#Auswertung

Die neuen Muckraker: Von Buzzfeed bis ProPublica

von , 19.4.14

Für die März-Ausgabe des journalist hatte ich ein paar meiner Gespräche und Gedanken aufgeschrieben. Den Text gibt’s jetzt hier in voller Länge, ergänzt um ein paar Links. Wer den Text oder Teile davon an anderer Stelle veröffentlichen möchte, schreibe mir eine Mail. Über eine Diskussion in den Kommentaren würde ich mich natürlich freuen.

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Der investigative Journalismus steht vor großartigen Zeiten – aber wie werden die aussehen? journalist-Autor Daniel Drepper hat sich angeschaut, was in den USA passiert und kommt mit viel Optimismus und einigen Empfehlungen nach Deutschland zurück.
 
Mark Schoofs hat einen Pulitzer-Preis gewonnen, er hat für das Wall Street Journal und ProPublica gearbeitet. Heute sitzt er zwischen “Oh my God”- und “What the Fuck”-Aufklebern. Ein paar Meter weiter stehen eine Pappfigur von Filmstar Ryan Gosling und eine Tischtennisplatte. Mark Schoofs arbeitet seit vergangenem Herbst für BuzzFeed, die für ihre Listen, Quizze und animierten Fotos berühmte Online-Seite. Als Schoofs Anfang der Achtziger in Yale studierte, war ein großer Teil seiner neuen Kollegen noch gar nicht geboren. Nun baut er für BuzzFeed eine zehnköpfige Investigativ- und Datenredaktion auf.

“Recherchiere wie ein Pitbull, schreibe wie ein Engel.” Wer sich die Stellenausschreibungen für BuzzFeeds Investigativ-Redaktion ansieht, bekommt einen guten Eindruck, worauf es in den nächsten Jahren im investigativen Journalismus ankommen wird: Schoofs braucht für sein Team sechs investigative Reporter, die klassisch recherchieren, mit vielen Dokumenten umgehen und gute Geschichten erzählen können.

Gleichzeitig müssen die Reporter im Netz zu Hause sein, Leser begeistern und in Teams arbeiten. Dazu sucht Schoofs einen Datenvisionär, diese Position ist ihm besonders wichtig. Der Spezialist soll gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen nicht nur Datenbanken auswerten, sondern “die Redaktion mit Ideen umhauen, an die niemals zuvor jemand gedacht hat.” [Anmerkung: Diese Position ist mittlerweile mit dem 27-Jährigen Jeremy Singer-Vine gefüllt, den Schoofs vom Wall Street Journal abgeworben hat. Siehe weiter unten im Text.]

BuzzFeed galt bis vor Kurzem als die Antithese zu seriösem Journalismus. Das soll sich jetzt ändern. Die Webseite hat zuletzt gute Erfahrungen mit langen Reportagen gemacht. Vielleicht hat das den Schritt ins Investigative beschleunigt. Die erfolgreichste BuzzFeed-Reportage hat mittlerweile fast 1,5 Millionen Klicks gesammelt. “Du kannst ein bisschen investieren und mittelmäßig sein – oder du kannst versuchen, richtig gut zu werden”, sagt Ben Smith. BuzzFeeds Chefredakteur will investigativen Journalismus für die digitale Generation machen. “Wir präsentieren Storys so, dass sie in den sozialen Medien angenommen werden. Wir fragen uns: Wer liest die Geschichte? Wie wird sie geteilt?”

Die 150 Millionen Klicks, die BuzzFeed mittlerweile im Monat sammelt, waren ein Grund für Mark Schoofs, das investigative Recherchebüro ProPublica zu verlassen. Je größer die Leserschaft, desto härter für Politiker und Wirtschaftsbosse, die Ergebnisse von Recherchen zu ignorieren. Seine Rolle bei BuzzFeed sieht Schoofs als “Erweiterung der Mission von ProPublica” – möglichst vielen, auch jungen Menschen harte Recherchen nahezubringen.

 

Der Wilde Westen des Journalismus

BuzzFeed wird die Zukunft des investigativen Journalismus bereichern. Ben Smith und Mark Schoofs spiegeln einen Trend: Immer mehr Redaktionen wollen sich vom Rest abheben.

Für Smith zählen im Internet nur zwei Dinge: Scoops und endgültige Geschichten, die ein Thema so perfekt recherchieren und erzählen, dass es niemand besser machen kann. Investigativer Journalismus eignet sich besonders gut dafür, im Internet Aufmerksamkeit zu generieren.

Gleichzeitig steigt seit einigen Jahren die Lust auf Enthüllungen. Menschen werden wieder politischer, Proteste, Demos und Petitionen vereinen Tausende in ihrer Wut über das System. Damit sind zwei wichtige Voraussetzungen für blühenden Recherche-Journalismus erfüllt: Ein harter Wettbewerb und der Ruf nach Wandel. Nach den Muckrakern zu Beginn des 20. Jahrhunderts und der Watergate-Ära steht dem investigativen Journalismus eine erneute Hochphase bevor.

In den USA startet im Moment fast jede Woche ein neues Online-Projekt, viele davon investigativ. Es gibt mehr Informationen und bessere Software zur Verarbeitung, deshalb recherchieren Reporter immer effizienter. Zudem wird investigativer Journalismus direkter: Die Menschen werden teils schon bei der Recherche eingebunden. Geschichten werden individueller, zum Beispiel durch News-Applikationen. Sie werden detaillierter und transparenter. Einfach: besser.

Die Amerikaner sprechen vom Wilden Westen des Journalismus. Klar, die Situation in den USA unterscheidet sich von der in Deutschland: weites Land, finanziell schwächer ausgestatteter öffentlich-rechtlicher Rundfunk, größere Spendentradition. Inspiration findet man trotzdem.

In Manhattan, am One Exchange Plaza gleich neben der Wall Street, residiert seit fünf Jahren ProPublica. Wer sich für die Zukunft des investigativen Journalismus interessiert, kommt an dem gemeinnützigen Büro nicht vorbei. Die Milliardäre Herbert und Marion Sandler gaben zu Beginn zehn Millionen Dollar pro Jahr. Mittlerweile hat ProPublica mehr als 3000 Spender, der Beitrag der Sandlers ist auf weniger als die Hälfte gesunken – und trotzdem steigt das Budget leicht an. Mit seinen Recherchen will ProPublica nicht nur Machtmissbrauch und Betrug aufdecken, sondern auch Reformen anstoßen. Das Ziel ist immer, die Gesellschaft zum Positiven zu verändern.

 

Investigatives schmackhaft machen

Wie BuzzFeed arbeiten auch die 40 ProPublica-Reporter an einer besseren Präsentation ihrer Geschichten. Vor einigen Monaten hat das Büro deshalb Joe Sexton von der New York Times abgeworben, der dort maßgeblich an der Gestaltung des Multimedia-Stücks Snowfall beteiligt war. Derzeit sucht ProPublica einen Design Director, der nicht nur großartige Recherchen verpacken, sondern auch am Umbau der gesamten Seite mitarbeiten soll. [Anmerkung: Das Jobgesuch ist mittlerweile von der Seite genommen, offenbar ist ProPublica fündig geworden.]

Im investigativen Journalismus geht es längst nicht mehr nur um Fakten, sondern auch darum, die Menschen für die Geschichte zu begeistern.

ProPublica experimentiert deshalb auch mit ganz neuen Formen. Zum Thema Fracking haben die Reporter ihre Recherchen in einen Song gepackt, gemeinsam mit einem animierten Video. Auf Youtube haben schon mehrere hunderttausend Menschen geklickt. Eine Geschichte über fehlende Versorgung von Herzinfarkt-Patienten präsentiert die Redaktion in einem kleinen Newsgame, bei dem man entscheiden muss, in welche Krankenhäuser man die immer wieder neu auftauchenden Patienten schickt. Wegen der schlechten Versorgung sterben viele der Patienten.

Auch andere Redaktionen wie das gemeinnützige Center for Investigative Reporting probieren sich am investigativen Storytelling. Mit animierten Grafiken hat die Redaktion den wahren Preis von Benzin erklärt (“The Price of Gas”) und den Einfluss des Fleischkonsums auf die Umwelt (“The Hidden Cost of Hamburgers”). Weitere Beispiele sind animierte Videos über den Soldaten, der Osama bin Laden erschoss (“The Shooter”), und über Missbrauch von Menschen mit Behinderungen in staatlichen Heimen (“In Jennifer’s Room”).

ProPublica beschäftigt mehrere Engagement-Editors, die sich um eine direkte Publikumsbindung kümmern. Im vergangenen Jahr hat die Redaktion eine Facebook-Gruppe für Menschen gegründet, die in Krankenhäusern schlecht behandelt worden sind (“Patient Harm”). Menschen diskutierten online, bevor die Recherche richtig gestartet war. Mittlerweile hat die Gruppe mehr als 2000 Mitglieder. Für ProPublica bedeutet das jede Menge Expertise und einen riesigen Vorrat an Anregungen für die Berichterstattung.

Robin Fields glaubt, dass eine klassische Serie in der Zeitung oft nicht mehr ausreicht, um Veränderung zu bewirken. “Die vielen konkurrierenden Storys können in einer gewissen Empörungs-Ermüdung münden”, sagt Fields, die als Managing Editor gemeinsam mit Chefredakteur Stephen Engelberg die Redaktion von ProPublica leitet. “Man muss sich die Aufmerksamkeit verdienen. Und wenn man Veränderung erreichen will, muss man ausdauernd sein.”

 

Daten, Transparenz und Sensor-Journalismus

Bei ProPublica beschäftigen sich drei Mitarbeiter fast ausschließlich damit, Daten zu beschaffen, zu säubern und mit statistischen Methoden zu analysieren. Sechs Programmierer sorgen dafür, dass diese Daten visualisiert werden. Paradebeispiele sind News-Apps wie “Dollars for Docs” oder “Tire Tracker”. Nutzer können nachsehen, wie viel Geld ihr Hausarzt von der Pharma-Industrie bekommen hat oder wie sicher ihre Autoreifen bei hohen Geschwindigkeiten sind.

Bei Recherchen wie “Dollars for Docs” machte ProPublica die große Datenbank hinter der Recherche gleich öffentlich zugänglich. Daraus sind im Anschluss hunderte lokale Geschichten entstanden.

Jeder Nutzer kann sich in diesen Anwendungen seine für ihn selbst relevanten Infos anschauen, quasi seine eigene Geschichte bauen. Hier geht es nicht darum, Daten bunt aufzubereiten. Stattdessen werden im besten Fall neue, gegen Widerstände ausgegrabene Fakten in einen konkreten Nutzen für jeden einzelnen Leser verwandelt. Das ist klassischer Service für die Öffentlichkeit mit neuen Mitteln. Interaktives, individualisiertes Storytelling investigativer Geschichten wird immer wichtiger werden.

Muss jeder investigative Journalist in Zukunft programmieren können? Nicht nur in den USA ist darüber in den vergangenen Monaten heftig diskutiert worden. Selbst an der traditionellen Columbia Journalism School, an der auch der Autor derzeit ein Fellowship absolviert, werden Kurse für verschiedene Programmiersprachen, für Datenanalyse und –visualisierung angeboten.

Eines ist klar: Wer mit großen Datenmengen nichts anfangen kann, dem fehlt in Zukunft ein ganz entscheidendes Kriterium für gute Recherchen. Im investigativen Journalismus geht es so gut wie immer darum, einen gerichtsfesten Beweis zu führen. Um systematischen Machtmissbrauch zu belegen, braucht es meist mehr als einzelne Dokumente.

Die Arbeit mit Daten im investigativen Journalismus lässt sich in drei Kategorien einteilen. Da gibt es die Möglichkeit, bereits bestehende, große Datenbanken auszuwerten oder eigentlich nicht zusammenhängende Datensätze miteinander zu kombinieren. Daraus lassen sich nicht nur Ideen für Geschichten generieren, die Belege gibt es gleich dazu.

Eine zweite Stufe sind selbst angelegte Datenbanken. Journalisten scrapen Daten aus dem Netz, nutzen also Programme, um ganze Webseiten herunterzuladen und in Daten zu verwandeln. Oder sie bauen sich händisch ihre eigene Datenbank, analysieren zum Beispiel Untersuchungsberichte, kategorisieren Ereignisse und werten diese am Ende aus. Auch Wörter, Sätze und Texte sind Daten, können mit Programmen analysiert werden.

Die dritte Stufe: Selbst massenhaft Daten generieren. Durch Sensoren lassen sich Wetterdaten messen, Lärm, Luft- oder Wasserverschmutzung. Oft wird diese Arbeit noch eher Wissenschaftlern als Journalisten zugeschrieben. Doch die Grenzen sind fließend, vor allem zum investigativen Journalismus. Je fortgeschrittener die Methoden werden, desto nützlicher wird zumindest ein Verständnis dafür, was technisch alles möglich ist.

 

Statistik als Beweismittel

Jeremy Singer-Vine ist 27 Jahre alt und arbeitet für die Investigativ- und Daten-Redaktion des Wall Street Journal. [Anmerkung: Mittlerweie ist Singer-Vine zu BuzzFeed gewechselt.] Als Singer-Vine für das Online-Magazin Slate arbeitete, brachte er sich selbst Programmieren bei. In New York organisiert er die Treffen von Hacks/Hackers New York, einer Gruppe, die regelmäßig Journalisten (“Hacks”) und Programmierer (“Hackers”) zusammenbringt, für Vorträge, Workshops und Hackathons. Das sind oft mehrtägige Treffen, in denen Projekte gemeinsam umgesetzt werden. Im Anschluss an die Treffen von Hacks/Hackers New York stellt regelmäßig ein ganzer Haufen Arbeitgeber offene Stellen für Programmierer und programmierende Journalisten vor. Die Nachfrage ist riesig. [Anmerkung: Hacks/Hackers gibt es übrigens auch in Berlin.]

Eines von Singer-Vines letzten Projekten zeigt, warum der technische Fortschritt komplett neue Welten der investigativen Recherche öffnet. Im vergangenen Jahr belegte Singer-Vine, dass die Bürowaren der Kette Staples im Internet unterschiedlich teuer sind, je nachdem, von welcher Stadt aus der Käufer bestellt. Den Abstand der Kunden zum nächsten konkurrierenden Laden nutzte Staples für zum Teil deutlich höhere Preise. Um das zu beweisen, simulierte Singer-Vine Tausende Einkäufe auf der Staples-Webseite. [Anmerkung: Diese Woche war Singer-Vine mit einer Geschichte über Nuklear-Abfälle für den Pulitzer-Preis nominiert.]

Singer-Vines Kollegen überprüften mit einer statistischen Formel die Aktienverkäufe von Managern und Aufsichtsräten börsennotierter Firmen. Die Berechnungen zeigten zahlreiche Fälle, in denen Insider-Trading extrem wahrscheinlich war. Die Recherche motivierte die staatlichen Ermittlungsbehörden, die auffälligen Verkäufe zu überprüfen. [Anmerkung: Und das WSJ gewann damit 2007 einen Pulitzer-Preis.]

Es gibt immer mehr Daten, die sich für investigative Recherchen eignen. “Immer häufiger sind diese Daten aber nur schwer zugänglich oder in ungewöhnlichen Formaten”, sagt Singer-Vine. So gut wie nie basieren investigative Daten-Analysen auf einer fertig formatierten Excel-Tabelle. Sind die Daten dann gebrauchsfertig, prüfen und analysieren in den USA einige Investigativ-Redaktionen ihre Daten mit fortgeschrittenen statistischen Methoden.

ProPublica deckte beispielsweise auf, dass sich Leiharbeiter deutlich häufiger am Arbeitsplatz verletzen, als normale Arbeiter. Je schwerer die Verletzung, desto häufiger traf es geliehene Arbeitskräfte. Bei dieser Recherche war es extrem wichtig, dass die statistischen Berechnungen wasserdicht sind. Jeremy Singer-Vine glaubt deshalb, dass es bald in vielen Büros einen “Quantified Editor” geben wird, quasi als Experten für alles, was mit Zahlen zu tun hat.

 

Positive Veränderung – mit neuen Ideen

Experten für investigative Recherche gibt es auch in Kalifornien. Dort arbeiten 50 Reporter für das größte gemeinnützige Investigativ-Büro der Welt, das Center for Investigative Reporting (CIR). Das Center hat pro Jahr elf Millionen Dollar für investigative Recherchen zur Verfügung. Das Geld stammt von Stiftungen und privaten Spendern. Die Redaktion wird seit gut vier Jahren von Mark Katches geleitet, der zuvor zwei Pulitzer-Preise in drei Jahren gewonnen hatte.

Katches und seine Redaktion sind ein Paradebeispiel für Kooperationen mit Fernsehen, Radio, Print und Online. Fast alle großen Geschichten des Centers finden multimedial statt. Ein Vorteil für das CIR: “Wir können mutige Entscheidungen sehr schnell treffen. Wir sind beweglich”, sagt Katches. Zuletzt kooperierte Katches mit CNN und der Tampa Bay Times bei einer Serie über die schlimmsten Stiftungen in den USA.

Die Serie und die dazugehörige News-App hatten nur wenige Zugriffe auf der Seite des CIR, aber Millionen Zugriffe über CNN und bei der Tampa Bay Times, sagt Katches. “Wir wollen möglichst viele Leser erreichen, um möglichst großen Einfluss zu haben. Dann wird es realistischer, dass sich Dinge ändern.”

Katches und sein Team veranstalten Filmvorführungen und öffentliche Diskussionen zu den von ihnen recherchierten Problemen. Zuletzt rief das CIR sogar zu einem runden Tisch, um Lösungen für den weit verbreiteten sexuellen Missbrauch von oft illegal eingewanderten Feldarbeitern zu diskutieren. Das Center brachte unter anderem Anwälte, Polizei, Politik, einen Richter und Vertreter der Farmarbeiter an einen Tisch.

“Wir können positive Veränderung möglich machen, ohne für eine bestimmte Lösung einzutreten”, sagt Katches. “Wir arbeiten dafür, dass ein Problem abgestellt wird. Wenn wir das Problem nur zeigen und dann wieder davon laufen, ist das extrem unzufriedenstellend.” Das CIR sieht sich in dieser Situation als “journalistische Anführer”. Mark Katches glaubt, dass es solche runden Tische in Zukunft häufiger geben wird.

Die Zusammenarbeit mit Aktivisten dürfte investigative Journalisten bald immer häufiger beschäftigen.

Sheila Coronel ist Direktorin des Stabile Center for Investigative Journalism an der Columbia Journalism School und hat vor 25 Jahren das Philippine Center for Investigative Journalism gegründet. Sie glaubt, dass in Zukunft viele investigative Recherchen von Aktivisten durchgeführt werden, von Human Rights Watch, Greenpeace oder Global Witness. “Die haben einfach die größeren Ressourcen”, sagt Coronel. “Human Rights Watch ist reicher als ProPublica und hat international mehr Korrespondenten als viele US-Zeitungen.”

Journalisten müssen wohl noch mehr darüber nachdenken, wie sie in Zukunft mit Recherchen von Aktivisten umgehen.

Was in Zukunft ebenfalls weiter zunehmen wird: internationale Kooperationen. Das International Consortium of Investigative Journalists, das ICIJ, hatte zuletzt mit den Offshore-Leaks gezeigt, dass investigative Reporter keine einsamen Wölfe mehr sein dürfen. Auch Betrug und Kriminalität werden immer globaler.

“Das Problem ist: Journalisten sind grundsätzlich nicht gut im Kooperieren”, sagt Marina Walker, stellvertretende Direktorin des ICIJ. Ihr Büro will die Zusammenarbeit aber weiter verstärken. “Unser Ziel ist es, Informationen für andere Journalisten zur Verfügung zu stellen, damit diese unsere Daten und Texte nutzen können”, sagt Walker.

 

Investigativ in Deutschland

In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren einige Medien neue investigative Ressorts geleistet. Mit WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung kooperieren die Ersten bei größeren Projekten. Investigativer Journalismus ist im Aufbruch, die Gehversuche wirken im Vergleich zu den USA aber noch zaghaft.

Innovatives Storytelling wird in Deutschland fast ausschließlich für bunte Geschichten genutzt, in den seltensten Fällen für die Präsentation harter Enthüllungen. Das gleiche gilt für den Datenjournalismus: Immer mehr Daten werden visualisiert, selten sind diese Projekte aber investigativ, werden Daten also dazu genutzt, als empirisches Rückgrat einer Story ein systematisches Fehlverhalten zu belegen.

Große Magazine und der öffentlich-rechtliche Rundfunk tun sich oft schwer, neue Dinge auszuprobieren. Vor allem, wenn sie glauben, noch Zeit zu haben, bevor sie das Ruder wirklich herumreißen müssen. Im investigativen Journalismus passiert derzeit so viel, dass kleinere Büros wie das Center for Investigative Reporting oder ProPublica Vorteile haben. In den USA dominieren sie mit ihrer innovativen Art, zu recherchieren, den investigativen Journalismus.

Das größte Problem hat die investigative Recherche im Lokalen. In Deutschland ist tiefe Recherche in der Fläche kaum existent. Langfristige Projekte sind teuer, kosten Zehntausende, manchmal gar Hunderttausende Euros. Das kann und will sich kaum ein lokales Medium leisten.

Die Lösung könnte ein gemeinnütziges Büro sein, das ProPublica und dem Center for Investigative Reporting ähnelt. Das Büro würde systematisch geplante, aufwändige Recherchen produzieren. Diese könnten von einem Team aus Journalisten, Programmierern und Visualisierern multimedial aufbereitet und innovativ präsentiert werden. Die Recherchen würden auf umfangreichen Daten- und Dokumentensätzen basieren. Deshalb könnte solch ein Büro mit Tageszeitungen und Blogs kooperieren. Diese würden die Storys auf die lokale Ebene herunterbrechen. Ein mögliches Ergebnis: Innovative, effiziente, weit verbreitete Recherchen mit großem Einfluss auf positive Veränderungen.

 
Daniel Drepper ist noch bis Ende Mai Fellow am Stabile Center for Investigative Journalism und Scholar am Brown Center for Media Innovation an der Columbia University Graduate School of Journalism in New York City. Crosspost von danieldrepper.de

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