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Journalistische Berichterstattung über Russland: Ein weiterer großartiger Sieg

von , 24.4.14

Einen Schritt weiter auf der Leiter der glänzenden Erfolge westlicher Diplomatie. Russland gibt nach, Kerry verkündet, Steinmeier gibt zu bedenken, Merkel gratuliert, Obama droht verhalten.

Die Schrottpresse fühlt sich schlecht informiert. Oder sollte man besser sagen, »gar nicht«? Das Genfer Verhandlungsergebnis kann eigentlich schlecht das Ergebnis der Multimediashow Putins sein; da muss noch etwas anderes passiert sein. Auch der etwas wirre Auftritt Edward Snowdens war wohl weniger einem sachlichen Beitrag zur Lage als einem moralischen Wink in Richtung US-Administration geschuldet.

Was passierte also tatsächlich?

Wir werden es wohl nicht erfahren. Das nachvollziehbare Bedürfnis, sich das positive Ergebnis des Gipfels unter den Nagel zu reißen, haben alle Beteiligten. Und weil das Ergebnis in Anbetracht der Eskalationen der letzten Tage wenigstens beruhigend ist, will man auch gar nicht so sehr nachfragen. Es bleibt die Hoffnung, dass die Beschlüsse erst einmal Realität werden – dann kann man weiter sehen.

Die Frage nach der Qualität der Berichterstattung bleibt allerdings.

Die war vor Monaten schon mies, ließ im Lauf der Ereignisse stark nach, um sich dann noch weiter zu verschlechtern. Ein Armutszeugnis für die sogenannte Qualitätspresse.

Die überwiegende Mehrheit des Publikums scheint diese Einschätzung geteilt zu haben. Verfolgt man Leserbriefe und andere Reaktionen auf die tendenziöse Berichterstattung, wird klar, dass es nicht gelang, die verordnete Botschaft erfolgreich unters Volk zu bringen. Zu groß die Widersprüche, zu einseitig die Berichte. Ein weit verbreitetes Unbehagen darüber, dass es wohl »irgendwie falsch laufe«, aber nicht aus den kolportierten Gründen.

Manchmal braucht man jemanden, der es einem erklärt. Selten findet sich jemand; in diesem Fall aber doch.

Die etwas Älteren werden sich vielleicht an die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz erinnern, die zwischen 1987 und 1992 als Korrespondentin im ARD-Studio Moskau bekannt wurde, von wo sie über den Zerfall der Sowjetunion berichtete. Zwischen 1992 und 1997 moderierte sie den »Kulturweltspiegel«.

Frau Krone-Schmalz erfreut sich auf der Schrottpresse großer Sympathie. Diese gute Meinung wurde durch ein Interview vom 16. April diesen Jahres wieder einmal bestätigt.

Transkriptionen sollen nicht zur schlechten Angewohnheit dieses Blogs werden, aber in diesem Fall lohnt es wirklich. Für die Hörer unter meinen Lesern noch der Link auf das Video bei Youtube, aber wer lesen kann …

[Transkription von Daniel Taake (Anm. d. Red.)]

Frau Krone-Schmalz, wir Medien kriegen in den letzten Wochen sehr viele Zuschriften. Printredaktionen, Hörfunkredaktionen und Fernsehredaktionen zugleich, von Zuschauern, von Usern, die sich beschweren über unsere Russland–Berichterstattung, die eine gewisse Einseitigkeit feststellen. Können Sie das teilen?

Das kann ich teilen. Ich kriege diese Mails und diese Zuschriften ja auch. Das ich kann teilen, weil es sind in der Tat Fehler gemacht worden. Die kann man auch benennen.

 
Tun Sie mal —

Ein großer Fehler hat sich eigentlich schon Ende letzten Jahres abgespielt. Man hätte im Zusammenhang mit der Ukraine viel, viel früher das EU-Assoziierungsabkommen, über das ja jeder geredet hat, mal erklären sollen. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten unserer Kollegen dieses Abkommen nicht gelesen haben, sonst wären sie möglicherweise über Paragraph 7 gestolpert, darin ist nämlich von militärischer Zusammenarbeit die Rede, zum Beispiel. Von Konvergenz auf diesem Gebiet. Also, wir, die Medien, hätten zu einem frühen Zeitpunkt wissen müssen – und es auch verkünden müssen – dass dieses Assoziierungsabkommen die Ukraine zerreißt.

 
Das stimmt sicherlich. Das beantwortet aber nicht die Frage, wo diese Kluft herkommt zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung gerade, diese Kluft zwischen Journalisten und Publikum. Ich denke, die meisten Leute, das Publikum, die sich jetzt beschweren, die werden dieses Assoziierungsabkommen auch nicht gelesen haben.

Das mag schon sein. Ich will vielleicht erst mal noch ein paar offensichtliche Fehler aufführen, um dann auf die Kluft zu kommen.

Wenn Sie mal darauf achten, wie präzise oder unpräzise mit Begriffen umgegangen wird: Europa und EU ist nicht dasselbe, und es ist sehr oft Europa genannt, wenn EU gemeint ist. Und Bürger sind offensichtlich nicht so dumm, dass ihnen das nicht auffällt. Oder – in der Berichterstattung über Russland – da weiß ich es nun besonders; bei dem anderen will ich mich nicht aus dem Fenster hängen – ist sehr, sehr oft von »wohl«, »offensichtlich«, »vermutlich«, »wahrscheinlich«, so in der Richtung die Rede. Die Fragen, die von den Kollegen in den Studios kommen, sind ja auch darauf ausgerichtet: »Was glauben Sie«, »was denken Sie«, »was meinen Sie«, und ich denke, da müsste man sich viel öfter verweigern. Auch das merken Zuschauer.

Und dann – und ich glaube, das merken sie ganz extrem – diese entlarvenden Automatismen. Also wenn beispielsweise der Moderator im Studio fragt den Kollegen vor Ort: »Droht der Ostukraine jetzt das gleiche Schicksal wie der Krim?« Das darf nicht sein! Das gehört da nicht hin.

Oder wenn von pro-russischem Mob die Rede ist und dieser Begriff es bis in die öffentlich-rechtlichen Nachrichten schafft.

Also: Diese Kluft zu erklären, ist sicher schwierig, aber ich habe den Eindruck, dass Bürger, die ja nun mal in einem System leben, das man demokratisch nennt, und die ja irgendwann auch in die Lage kommen, Entscheidungen treffen zu müssen auf einer soliden Grundlage; dass Bürger sich ein gutes Gespür dafür bewahrt haben, dass die Welt nicht nur in Gut und Böse zu unterteilen ist, dass man genauer hingucken muss, dass sie mehr Hintergründe wollen, auch wenn sich das manchmal durch die Quoten nicht zu bestätigen scheint, und dass sie dann rebellieren, wenn hundert Jahre, nachdem der erste Weltkrieg ausgebrochen ist, man an einer Stufe steht, wo man ernsthaft Angst haben muss, dass durch eine unprofessionelle Entscheidung – um es mal so zu sagen – vorbereitet durch unprofessionell arbeitende Medien, etwas passiert, was wir alle nicht überleben.

 
Was meinen Sie damit: unprofessionelle Entscheidungen, unprofessionell arbeitende Medien?

Ich gehe davon aus, dass Menschen, die über Krieg und Frieden zu entscheiden haben, dass sie sich überlegen, bevor sie etwas sagen, was es auslösen kann. Das meine ich mit professionell in der Politik, und professionell in den Medien meine ich, dass wir verpflichtet sind, in unserem System der Demokratie, dass wir verpflichtet sind, Interessen – egal, wo sie ihren Ursprung haben, ob in Washington, in Moskau, in Peking, in Brüssel – dass wir Interessen auch beim Namen nennen und den Bürgern darlegen, und nicht die einen Interessen weiß malen und die anderen Interessen schwarz malen.

Und das passiert mit Blick auf Russland eindeutig.

 
Inwiefern? Welche Interessen müssten wir beim Namen nennen?

Das EU-Assoziierungsabkommen ist ja über weite Strecken so dargestellt worden, als sei es eben die Tür in den Westen, in die Freiheit, in das, was alle Ukrainer oder die Ukraine als Ganzes will. Es ist sehr sporadisch – und man muss schon danach suchen – darüber geredet worden, dass natürlich die EU auch Interessen hat, die Ukraine rüberzuziehen. Dass dann in einem solchen Moment beide Interessen – die von Moskau und die von Brüssel – eine Rolle spielen: Das ist die Aufgabe von Medien, darüber zu reden. Das ist am Anfang nicht passiert.

 
Stattdessen – was ist passiert?

Das wissen Sie genau so gut wie ich!

Stattdessen ist passiert, dass man Brüssel als Hort der Freiheit, des Wohlstandes, der Chance für die Ukraine dargestellt hat (was ja so sein kann, aber nicht nur so ist), und aus Moskau automatisch – alles was aus Moskau kam – mit einem negativen Vorzeichen versehen wurde. Was ja so weit geht (und ich finde, das dürfen Journalisten nicht mitmachen), was ja so weit geht, dass auch Vorschläge, über die man zumindest diskutieren kann – welche Konstruktion soll jetzt die Ukraine bekommen, wie geht man jetzt damit um, wie kriegt man es hin, dass EU-Einbindung und Zollunion, Eurasische Union, dass das irgendwie zusammenpasst – dass, wenn solche Vorschläge aus Moskau kommen, dass das nur russische Propaganda ist. Das ist mir einfach zu primitiv in meinem Job!

 
Aber war das wirklich ausschließlich so?

Nein, das war natürlich nicht ausschließlich so! Aber es reicht ja, wenn der Mainstream so ist!

Und was mich erfreut, dass wir offensichtlich nicht nur den sogenannt mündigen Bürger haben, sondern den mündigen Bürger haben, der sich das auf die Dauer nicht gefallen lässt.

 
Aber das heißt, in den Argumenten, die […] unsere Zuschauer, die sich jetzt beschweren bei uns in den letzten Wochen: An den Argumenten haben Sie nichts auszusetzen – die Argumente teilen Sie ja. Im Prinzip liegt es an der Berichterstattung.

Was: An der Berichterstattung?

 
Die Beschwerden, die wir bekommen, sagen ja: Ihr berichtet einseitig, ihr guckt nicht genug nach Moskau , ihr versteht nicht, welche Interessen die Russen haben —

… ihr erklärt es nicht richtig … überschlagt ein paar Sachen — Ja!

 
Das teilen Sie?

Ja. So wie ich das erklärt habe – so wie ich das erklärt habe: In den Punkten teile ich das! Sagen wir mal so: Es grenzt ja an Selbstmord, wenn man Kollegen kritisiert. Nichtsdestotrotz, finde ich, muss es sein, wenn man selber eine bestimmte Auffassung von seinem Job hat, und sieht, dass manche Dinge nicht so laufen, wie ich sie machen würde.

Ich finde, für eine realistische Berichterstattung, eine realistische Berichterstattung – egal, ob jetzt über Russland, über Afrika oder über sonst was – muss sich erst mal intensiv auseinandersetzen mit bestehenden Freund-Feindbildern, die aus welchen Gründen auch immer entstanden sind. Dann muss man sich die bewusst machen, und man muss die jedes Mal immer wieder durchfiltern. Und dann, finde ich, muss man – egal, ob einem die bestimmten Protagonisten nun sympathisch sind oder nicht –, dann muss man zumindest mal sich anhören, was diejenigen zu sagen haben, und nicht das (das ist auch ein großer Fehler der Medien gewesen – für meine Begriffe der Politik auch, aber mit der habe ich nichts zu tun), dass man von Anfang an Putin nie ernst genommen hat; weil, »wie der schon aussieht!« und »der kommt ja aus dem KGB«. Das interessiert uns Richtung Westen niemals!

Also diese Dinge! Das gehört für mich zu seriösem Journalismus von allen Seiten: Das so neutral wie möglich dem Grenzen gesetzt sind, darzustellen. Und das ist mit Russland nicht der Fall!

 
Das heißt, Sie würden behaupten, dass Medien Putin nicht ernst nehmen, seine Argumente nicht ernst nehmen, sondern in einer Art Reflex quasi automatisch auf die andere Seite wechseln und sich von ihm distanzieren, ihn beschuldigen? Wie würden Sie das beschreiben? Ist das eine Art Reflex?

Möglicherweise auch eine Art Reflex. Es hat ja auch was von Bequemlichkeit. Wenn ich gegen den Strom schwimme, dann muss ich gut munitioniert sein, damit ich gute Argumente habe. Wenn ich das mache, was alle machen, wird mich keiner fragen, und ich bin schneller fertig mit meinem Job.

 
Und das ist Ihrer Meinung nach passiert?

Hab ich doch gesagt!

[Das Lächeln zu dieser Antwort bei Min. 8:13 muss man gesehen haben!]

 
Aber nun muss man ja auch sagen: Sie saßen bei Anne Will in der Talkshow und konnten quasi Ihren Standpunkt vertreten. Es gibt auch immer wieder kritische Kollegen. Die FAZ hat einen längeren Essay von einem Strafrechtler veröffentlicht, in dem erklärt wird: Nein, das war keine Annexion, was in der Krim passiert ist, nein, das war nicht per se völkerrechtswidrig – zumindest nicht der Anschluss der Krim — Es gibt ja diese Stimmen da draußen.

Das ist ja auch das, wofür ich auch nicht zur Verfügung stehe. Mein Weltbild ist – egal in welcher Richtung – nie Entweder-oder. Das ist mir zu primitiv. Es heißt ja nicht, wenn Mainstream über Russland in eine bestimmte Richtung geht, über die sich mittlerweile die Bürger aufregen, weil sie sagen, »so kann es nicht sein«, das heißt ja nicht, dass alles falsch ist! Natürlich finden Sie überall immer mal wieder Artikel, wo ich mich auch freue und denke, »endlich mal!« Dieser Kollege, der über das Völkerrecht geschrieben hat: Da kann man ja mal fragen, wie viele Zeitungen der vorher kontaktiert hatte … Zum Beispiel!

Also ich freue mich darüber, wenn die Bandbreite mal zu sehen ist, aber den Eindruck, dass auf der Hauptstraße mit diesen ganzen Unterschwelligkeiten etwas nicht stimmt Richtung Russland – den teile ich, und den kann man auch daran festmachen: Für mich ist Journalismus – egal, ob ich die Typen, die ich interviewe gut finde oder nicht – hat auch was mit Respekt zu tun. Und mit Blick auf Russland ist fast immer Häme oder ein Vokabular wie »angeblich« oder »soll so«, aber hm, ob das wirklich so ist?

Ich hab in einem meiner Bücher mal ein ganzes Kapitel mit dem Titel »zweierlei Maß« überschrieben und habe da eine ganze Reihe Beispiele gesammelt. Da könnte man eine Lose-Blatt-Sammlung daraus machen, und das ist auch ein schönes Forschungsthema.

 
Für die Unterschwelligkeiten, von denen Sie sprechen? Könnten Sie da noch mal ein paar Beispiele nennen? Was sind das für Unterschwelligkeiten in der Berichterstattung?

Zum Beispiel »pro-russischer Mob«. Das geht gar nicht! Wir haben nie »pro-europäischer Mob« gesagt! Hätte man machen können.

Was auch nicht geht, das, was sich jetzt im Ostteil der Ukraine abspielt, wird immer verglichen mit der Krim. Warum wird das nicht verglichen mit den Vorgängen in Kiew? Das wäre die bessere Parallele, bringt uns aber in ein Durcheinander in unserer Argumentation. Das ist so eins. Oder im Grunde genommen auch die Schlagzeilen, die es so gibt: »Russland zündelt« oder »Wer stoppt Russland?« Das sind alles so Dinge – finde ich –, die für eine Schlagzeile vielleicht gerade noch so zu verkraften sind, aber im Prinzip, in einer solchen Situation, wir uns mit unserem Verantwortungsbewusstsein als Journalisten nicht leisten sollten.

 
Ich hab mir mal die Mühe gemacht, die großen Talkshowtitel der letzten Wochen […] rauszusuchen. »Putin, der Große«. »Wie gefährlich ist Russland?«. »Putins Machtspiele«. »Gibt es jetzt Krieg?«. »Putin weiter auf dem Vormarsch!«, »Spielt Putin mit dem Feuer?«

[Sie unterbricht ihn] Genau! Putin, Putin! Als ob Russland nur aus Putin bestünde! Übrigens – ich weiß ja nicht, ob das irgendwo auch noch hinpasst … aber einer der Fehler, die wir machen, wir Medien machen, ist, dass wir den Fokus auf Dinge legen, die eigentlich keine Bedeutung haben. Also beispielsweise Herr Klitschko als Oppositionsführer in der Ukraine. Das ist ein Witz! Also jeder zweite Ukrainer lacht sich tot darüber!

Wir hatten eine Zeit, da haben wir den Schachspieler Karpow – der war mal ein Konkurrent von Putin … also in Anführung, ein Konkurrent, der wurde von uns hochgehypet. Der hatte in Russland überhaupt keinen politischen Rückhalt. Die wirklichen oppositionellen Politiker, die sind farbloser, die sind nicht so … Die kennt hier keiner. Und was die an Arbeit machen, ist sehr unspektakulär, aber nichtsdestotrotz sehr wirkungsvoll.

Um das zusammenzubinden: Ich bin ohnehin der Auffassung, wenn man von anderen Ländern etwas mehr begreifen will, dann darf man sich in der Auslandsberichterstattung nicht immer nur auf die exorbitanten Dinge, auf die außergewöhnlichen Dinge, auf die explosiven Dinge stürzen, sondern man muss viel mehr versuchen, vom Alltag zu transportieren, weil dann hat man eher eine Chance, ein Land zu verstehen.

Ich habe versucht, so zu arbeiten.

 
Wenn das jetzt alles stimmt, was Sie sagen, wenn die Berichterstattung wirklich so einseitig war und all diese Fehler begangen wurden: Worauf ist das zurückzuführen? Ist das wirklich pure Bequemlichkeit, wie wir das gerade schon andiskutiert haben, und ein einfaches Freund-Feind-Schema, was da bedient wird? Worauf ist das zurückzuführen?

Ich glaube, es wäre dringend nötig, da auch ein Forschungsthema draus zu machen. Es gibt darüber eine sehr interessante Bachelor-Arbeit, die das Russlandbild in Deutschland untersucht hat, und das ist nicht uninteressant, was dabei rausgekommen ist. Jetzt so aus dem Stegreif, denke ich, kommen ein paar Dinge zusammen: Das immer noch nicht überwundene Ost-West-Denken – es ist einfacher, um die Welt zu sortieren, wenn man in Gut-Böse unterteilen kann, das ist einfach einfacher, und – und das verhehle ich ja gar nicht: Heutzutage stehen Journalisten ja auch zeitlich und sonstwie wesentlich mehr unter Druck, als ich das in meiner aktiven Zeit gestanden habe.

Es ist sicher ein Vorteil, wenn man wegen der Technik in der Lage ist, ganz schnell zu reagieren. Aber es ist ein Nachteil mit Blick auf Recherche, mit Blick auf noch mal absichern, mit Blick auf noch mal nachdenken, bevor man irgendetwas sagt. Und sich da zu wehren, dazu brauchen Sie ein breites Kreuz. Aber das erwarte ich von Journalisten.

 
Die Tatsache, dass offensichtlich die Leute da draußen das merken und das jetzt auch kommunizieren – was bedeutet das?

Das bedeutet für mich Hoffnung, muss ich Ihnen ehrlich sagen, das bedeutet für mich Hoffnung, weil es offensichtlich nicht so ist, dass sich Menschen weniger interessieren für komplizierte Zusammenhänge – was ja manchmal aus den Quoten so abzulesen ist, oder man glaubt, es aus den Quoten abzulesen –, sondern dass es immer noch einen Bodensatz von politisch interessierten Menschen gibt, die selber nachdenken, die sich auch wehren, denn das ist für mich der Tod einer rechtsstaatlich verfassten demokratischen Gesellschaft, wenn sich keiner mehr wehrt.

 
Das Problem ist so ein bisschen an dieser Welle, die uns gerade da an Kritik entgegenschwappt ist, dass es eine sehr heterogene Welle ist. Da sind Verschwörungstheoretiker dabei, da sind eben die Leute vom rechten Rand dabei, da sind Amerikahasser dabei, da sind aber auch sehr viele Vernünftige dabei, mit denen man sich eben argumentativ auseinandersetzen muss als Medien. Wie beurteilen Sie das, also diese Sammelbewegung?

Das ist auch eine ganz heikle Geschichte. Ich kenne viele – auch Kollegen, oder Freunde; egal – die sich bei manchen Themen zurückhalten, ganz bewusst zurückhalten, weil sie eben nicht vor falsche Karren gespannt werden wollen. Das ist eine Gefahr! Und diese Gefahr bin ich oft eingegangen. Aber: Ich finde, man kann nicht die richtigen Themen den falschen Leuten überlassen, und man muss dann eben so gut vorbereitet sein, dass man, wenn man Argumente bringt oder wenn man sich wehrt, dass man sich von denen, mit denen man nichts zu tun haben will, deutlich absetzt. Das geht! Aber auch das ist unbequem. Aber nötig.

 
Jetzt würde ich noch mal auf die Berichterstattung über die Krim zurückkommen, weil dieser Merkel-Artikel mich auch schon beeindruckt hat. Wie haben Sie den Tenor der Berichterstattung wahrgenommen?

Der Tenor der Berichterstattung war ganz einfach: Alle haben sofort den Begriff Annexion gebraucht, und der Begriff Annexion ist völkerrechtlich falsch! Zumindest kann man darüber diskutieren, ob er richtig ist – ganz vorsichtig gesagt. Fakt ist – und das haben die meisten, die über Völkerrecht geredet haben, nie so ausgedrückt -, Fakt ist, dass das Völkerrecht zwei, zumindest zwei, widerstreitende Prinzipien in sich vereint: Das eine ist die territoriale Integrität, also die Unverletzlichkeit der Grenzen; das ist da drin, festemang, in der UN-Carta und in vielen anderen Dingen, und das andere Prinzip – nicht weniger wichtig – ist das Selbstbestimmungsrecht. So.

Und jetzt muss man von Fall zu Fall gucken: Was schlägt was? Und es kann nicht sein – und da haben offensichtlich Bürger ein feineres Empfinden für –, es kann nicht sein, dass wir Selbstbestimmungsrecht für bestimmte Gegenden der Welt akzeptieren und für andere Gegenden nicht akzeptieren. Also wenn sich, ich sag mal, 90 Prozent der Montenegriner für die EU entscheiden, dann finden wir das ein tolles Ergebnis.

Aber wenn sich 90 oder 97 Prozent der Bewohner der Krim für Russland entscheiden, dann sagen wir: Das kann ja nicht stimmen! Also, ein bisschen mehr Zurückhaltung und ein bisschen mehr Differenzierung. Und mit dem Völkerrecht zu argumentieren und zu sagen, die Russen haben auf jeden Fall das Völkerrecht gebrochen – es gibt Teile, wo das so ist, aber auf einer anderen Stufe -, dann lösen Sie damit ja im Prinzip eine Grundlage für eine Entscheidung aus. Und das ist gefährlich.

 
Aber wenn Sie gerade das Referendum ansprechen: 97 Prozent – das wurde ja auch in den deutschen Medien breit berichtet, dass es dieses Referendum gab, auch, dass es fair verlief, und dass tatsächlich die Krimbevölkerung sehr stark pro-russisch ist und offensichtlich zu Russland gehören möchte. Das wurde ja schon berichtet.

Das wurde berichtet, aber im Grunde genommen wurde ja auch berichtet, dass das Referendum eigentlich auf einer völlig falschen Basis stattfindet, also auch null und nichtig ist, im Grunde, weil die russische Militärpräsenz da war, die das Referendum eigentlich, ja, für null und nichtig – dafür sorgt, das es null und nichtig ist.

Auch da muss man differenzieren. Ich sehe ja ein, wir haben wenig Zeit, aber man muss differenzieren. Die Russen durften nicht außerhalb ihrer im Pachtvertrag festgelegten Stellungen mit Militär da rumlaufen. Das ist sicher richtig. Von daher haben sie das Recht gebrochen. Aber das russische Militär, was da rumsprang, war ja nicht mit der Kalaschnikow hinter den Leuten, die da gewählt haben, also »Ihr müsst wählen gehen« oder »Ihr müsst das und das wählen« , sondern die waren dafür da, und das konnte man an Ort und Stelle einfach begucken, die waren dafür da, die ukrainischen Soldaten in den Kasernen zu halten, weil sonst hätte das Referendum nicht stattfinden können. Das wünsch ich mir.

 
Diese ganzen umstrittenen völkerrechtlichen Fragen – das ist dann die eine Sache. Das hätte sicher stärker berichtet werden müssen. Das heißt ja aber nicht – und das ist die Reaktion vieler Schreiber, die wir jetzt sehen –, dass man sozusagen Putin in ausschließlich positivem Licht darstellen kann, weil —

Um Himmels Willen! Also, ich bin ja jemand, der auch in seiner Arbeit in seiner aktiven Zeit viel kritisiert hat, aber ich bilde mir ein, ich habe das immer auf einem bestimmten Niveau gemacht, und ich habe das immer mit einem bestimmten Respekt gemacht. Es gibt ein sehr schönes, wie ich finde, indianisches Sprichwort, das heißt: Manitu, also großer Geist, gib, dass ich meinen Nachbarn nicht eher tadele, als ich eine Meile in seinen Mokassins gewandert bin. Also sich hin und wieder in die Lebensrealität derjenigen zu versetzen, über deren Lebensrealität man berichtet, hilft!

 
Das heißt, weil, das ist mir wichtig: Viele Leserbriefschreiber stellen Putin im Moment sehr, sehr positiv dar. Das ist wahrscheinlich so eine Art Überreaktion, ich weiß nicht, aber — Wie sehen Sie das?

Sagen wir so: Auch bei den Medien, im Grunde genommen haben wir so, wenn ich das mal so platt sagen soll, im Grunde genommen haben wir eine Entwicklung durchgemacht von einer Gorby-Manie in eine Putin-Phobie. Ja? Das eine wie das andere ist nicht so … hätte man vielleicht so nicht machen müssen.

Was heißt Überreaktion? Vielleicht ist es insofern eine Reaktion, weil viel zu lange zu kurz gekommen ist, was dieser Mann – ob man den sympathisch findet oder nicht – für das Land geleistet hat, und das war schon eine ganze Menge. Bei uns hat das aber in der Berichterstattung keine Rolle gespielt. Wir haben uns anderthalb Jahre an Pussy Riot aufgehangen, was in Russland keine Rolle gespielt hat, haben darüber vergessen, was in Russland wirklich wichtig war, im Alltag.

Es gibt so intelligente Proteste in Russland, es gibt so interessante Zusammenkünfte zwischen aufmüpfigen Leuten und Regierungsstellen. Es gibt so interessante Programme von unseren Kollegen in Russland, die sich richtig was trauen. Das würde ich mir wünschen, dass man das auch mal hier zur Kenntnis bringt, und sich dann mit denen auch auseinandersetzt. Das würde was bringen über, dass wir ein realistischeres Bild von dem haben, was sich in Russland abspielt.

Es gibt viel zu kritisieren – du lieber Gott: Die Zeit haben wir heute nicht, um das alles aufzuzählen. Aber es nur so zu sehen, wird der russischen Realität im Moment nicht gerecht, und auch nicht dem derzeitigen und schon dreimaligen Präsidenten Putin.

 
Ein interessanter Punkt, den ich noch nicht so ganz verstehe: In diesen Briefen, die wir bekommen, spielt der Antiamerikanismus eine große Rolle. Haben Sie da eine Erklärung für? Wie hängt das zusammen?

Ich bin sehr skeptisch. Es gibt Antiamerikanismus, es gibt Anti-Ichweißnichtwas – ich bin aber sehr skeptisch, das als Grund anzuführen für eine positive oder positivere Sichtweise Russlands. Das ist mir zu platt. Es kommt mir auch so vor, als käme dieses Argument, »das sind ja nur die Antiamerikaner, die jetzt Russland besser dastehen lassen wollen«, das kommt mir so vor, als ob denen die Argumente ausgehen, ja? So.

Ich finde es völlig legitim, wenn die deutsche Gesellschaft, Bürger in der deutschen Gesellschaft, die sich entsprechend äußern, wenn die von amerikanischem Verhalten enttäuscht sind. Also: Irak-Krieg Lüge … hm? Weiß man mittlerweile … was weiß ich … Killerdrohnen, Foltergefängnisse, Guantanamo, was immer – NSA nicht zu vergessen –, dann ist man enttäuscht. Und ich finde es auch völlig legitim, dann zu sagen: Diese Werte-Führerschaft, die die USA ja mal hatten, haben sie irgendwie doch so ein bisschen verwirkt – vorsichtig ausgedrückt.

Wenn ich das deutlich beim Namen nenne, wenn ich da versuche, mich zu wehren und zu sagen, »Halt, stopp! Das darf doch so nicht sein!«, dann hat das für meine Begriffe aber nicht die Bohne mit Antiamerikanismus zu tun, sondern einfach nur mit einer realen Wahrnehmung der Welt. Alles, was auf Antiamerikanismus oder Anti-Ichweißnichtwas rausläuft: Das ist nicht, das ist nicht das, was eine Rolle spielt nach meinem —

 
Aber das Interessante ist ja, dass es anscheinend mit Russland verwoben wird gerade. Und das verstehe ich nicht.

Wer verbindet das mit Russland?

 
Na ja gut: Die ganzen Leute, die sich jetzt gerade beschweren. Die sagen, »hört mal auf, so negativ über Russland zu berichten, über Putin zu berichten: Guckt doch lieber mal, was in den USA los ist!«

Das halte ich für legitim und hat nichts mit Antiamerikanismus zu tun, sondern ist – würde ich mal sagen – ein Bedürfnis nach Gerechtigkeit, wenn Sie so wollen.

 
Aber das eine hat ja mit dem anderen wenig zu tun. Man kann ja auch die USA kritisieren …

Ja eben: Das wäre ja schön, wenn das so ist …

Ich denke, dass diese Wahrnehmung, dass, wenn bestimmte politische Entscheidungen in einem Teil der Welt stattfinden, dass sie anders berichtet werden, anders kommentiert werden, anders wahrgenommen werden, halte ich, wie gesagt, halte ich für legitim. Und das ist natürlich ja auch ein ganz schönes Beispiel, zu sagen, »dem haut ihr immer einen auf die Mütze, und der macht so was ähnliches, und da sagt ihr, das ist alles nicht schlimm«. Also, dieses Messen mit zweierlei Maß funktioniert ja nur, wenn man auch zwei Antipoden da stehen hat.

Aber das ist weit ab von Antiamerikanismus.

 
Wir haben ja darüber diskutiert, dass andere Meinungen vorkommen, aber eben in geringerem Maße. Aber nichtsdestoweniger ist es ja trotzdem, wenn man sich die Mainstreammedien anguckt und ihre Kritik ernst nimmt, Ihre Kritik ernst nimmt, ist das ein Unterwegssein in die falsche Richtung, unterm Strich. Und jetzt kann man ja, wenn man dieses Argument hört oder diese These hört, zumindest anfangen, zu zweifeln, weil ganz unterschiedliche Redaktionen in unterschiedlichen Teilen der Republik bei demselben Thema offensichtlich sozusagen in die Irre gehen.

Ja, da sollte man vielleicht mal folgenden Mechanismus nicht ganz aus den Augen verlieren, was auch damit zu tun hat, dass Medien weniger Zeit und weniger Geld haben. Es gibt Leitmedien, und da guckt man nach, »was schreiben die?« – ich nenne jetzt keine –, und dann übernehmen das andere.
 
Crosspost von der Schrottpresse

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