#Chefredaktion

Journalistische Grabenkämpfe im Jahr 2014: Die Beißreflexe funktionieren

von , 24.3.14

Ob diese Aussage kalkuliert war? Ob der Schreiber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung genau wusste, welches Erdbeben er in der Online-Journalisten-Blase auslösen würde?

Sollte es so gewesen sein, allerhöchsten Respekt vor dieser Glanzleistung. Dann hat Harald Staun meisterhaft auf der Medien-Aufmerksamkeits-Klaviatur gespielt und die ganze Online-Blase gezielt zu kollektivem Hyperventilieren gebracht, als er mit Kapuzenpulliträger Stephan Plöchinger einem der etabliertesten Online-Journalisten den Status “Journalist” absprach.
 

FAS-Artikel, Screenshot

FAS-Artikel, Screenshot @dvg

 
Denn die journalistischen Beißreflexe funktionierten. Kaum hatte Dirk von Gehlen die Aussage im FAS-Feuilleton abfotografiert (!) und per Twitter verbreitet, brach der erwartbare Empörungssturm in unserer Twitter-Journalistenblase los – und kulminierte in Soli-Selfies von Journalisten mit Kapuzenpullis.
 

 
Kurz noch einmal zusammengefasst: Vergangene Woche berichtete zunächst die Zeit, dass offensichtlich ein Großteil der sogenannten “Impressionisten” der Süddeutschen Zeitung (Redakteure, die im Impressum stehen) gegen die Berufung von Online-Chefredakteur Stefan Plöchinger in die Printredaktion der SZ sei. Eine Begründung war unter anderem, dass er sich selbst als Schreiber noch nicht hervorgetan habe.

Nun ja, das mögen Leser von Plöchingers Blog (auf dem man aktuell sehr viele Urlaubsbilder sieht) sicher anders sehen. Aber immerhin ist es noch ein echtes Argument, das aus Sicht der SZ-Autoren verständlich sein mag. Dass Plöchinger ein Internetspezialist und kein Journalist sei, ist hingegen kein Argument. Genauso könnte man dem FAS-Autor vorwerfen, er sei zwar ein Tages- oder Wochenzeitungsspezialist, aber kein Journalist.
 

 
Also stellen wir an dieser Stelle mal ganz kurz fest: Stefan Plöchinger ist ein Journalist. Und zwar ein guter. Dass sich der Absolvent der Deutschen Journalistenschule als Schreiber für die SZ nicht sonderlich hervorgetan hat, mag auch daran liegen, dass er sich die vergangenen Jahre hauptsächlich darum kümmern musste, sueddeutsche.de zu einer der wichtigsten deutschen Medienseiten auszubauen. Diese Management-Aufgabe erfordert Zeit und Kraft, wie viele (Print-)Chefredakteure wissen, die ebenfalls kaum zum Schreiben kommen.

Viel wichtiger ist die Frage: Wo steht der deutsche Journalismus im Jahr 2014? Haben es Online-Journalisten wirklich nötig, sich heute noch Argumente wie Schnorrerausgabe und “kein Journalist” um die Ohren hauen zu lassen?
 

 
Die Pleiten der vergangenen Jahre sollten doch gezeigt haben, dass es zumindest mit den deutschen Tageszeitungen so nicht weitergehen kann, selbst wenn man es sich noch so sehr wünscht. Meiner Meinung nach geht es dabei nicht einmal mehr darum, ob und wann Print stirbt, sondern wie man die über Jahre aufgebaute journalistische Marke in das digitale Zeitalter transformiert – und dabei auch wirtschaftlich erfolgreich bleibt.

Dass sich Print dafür kompetente Online-Journalisten in die eigene Redaktion holen und gleichzeitig die Onliner von der Erfahrung und der Kompetenz der altgedienten Print-Kollegen profitieren, ist für mich der Schlüssel dazu.

Klar sollte dabei sein, dass es sich sowohl bei einer Tageszeitung als auch einem Online-Magazin nur um Trägermedien für Journalismus handelt. “Wir sind doch keine Holzhändler”, sagte mir neulich Zeit-Chefredakteur Giovanni die Lorenzo in diesem Interview für W&V-Online.

Wer einem Online-Journalisten den Status “Journalist” aberkennt, ist ein Holzhändler.

P.S. Vielleicht hatte übrigens Harald Staun seinen Aufreger-Satz ja auch ironisch gemeint. Wir sind gespannt, ob er auf Twitter noch Stellung zu dem Empörungssturm nimmt – und wir einmal mehr feststellen müssen, dass man manche Beißreflexe einfach unterlassen sollte.

 
Und hier ist die Reaktion:
 

 
Crosspost von Lousy Pennies

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