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Guardian & Spiegel Online: Der Hochfrequenzhandel des Journalismus

von , 30.3.14

Betrachten wir zunächst – ganz ohne Hoodie – die berühmteste und reichweitenstärkste News-Website der westlichen Welt: die Frontpage des Guardian. Was sehen die Leser da? Sie sehen einen unübersichtlichen Haufen bunter Buttons, Rubriken, Kästchen, Wörter, Signets und Bildchen, die man anklicken kann. Und weil Startseiten im Internet nach unten keine Grenzen kennen, wirken sie wie bunt bedruckte Klopapierrollen oder wie die Pop-Art-Tapete in einem Kinderzimmer, das gerade für eine Smarties- und Luftschlangen-Geburtstagsparty zurechtgeschmückt worden ist.

Der Guardian bietet in seiner Menüleiste 15 Rubriken – von News (in rot) bis Jobs (in schwarz). Diese 15 Rubriken enthalten noch einmal 140 (!!) Unterrubriken. Dazu kommt das Laufband der +++Breaking News+++.

Die Startseite des Guardian bietet also – obwohl es sich um eine seriöse Zeitung handelt – ein unglaubliches Durcheinander aus haribo-bunten Headlines, Unterzeilen, Klickwörtern, Mini-Vorspännen, briefmarkengroßen Bildchen, Kästchen, Signets, Buttons, Graphiken, rot-grau-blauen Trennlinien und Zahlen. Der Leser darf aus circa 150 Storys und 80 bis 90 Bildchen auswählen, wobei die meisten Fotos Köpfe (aus der Mittelschicht) zeigen.

 

Nachrichten-Matsch

Bei der anderen wichtigen News-Website – bei Spiegel Online – ist das Erscheinungsbild ähnlich, obwohl das Layout hier strenger, aufgeräumter und großzügiger wirkt. Auch die Farbgebung ist reduzierter, die Balken- & Linien-Trennungen sind klarer, der Übergang von wichtig zu unwichtig ist überlegter, die Fotos sind größer. Spiegel Online ist eine Illustrierte zum Durchscrollen, ein Bilderbogen für Lesefaule. 80 Fotos auf der Startseite sind keine Seltenheit. Sie zeigen – wie beim Guardian – vor allem Köpfe: Menschen, die irgendetwas Tolles oder Nicht-so-Tolles getan haben (und dadurch die Aufmerksamkeit auf sich lenken konnten).

Layout und journalistische Präsentation spiegeln einen allgemeinen Medien-Trend: komplexe Sachverhalte werden in Menschen-Geschichten zerlegt und dadurch atomisiert. Die kleinen, leicht verstehbaren Aufreger (jemand hat sich vermeintlich oder tatsächlich daneben benommen) sind die Quoten-Sieger im herrschenden Online-Journalismus, während die weniger leicht zu begreifenden politischen Prozesse dem Aufmerksamkeitswettbewerb zum Opfer fallen. Dass Printjournalisten die Mitarbeiter ihrer eigenen Online-Ausgaben, die so genannten Hoodie-Journalisten, fürchten (aber eben auch nicht so ganz ernst nehmen können), hat mit dieser erfolgreichen Boulevardstrategie zu tun.

 

Der Hochfrequenzhandel des Journalismus

Spiegel Online präsentiert etwa 100 Geschichten pro Tag, der Guardian noch mehr. Krim und Katzencontent sind auf den ersten Blick gleichwertig, ein Klatschspalten-Starlet ist im Zweifel interessanter als die Umlenkung der Bewertungsreserven in die Kassen der großen Lebensversicherer: Die Produktionsmethoden der News-Websites und ihre inhaltlichen Zutaten verschmelzen im großen Kessel zu einem Einheits-Brei.

Sinn und Zweck einer News-Website ist nicht die Nachricht, sondern ihre hochfrequente Austauschbarkeit: Der Online-Journalismus ist der Hochfrequenzhandel des Journalismus. Die wichtigste Aufgabe eines Beitrags ist es, vom vorhergehenden Beitrag umfassend abzulenken (Frank Lübberding: „die Zersetzung politischer Diskurse durch den permanenten Empörungsmodus“). Der Hochfrequenzhandel hält das Erregungspotential der Gehirnströme der Leser auf einem gleichbleibend hohen (und ungesunden) Level.

Der auf diese Weise in den Köpfen erzeugte Nachrichten-Matsch spiegelt sich dann in den von den Journalisten oft gescholtenen, aber nie als logisches Ergebnis der eigenen Arbeit betrachteten Leser-Foren der Nachrichten-Websites. Er schlägt sich nieder in Form ‚gesunder’ Wutbürger(ab)reaktionen, welche die ‘ungesunde’ Dauererregtheit wieder auf Normalmaß senken sollen, oder er führt – in der positiven Variante – zu erstaunlich guten Ergebnissen im Quizduell.
 

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