiert zu bekommen. Dann wird jeder seine wirklich höchstpersönlichen Malaisen-Optionen kennen. Und ganz viele Menschen werden diese Untersuchung machen lassen.

Die Angst, sein eigenes potentielles medizinisches Schicksal zu kennen, wird mit dem Versprechen konterkariert werden, nur auf diese spezielle Weise ganz alt werden zu können – und das ohne Krankheiten, die die Lebensqualität bis jenseits des 100. Lebensjahrs einschränken würden.

Schon heute ist absehbar, dass eine tatsächlich wirksame Krebstherapie hoch personalisiert sein wird. Das funktioniert nur mit dem genauen Wissen um die genetische Disposition. Und deshalb werden auch die Krankenkassen Druck machen. Schon heute finanzieren sie Gentests, um bei Frauen das eventuelle Brustkrebs-Risiko zu klären.

Künftig wird der Krankenkassen-Tarif für Menschen, die sich einer Genanalyse verweigern, deutlich höher sein als für den genvermessenen Menschen.

 

Nichts kränkt Narzissten mehr als die Aussicht auf den Tod

Wir werden uns aber auch nicht groß wehren. Die Aussicht, bei voller körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit 100 Jahre und älter werden zu können, wird unsere Gesellschaft nachhaltig faszinieren.

Denn auch hier laufen wir in die Narzissmus-Falle, da jede Krankheit, die unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit einschränken (Schlaganfall, Unfälle etc.), als grobe narzisstische Kränkung wahrgenommen wird – ganz zu schweigen von der größten, ultimativen narzisstischen Kränkung: dem Tod. Schon heute sind wir eine Gesellschaft, die mit Krankheit und Tod nicht mehr gut umgehen kann. Das wird sich noch dramatisch verschlimmern, wenn uns ein Ausweg in Aussicht gestellt wird: die Genom-Untersuchung – und völlig neue Heilungschancen.

In kaum einer anderen wissenschaftlichen Sparte kann man in den nächsten Jahren so bahnbrechende Neuentwicklungen erwarten wie in der Medizin, allein schon deshalb, weil das Gesundheitswesen weltweit ein Markt mit immensen Gewinnmöglichkeiten ist. Wir geben immer mehr Geld für Krankheiten, deren Heilung und unsere Gesundung aus. Die Gründe sind nicht zuletzt die oben schon erwähnten. Entsprechend viel Geld fließt in die Entwicklung völlig neuer Heilmethoden.

 

Neue Technologien der Heilung

Wir werden in den nächsten Jahren neue Heilmethoden mithilfe von Nanopartikeln erleben. Die Stilllegung von Tumoren durch den Einsatz von Nanopartikeln ist heute schon Realität. Wir werden immer bessere personalisierte Prothesen bekommen (3-D-Printing). Wir werden Organe mit körpereigenem Zellenmaterial züchten. Die Leber wird wohl als erstes Organ mit körpereigenem Material ersetzt werden können. Und wir werden eine immer personalisiertere Medikation bekommen, die genau dort wirkt, wo ein ganz bestimmter Mensch sie braucht.

Eine der vielversprechendsten Sparten dieses Gesundheitsmarktes wird aber der Kampf gegen den Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit sein. Mit einer Lebenserwartung von über 100 Lebensjahren wird der Kampf gegen den Verschleiß durch ein lange Leben, gegen altersbedingte Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Demenz,  gegen Folgeschäden von Schlaganfall und Unfällen, gegen Lähmungen und Wahrnehmungsdefizite geführt werden.

 

Erschütternde Heilerfolge

Schon heute können bei bestimmten Dispositionen schwerhörige oder selbst gehörlose Menschen mit direkt im Gehirn implantierten Sensoren wieder hören. Wer einmal erlebt hat, wie nach einem Gehörsturz mit ein wenig Glück das Hören wieder zurückkommt, weiß, welche Steigerung der Lebensqualität das ist. Inzwischen wird auch daran experimentiert, mit Implantaten im Gehirn Blinden das Sehen (wieder) zu ermöglichen.

2005 beschrieb das Magazin WIRED, wie ein Paraplegiker mit einem Gehirnimplantat wieder aktiv handeln konnte. Auch bei Parkinson werden heute schon mit von außen steuer- und programmierbaren Implantaten direkt im Gehirn große Erfolge erzielt. Die Geschichte eines Parkinson-Patienten und WIRED-Autors erschütterte mich beim Lesen, denn dank dieser Therapie konnte er wieder schreiben: nämlich die Geschichte seiner peinvollen Therapie.

 

Das Tabu der Köperschranke zum Internet wird brechen

Mit jedem dieser Fortschritte gegen die Krankheitsgeiseln des hohen Alters wie Alzheimer, Parkinson und Demenz wird unser – natürlicher – Widerstand gegen solche Therapien schwinden. Mit jedem Blinden, der wieder sehen kann. Mit jedem Tauben, der wieder hören kann. Mit jedem Gelähmten, der wieder gehen kann. Und sie alle werden Implantate im Gehirn haben, die direkt auf die Nervenzellen des Gehirns wirken.

Absehbar wird das Tabu der „natürlichen“ Grenze zwischen menschlichem Körper und Gehirn und der digitalen Welt gebrochen sein. Dann werden Implantate so selbstverständlich sein wie heute künstliche Hüften: mit einem Hauch von Angst belegt, aber weithin gesellschaftlich akzeptiert.

Von dort ist der Weg zur Nutzung von Brain-Implantaten auch jenseits von Krankheitstherapien nicht mehr weit. Denn wo endet die normale Vergesslichkeit und beginnt die Demenz? Und warum sollen wir unser Wissen und Erinnerungsvermögen nicht gleich direkt per Standleitung ins Gehirn etwa an Google outsourcen? Ach ja, davon haben auch die Marketer schon immer geträumt …

Wer möchte sich schon in seinen Neuronenschaltkreisen ausspionieren lassen? Womöglich in Regionen, zu denen nicht einmal unser eigenes Bewusstsein Zutritt hat: im limbischen System, im Unterbewusstsein? Das einzige Gegenmittel gegen solch eine Vision des digital direktverdrahteten Menschen ist ausgerechnet die NSA und ihre schätzungsweise unausrottbare (und unkontrollierbare?) Spionierlust.
 
Crosspost von The Difference

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