#Assad

Die Türkei und der Westen

von , 11.4.14

Syrien ist es wie damals dem Libanon ergangen. Es ist im Bürgerkrieg zu einem Trümmerhaufen geworden, allerdings mit unzähligen Toten und Millionen Flüchtlingen.

Seit dem Ende der drohenden Eskalationsspirale mit einer Übereinkunft zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen hat die Weltöffentlichkeit das Interesse an Syrien verloren. Zwar nicht an der Milderung der humanitären Katastrophe, allerdings an einer politischen Lösung. Sie gilt als chancenlos. Der Sturz Assads ist genauso ausgeschlossen, wie eine schnelle Niederlage der Opposition. Zwar sind viele Staaten in den Bürgerkrieg direkt oder indirekt verwickelt, aber keine dieser Mächte kann den Bürgerkrieg zugunsten einer der beiden Konfliktparteien beenden. (Dazu im Blog hier, hier und hier.)

Meine These seit Beginn des Konflikts: der Bedeutungsverlust der USA – und des Westens – als weltpolitischer Akteur. Eine dieser Mächte ist die Türkei. Deren Rolle klärt sich allmählich, wenn auch immer noch nicht klar ist, was die Türkei in Syrien eigentlich erreichen will. Dieses Interview eines sogenannten Erdogan-Beraters gibt zwar Hinweise für eine Orientierung weg von der EU, der er Irrelevanz bescheinigt, aber bleibt in der Zukunftsperspektive nebulös. Oder doch nicht?

Nun war kurz vor den Kommunalwahlen der Mitschnitt einer Unterredung im Außenministerium in Ankara veröffentlicht worden, in der ein Einmarsch der Türkei in Syrien durch eine “false flag”-Operation diskutiert wurde.

Wir erinnern uns: der Einsatz von Giftgas in Syrien durch Assad war von Obama als die “rote Linie” für ein militärisches Eingreifen der USA in den Bürgerkrieg gezogen worden. Wenn man jetzt diesen Artikel von Seymour Hersh liest, wird aber deutlich, dass die in Ankara diskutierten Pläne wohl keine bloße Theorie gewesen sind. Die UN-Inspekteure hatten vom UN-Sicherheitsrat keinen Auftrag bekommen, die Verantwortlichen für den Giftgas-Einsatz zu benennen. Trotzdem, so Hersh, lässt sich über den ersten Giftagaseinsatz Einer benennen:
 

“A series of chemical weapon attacks in March and April 2013 was investigated over the next few months by a special UN mission to Syria. A person with close knowledge of the UN’s activity in Syria told me that there was evidence linking the Syrian opposition to the first gas attack, on 19 March in Khan Al-Assal, a village near Aleppo.

In its final report in December, the mission said that at least 19 civilians and one Syrian soldier were among the fatalities, along with scores of injured. It had no mandate to assign responsibility for the attack, but the person with knowledge of the UN’s activities said: ‘Investigators interviewed the people who were there, including the doctors who treated the victims. It was clear that the rebels used the gas. It did not come out in public because no one wanted to know’.”

 
Hersh beschreibt dann die politische Lage in den USA: einerseits das weltpolitische Interesse am Mittleren Osten, andererseits ein gespaltener Kongress mit einer kriegsmüden Öffentlichkeit. Zugleich dokumentiert Hersh, wie sich die USA in einer zunehmenden Zwangslage wiederfanden, eingeklemmt zwischen den Radikalen der islamistischen Opposion in Syrien, der Lösung des Atomstreits mit dem Iran und den Interessen der Türkei, unter anderem als Profiteur iranischer Erdölexporte. Letzere, so Hersh, wollten das Überschreiten der “Roten Linie” für eine Intervention der USA nutzen. In der Obama-Adminsitration ist dieses Szenario als wahrscheinlich angenommen worden, so Hersh.
 

“As intercepts and other data related to the 21 August attacks were gathered, the intelligence community saw evidence to support its suspicions. ‘We now know it was a covert action planned by Erdoğan’s people to push Obama over the red line,’ the former intelligence official said. …

Erdoğan’s problems in Syria would soon be over: ‘Off goes the gas and Obama will say red line and America is going to attack Syria, or at least that was the idea. But it did not work out that way”.”

 
Nun wollte Obama einen Fehler bekanntlich nicht machen: wie sein Vorgänger im Irak mit gefälschten Beweisen einen Krieg zu legitimieren. Die Reaktion der amerikanischen Öffentlichkeit wäre unübersehbar gewesen. Sein Schachzug, den Kongress ausdrücklich um Zustimmung für einen Syrien-Einsatz zu bitten, sollte ihn aus der Zwangslage befreien, indem er die Republikaner für die Folgen eines solchen Einsatzes mitverantwortlich machte. Es wurde entsprechend als Obamas Führungsschwäche interpretiert.

Die USA konnten sich wegen ihrer weltpolitischen Rolle nicht erlauben, nichts zu tun, aber sie wollten tatsächlich das nicht tun, was Erdogan wollte: in Syrien militärisch zu intervenieren. Hersh beschreibt diesen Widerspruch:
 

“The post-attack intelligence on Turkey did not make its way to the White House. ‘Nobody wants to talk about all this,’ the former intelligence official told me. ‘There is great reluctance to contradict the president, although no all-source intelligence community analysis supported his leap to convict. There has not been one single piece of additional evidence of Syrian involvement in the sarin attack produced by the White House since the bombing raid was called off. My government can’t say anything because we have acted so irresponsibly. And since we blamed Assad, we can’t go back and blame Erdoğan.’”

 
Kein Wunder, dass niemand darüber reden will. Obama, so ist das zu verstehen, wäre mit Hilfe der Geheimdienste in jene Falle gelaufen, die er unbedingt vermeiden wollte: wie Bush und Blair mit einer Lüge einen Krieg zu begründen. Er sollte sich das merken, wenn es um die zukünftige Rolle der NSA und der CIA geht.

Nun fragt man sich bis heute, wie eigentlich die Übereinkunft zwischen den Außenministern der USA und Russlands, John Kerry und Sergej Lawrow, zustande gekommen ist. (Zum Hintergrund  Spiegel online und die NZZ.) Sie wird bis heute zumeist als eine Art “diplomatischer Unfall” betrachtet, ausgelöst durch ein “leicht dahingesagtes Statement”von Kerry (SpOn).

Diese These ist jetzt nicht mehr zu halten (wenn man sie denn wirklich geglaubt haben sollte). Es war der einzige Ausweg aus einer Eskalationsdynamik, in der die anderen Akteure – konkret die Türkei – die USA und Russland in eine Konfrontation getrieben hätten. Die USA und Russland hatten Interesse an einem Status quo in Syrien, der aber einen Nachteil hat: Er findet auf dem Rücken der syrischen Zivilbevölkerung statt.

Hersh ist mehr als deutlich:
 

“Barring a major change in policy by Obama, Turkey’s meddling in the Syrian civil war is likely to go on. ‘I asked my colleagues if there was any way to stop Erdoğan’s continued support for the rebels, especially now that it’s going so wrong,’ the former intelligence official told me.

‘The answer was: “We’re screwed.” We could go public if it was somebody other than Erdoğan, but Turkey is a special case. They’re a Nato ally. The Turks don’t trust the West. They can’t live with us if we take any active role against Turkish interests. If we went public with what we know about Erdoğan’s role with the gas, it’d be disastrous. The Turks would say: “We hate you for telling us what we can and can’t do.’”

 
So ist auch das oben verlinkte seltsame Interview mit dem Erdogan-Berater zu verstehen. Er sagt nicht, was die Türkei in Syrien will; das scheint bis heute ziemlich unklar zu sein. Das Risiko, sich durch einen militärisch möglichen Marsch auf Damaskus als regionale Hegemonialmacht durchzusetzen, will Erdogan offenkundig nicht eingehen. Er wollte diese Drecksarbeit lieber den USA überlassen, um dann als Friedensmacht in Syrien einzumarschieren.

Der Artikel von Hersh ist bemerkenswert. Er zeigt aber nicht das, was viele darin lesen wollen – die USA auf Kriegskurs -, sondern die Schwäche der USA, in regionale Konflikte wie in Syrien politisch effektiv eingreifen zu können. In Syrien sind sie von Russland abhängig gewesen, um die Türkei unter Kontrolle zu halten. Insofern liest sich dieser Satz des Erdogan-Beraters wie eine Antwort auf den Artikel von Hersh:
 

“Neben den Vereinigten Staaten als „neuem Westen“ werde es einen aus Russland, der Türkei, dem Nahen Osten und Eurasien bestehenden Block geben. Das dritte Zentrum bestehe aus China, Indien und Iran. Europa werde in dieser Machtverteilung keine Rolle mehr spielen.”

 
Man kann sich auch mit den Russen einigen, so ist das zu verstehen. Oder: Der Westen als Zaungast bei der Neuordnung des Mittleren Ostens? Es ist eine Drohung.
 
Crosspost von Wiesaussieht

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