#Cornelius Vanderbilt

Oligarchen wie Rinat Achmetow

von , 22.5.14

Aus Büchern machte er sich nichts, so lesen wir; die Genüsse des Lebens verschmähte er. Seine einzige Leidenschaft war Geld. Er war geldgierig, unternehmend, roh und herrschsüchtig. Von den wirklichen Einzelheiten seiner Jugend ist wenig bekannt, außer dem, was von Schriftstellern, die ihn verherrlichen, geschrieben wurde. Zudem ist noch von der “rücksichtslosen Vernichtung der Konkurrenten” und “Beamtenbestechung” die Rede. Seine “erste Million war in der Hauptsache das Ergebnis von Erpressung, Betrug und Diebstahl”. Sicher denkt bei dieser Beschreibung heute jeder an Rinat Achmetow, der in der Ukraine gerade den politischen Prozeß zur Lösung der Krise in Gang setzt. Aber es handelt sich nicht um den Oligarchen Achmetow, sondern um die Lebensbeschreibung eines der frühen Helden des amerikanischen Kapitalismus: Cornelius Vanderbilt. Von Achmetow ist auch nicht bekannt geworden, er könnte die “Genüsse des Lebens” verschmähen. Das ökonomische und politische System der Ukraine ist durchaus mit dem der USA vergleichbar, aber dem im 19. Jahrhundert. Der Biograph Vanderbilts, Gustavus Myers, schrieb sein Buch 1916.

Achmetows Reichtum ist noch nicht alt genug, damit die kriminellen Umstände ihres Entstehens wie bei Vanderbilt vergessen sein könnten. Aber in seiner Person, und das gilt für alle Oligarchen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wird das Problem deutlich, das dort der Transformationsprozess vom Staatskapitalismus zum Kapitalismus hinterlassen hat. Zwischen den Oligarchen und ihren amerikanischen Vorgängern gibt es zwar in der Skrupellosigkeit keine Unterschiede, aber in ihrer Funktion in kapitalistischen Ökonomien. Letztere haben zweifellos wie Vanderbilt oder der Stahlbaron Andrew Carnegie und der Ölmagnat John D. Rockefeller ihren Beitrag zur Entwicklung der USA als führende Industrienation des ausgehenden 19. Jahrhunderts geleistet. Die Achmetows und die anderen Oligarchen haben dagegen das nach dem Zusammenbruch herrenlos gewordene Volksvermögen usurpiert, ohne einen signifikanten Beitrag zur Produktivitätssteigerung zu leisten. Es sind somit Unternehmer ohne Unternehmerfunktion, was man bekanntlich Eric Schmidt von Google nicht vorwerfen kann. Die Sicherung der erst kürzlich gewonnenen Machtposition ist das erste Ziel ihrer Aktivitäten.

Nun hat sich Achmetow scheinbar entschlossen, seine Schaukelpolitik zwischen der provisorischen Regierung in Kiew, dem Kreml und den Separatisten in der Ostukraine aufzugeben. Letztere mussten schon das Scheitern ihres sogenannten Referendums verdauen, das in Moskau mit höflichen Worten ignoriert worden ist. Sie schmoren seitdem im eigenen Saft und haben ihre Funktion erfüllt, um rechtzeitig abserviert zu werden. Nämlich der Regierung in Kiew vor den Präsidentenwahlen am kommenden Sonntag ihre Grenzen aufzuzeigen. Achmetow schickt jetzt seine Arbeiter auf die Straße, nachdem er seinen Abgeordneten im Parlament in Kiew früher schon das provisorische Einsetzen der Regierung gestattet hatte. In bewegenden Worten wendet er sich laut FAZ an die lieben Mitbürger. Schade eigentlich, dass es von Vanderbilt keine putzigen YouTube-Videos gibt:

„Mit Maschinenpistolen durch die Städte des Donbass zu laufen – sollen so die Rechte der Donezker vor der Zentralregierung gewahrt werden? In den Städten marodieren und friedliche Bürger verschleppen – ist das ein Kampf für das Wohlergehen unserer Region?“ … . Nein! Das ist ein Kampf gegen die Einwohner unserer Region. Das ist ein Kampf gegen den Donbass. Das ist Völkermord am Donbass.“ Die Menschen seien es leid, in Angst zu leben, in den Städten herrschten „Banditen und Marodeure“, sagte Achmetow, der als einer der reichsten Unternehmer der früheren Sowjetrepublik gilt und zu einem Warnstreik in dem Gebiet aufrief.”

Nun könnte man zwar bei “Bandit” auch an andere Akteure als an die Komiker neugegründeter Volksrepubliken denken, aber solche Assoziationen wollte Achmetow sicherlich nicht auslösen. Originell ist er dafür zweifellos. Vom Vorwurf des “Völkermordes” war in dieser Krise noch nicht die Rede gewesen. Aber immerhin: Es ist kaum anzunehmen, dass der Oligarch auf eigene Rechnung handelt. Schließlich hat Achmetow kein Interesse daran, es sich mit wichtigen Akteuren zu verscherzen. Ob nun mit dem Kreml oder dem Westen. Ob das auch für die Regierung in Kiew gilt, ist allerdings nicht so ausgemacht. Dafür müsste er den Stellvertreter von Julia Timoschenko im Amt des Ministerpräsidenten für relevant halten.

Der wahrscheinliche Sieger der Präsidentenwahlen in der Ukraine, selber ein Oligarch aus der Süßwarenbranche, bekommt so das Haus besenrein übergeben. Die Oligarchen werden den Umsturz in Kiew in gleicher Weise okkupieren, wie sie es schon 2004 gemacht haben. Unter den heutigen Bedingungen ist wohl auch kein anderer Kompromiss möglich, der den endgültigen Kollaps der Ukraine als Territorialstaat und damit einen Bürgerkrieg verhindern könnte. Das ist zwar Zynismus, aber immerhin orientieren sich die Oligarchen an der Besitzstandswahrung. Es könnte der letzte Rest Rationalität sein, der in der Ukraine noch zu finden ist. Bis nach Finnland ist es noch ein weiter Weg. Die kamen übrigens ohne Oligarchen aus.

Allerdings fragt man sich nach den Ereignissen der vergangenen Monate schon, wer eigentlich auf die Idee gekommen ist, die Ukraine möglichst schnell in die EU oder die NATO aufzunehmen. Cornelius Vanderbilt war es nicht.

Crosspost von Wiesaussieht

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