Der Tatort am vergangenen Sonntag – Propaganda gegen den Rechtsstaat

von , 16.5.14

Der Tatort („Ohnmacht“) am letzten Sonntag hat bei mir einen gewissen Ärger entfacht. Nicht so sehr wegen der Geschichte, die durchaus spannend erzählt war. Und auch nicht wegen des Themas „Jugendgewalt“, die in der Realität zwar abnimmt, aber immer noch ein gravierendes gesellschaftliches Problem darstellt.

Ich erwarte von Krimis auch gar nicht, dass sie quasi-dokumentarisch über die Arbeit von Polizei und Justiz berichten. Anlass meines Ärgers war aber der Eindruck, dass knapp hinter der Fassade einer spannenden Kriminalgeschichte mittels der positiv belegten Protagonisten Ballauf und Schenk eine Art Abrechnung mit korrekt arbeitenden Juristen, aber dadurch auch mit Recht und Rechtsstaat stattfand.

Ein von einer Straftat betroffener Polizeibeamter sollte nicht in der Sache ermitteln, in der er selbst Opfer ist  (hier eines Totschlags- bzw. Mordversuchs). Diese selbstverständliche Einsicht, schon ein Gebot des gesunden Menschenverstands, ist dem Herrn Ballauf, dem Sympathieträger in der Sendung, nicht zu vermitteln. Er ist nicht nur – verständlicherweise – emotional betroffen, sondern hat sich schlicht nicht unter Kontrolle. Er und sein Kollege Schenk ignorieren die Anweisungen von oben. Nebenbei: Es ist einer der häufigsten und mittlerweile abgekautesten Plots in Kriminalgeschichten, dass die beamteten Helden vom Fall abgezogen werden, aber dann doch weiterermitteln. Eigentlich geht so etwas nur noch als Ironie oder Witz durch. Aber hier in Köln geschah es nicht einmal heimlich (wie vorletzten Sonntag in München), sondern offen unter den Augen der Vorgesetzten und Kollegen. Ballauf ermittelte weiter, ob bei der „engagierten“ Vernehmung von Beschuldigten oder bei der phantasievollen (Fingerabdrücke einer Noch-Zeugin) bis gewaltsamen (Handy-Kontakte des Verdächtigen) Beweismittelbeschaffung. Die Botschaft schon recht früh im Film: Sich an Recht und Gesetz zu orientieren, ist bei Ermittlungen nur hinderlich, ja geradezu dumm. Normverletzende Aktionen mit emotionaler Beteiligung sind richtig, denn am Ende wird derjenige, der gegen Regeln verstößt, mit Erfolg belohnt. Solange er ein Polizist ist und nicht etwa ein Jugendlicher, wohlgemerkt.

Vor allem aber Juristen sind von Anfang an die Deppen. Aber nicht, weil sie (was durchaus ein Thema wäre) Fehler machen, sondern gerade, weil und wenn sie auf Einhaltung der geltenden Vorschriften bestehen. Eigentlicher Gegner der Polizisten ist der Rechtsstaat: Das Drehbuch propagiert: Je böser die Tat, desto rechtsstaatswidriger dürfen die Ermittlungen sein. Wer auf seinem (Menschen)Recht besteht zu schweigen, um sich nicht selbst zu belasten, ist laut Drehbuch mindestens unsympathisch und hat mit ebenso großer Sicherheit Dreck am Stecken. Wer (als Jugendliche) möchte, dass die Mutter bei der Vernehmung anwesend ist, ist im Grunde allein deshalb hochverdächtig. Unterschiede zwischen Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung sind irrelevant, Belehrungen kommen nicht vor, kein Unterschied zwischen Haftbefehl und Verurteilung. Fatale Botschaft: Wer (als Jugendlicher) eines Mordes beschuldigt wird, der sollte sich keinesfalls noch verdächtiger machen, indem er schweigt, die Eltern hinzuzieht oder gar einen Strafverteidiger beauftragt. Der Vater, der sich „als Vater“ nicht bereit erklärt, gegen seinen Sohn auszusagen, bekommt prompt die Quittung, indem er von seinem Sohn zusammengeschlagen wird. In diesem Tatort kamen Strafverteidiger gar nicht vor. Aber dafür können die Strafverteidiger eigentlich dankbar sein, denn wenn sie im „Tatort“ vorkommen, dann üblicherweise als schmierige Rechtsverdreher, direkt aus dem Mafia-Klischee.

Eine junge Richterin, die (ganz zutreffend bei solchen Ermittlungen) auf rechtsstaatlichen Grundsätzen besteht, wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Uns Zuschauern, die ja schon wissen, wie böse die Bösen wirklich sind, wird suggeriert, dass Rechtsvorschriften eigentlich nur die Ermittlungen der rechtschaffenen Polizisten (unseren Helden) behindern. Dass es auch darum gehen muss, durch rechtsstaatliche Ermittlungen überhaupt sicherzustellen, dass ein späterer Prozess zu einem gerechten Ergebnis kommt, ge-„schenkt“. Denn eigentlich müssten die Täter sowieso ganz ohne Gerichtsverhandlung für immer eingesperrt werden.

Der kaum versteckte Angriff auf Juristen und korrekt ermittelnde Polizisten mit dem Vorhalt, sie blickten nicht durch, sie seien realitätsfremd, sie seien opferfeindlich und täterfreundlich und sie behinderten die effektive Polizeiarbeit, wird noch übertroffen durch den Angriff auf das Jugendstrafrecht. Hier, im Jugendstrafrecht kulminieren die Vorwürfe gegen das Recht und die Juristen. Ohne Reflektion und offenbar schon im Wissen um das stereotype Vorurteil im Publikum genügt das Stichwort „Jugendstrafrecht“, um die entsprechenden negativen Emotionen abzurufen und festzuklopfen.

Nun wird  man einwenden: Ja, so wird nun einmal gedacht in der Polizei und in der Öffentlichkeit. Oder: Tatort ist nur ein Film, niemand im Publikum nimmt das Ernst. Und um spannend zu sein, könne man Ermittlungsarbeit und Strafprozess eben nicht realitätsgerecht abbilden. Aber muss dann gleich so klar Stellung gegen Recht und Gesetz bezogen werden?

Propaganda wirkt subtil – nicht nur in Dokumentarfilmen, sondern auch in Spielfilmen, gerade in den erzählerisch und technisch guten, in denen mit Emotionen vermischt zugleich vermeintlich zutreffende Informationen über die Wirklichkeit polizeilicher und strafprozessualer Ermittlungsarbeit verbreitet werden – vor einem Millionenpublikum. Die zuschauenden Juristen und Polizisten bekommen zugleich die Botschaft vermittelt: Ja, so wird in der Öffentlichkeit über uns gedacht – lass uns also demnächst emotionaler und rechtsfeindlicher ermitteln und entscheiden, dann werden wir auch anerkannt.

Das Ergebnis findet sich dann womöglich demnächst in Ihrer Polizeiwache und in Ihrem Gerichtssaal.

Ergänzung: Auf Twitter wurde ich auf diesen Zeit-Artikel von 2012 aufmerksam gemacht.

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