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“Das kann alles doch nicht wahr sein” · Ein Interview mit dem Deutschlandfunk

von , 18.4.14

Das führt selbstredend zu einer Kritik der Kritiker. Letztere kommt von Journalisten, an ihre kritischen Leser, Hörer und Zuschauer. Diese Journalisten fahnden dann etwa nach historischen Spuren eines antiwestlichen Ressentiments bei ihren Kritikern. Was allerdings dabei auf der Strecke bleibt: die Analyse.

Ein gutes Beispiel erlebte man vorgestern Abend im Medienmagazin Zapp des NDR. Es interviewte den Ressortleiter “Zeitfunk” beim Deuschlandfunk, Friedbert Meurer, zur Empörung von Hörern seines Senders über die Ukraine-Berichterstattung. (Das vollständige Interview ist hier zu finden.) Dort fiel der einzige wichtige Satz, den man sich in der Debatte über die Ukraine merken muss. Den Rest kann man getrost ignorieren.

Meurer sagte in Zapp (ab Minute 10) Folgendes:
 

“Meine Haupterklärung für dieses Phänomen ist, dass viele sich sagen, sollen wir tatsächlich, nachdem wir Bulgarien und Rumänien in die EU aufgenommen haben, auch noch die Hungerleider aus der Ukraine aufnehmen, die nur ein Kostgänger der EU sein werden? So ungefähr das Urteil, und uns dafür auch noch mit Russland anlegen. Das kann ja wohl alles nicht wahr sein.”

 
Sehr gut formuliert. Die EU und die NATO haben bis heute kein einziges stichhaltiges Argument geliefert, warum das wahr sein könnte. Nämlich die Ukraine in die EU und die NATO aufnehmen zu müssen. Sie haben aber trotzdem in Kiew diesen Eindruck entstehen lassen – und damit erst die Eskalationsspirale ausgelöst, die uns jetzt seit Wochen beschäftigt.

Realpolitisch ist die Lage noch trostloser.

Der Westen ist nicht bereit, für die territoriale Integrität der Ukraine in den Krieg zu ziehen. Putin musste kein genialer Machtpolitiker sein, um daraus die logischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Es reichte schon, nicht so dumm wie der Westen zu sein.

Putin nutzte die inneren Widersprüche in der Ukraine zu seinen Gunsten. Die Annexion der Krim (es war natürlich eine. Alles andere ist Propaganda.) war nur möglich geworden, weil erst der Westen selbst das Tor zur Krim geöffnet hatte. Dazu wirkte die Übergangsregierung in Kiew als eine trostlose Veranstaltung von Dilettanten zu Putins Gunsten.

Der Bruch des von den drei EU-Außenministern ausgehandelten Freitagsabkommens zwischen der damaligen Regierung in Kiew und der Opposition auf dem Maidan war der Wendepunkt. Man kann nicht eine Revolution veranstalten, um sich anschließend über deren Dynamik in anderen Landesteilen zu wundern.

Die Folgen erleben wir jetzt auch in der Ostukraine. Wenn der Westen auf seiner Sichtweise beharrt, die Ukraine als Teil seiner Einflußsphäre zu betrachten, wird er eine bankrotte Restukraine mit Hilfe der Kiewer Dilettantentruppe verwalten dürfen. Das Verhältnis zu Russland wäre darüber hinaus heillos zerrüttet. Schließlich müsste man sich irgendwann trotzdem mit Moskau arrangieren. Frieren für Kiew? Für die Öffentlichkeit auf Dauer kein überzeugendes Argument. Der Imageverlust wäre aber gewaltig. Der Westen wäre ohne Not als Tiger gestartet, um schließlich als Bettvorleger Putins zu landen.

Der Westen hat sich aus schlichter Unfähigkeit in einen Konflikt hineinziehen lassen, den er machtpolitisch nicht gewinnen konnte. Das hätte man aber vorher wissen müssen. Die Empörung über Putin hat vor allem damit zu tun. Das Gerede über das Völkerrecht, die bisweilen irrwitzigen historischen Analogien dienen nur einem Zweck: den Anschein einer Niederlage zu verdecken.

Das ist auch nötig. Es wurde schon genug realpolitisches Porzellan zerschlagen. In einer solchen Konstellation bliebe dem Westen bei einer Annexion der Ostukraine gar nichts anderes übrig, als die verabredeten Sanktionen umzusetzen. Er handelt in der Ukraine aus einer Position der Schwäche.

Aber Putin sollte sein Blatt nicht überreizen. Die Bereitschaft des Westens, gerade deswegen sein immer noch vorhandenes weltpolitisches Gewicht in den Konfikt einzubringen, überfordert die Möglichkeiten Russlands. Die Logik des Konflikts läuft mittlerweile auf die Bereitschaft hinaus, fast jeden ökonomischen Preis zu zahlen, um den Anschein der Schwäche oder der Niederlage zu verhindern. Darin liegt die Dramatik.

Das ist der realistische Kern, den viele Zuschauer, Hörer und Leser spüren. Alles andere kann ignoriert werden.

Was man jetzt den Medien vorwerfen kann? Das nicht offen zu diskutieren, sondern lieber die Propagandafloskeln westlicher Akteure nachzuplappern. Es wie Meurer für einen Ausdruck von Ignoranz zu halten, diese gut begründete Sichtweise überhaupt ins Gespräch zu bringen. Dabei kommt dort lediglich die Ignoranz des Westens zum Ausdruck, die er gegenüber der Ukraine und Russland bewiesen hat.

Welches Interesse hat der Westen an der Ukraine – und was sollte er tatsächlich verteidigen oder auch nicht? Das muss endlich offen diskutiert werden, und nicht nur in den schummrigen Hinterzimmern von Staatskanzleien.

Die meisten Deutschen beurteilen ein Übergreifen Russlands auf das Baltikum oder Polen übrigens völlig anders als die heutigen Ereignisse in der Ukraine. Der eigentliche Skandal ist die Unterstellung, das könnte anders sein. Dafür gibt es aber keine Hinweise. Nur ist die Ukraine weder Mitglied der NATO, noch der EU.

Das wissen alle. Allein der Westen erzeugt immer noch den gegenteiligen Eindruck. Das ist sein Problem – und das vieler Zuschauer, Hörer und Leser mit den Medien.

Und das kann wirklich nicht wahr sein.
 
Crosspost von Wiesaussieht

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