#München

Ungeklärte Fragen zur Causa Hoeneß

von , 12.3.14

Zwischen 2001 und 2010 hat Uli Hoeneß eigenen Angaben zufolge mehr als 50.000 Transaktionen getätigt. Das sind ungefähr 14 Transaktionen pro Tag – 3650 Tage lang. Eine Firma würde sich da wohl Gedanken machen, ob der Manager noch ganz bei der Sache ist, ob die Arbeit unter der wilden Zockerei nicht leidet. Aber vielleicht hat es der Firma ja auch genützt.

Was vor dem Jahr 2003 passierte, ist verjährt. Ab 2003 hatte Hoeneß nach Angaben der Staatsanwaltschaft 3,5 Millionen Euro an Einnahmen nicht versteuert, und – in seltener Dreistigkeit – zuhause steuersparend Verluste geltend gemacht, während er in der Schweiz steuerfrei Gewinne kassierte. Die Summe der (zugegebenen) Hinterziehungen ist inzwischen auf 27,2 Millionen Euro gestiegen (Harald Schmidt: “Dafür hätte Hoeneß Christian Wulff 36.000 mal zum Oktoberfest einladen können”). Mehrere zehntausend Blatt an Unterlagen soll die Schweizer Vontobel-Bank zur Aufklärung des Steuer-Falles beigesteuert haben. Doch laut Aussage einer Steuerfahnderin hat es noch ein volles Jahr gedauert, bis alle (alle?) Bankunterlagen nachgereicht waren.

Das heißt auf Deutsch: 1. Die Staatsanwaltschaft hatte vom wahren Ausmaß der Steuerhinterziehung – trotz Hausdurchsuchung und Haftbefehl – keine Ahnung und steht nun ziemlich bedröppelt da. 2. Die Vorwärts-Verteidiger von Hoeneß sagten: Leute, wir zeigen euch Ahnungslosen jetzt mal, was wirklich Sache ist. Wir machen uns ehrlich. Und 3. Die Steuerfahndung ließ sich offenbar noch ein ganzes Jahr lang hinhalten, weil Hoeneß die kompletten Belege nach Angaben der vernommenen Zeugin trotz vielfacher Aufforderungen erst unmittelbar vor Prozessbeginn vorlegte.

Ob das Publikum merkt, wer da mit wem Schlitten fährt? Wer kurzen Prozess macht?

 

Der Ursprungsmythos

Alles, was in der Vergangenheit an Zahlen durch die Medien geisterte, war stark untertrieben. Bis auf jene merkwürdige Zahl, die noch immer im Raum steht, aber bislang heftig bestritten wird: „Zeitweise“, so der stern im Januar 2013, sollen bis zu 800 Millionen Schweizer Franken auf einem Schweizer Fußball-Konto gelegen haben, das zufällig die gleiche Nummer trug wie das Konto, das später Uli Hoeneß zugeschrieben wurde.

Auch wenn es jetzt so aussieht, als habe Hoeneß am Montag „reinen Tisch“ gemacht, so muss man doch feststellen, dass der Tisch im Lauf der Zeit immer monströser wurde. Wie groß er wirklich ist, weiß offenbar niemand.

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass die Medien so lange über die Frage diskutierten, ob Hoeneß’ Selbstanzeige nun wirksam ist oder nicht. Viel interessanter erscheinen die Fragen, die mit dem Geflecht oder Klüngel zu tun haben, in dem Hoeneß sich bewegt.

1. Die wohl größte Ungereimtheit in der ganzen Hoeneß-Geschichte führt zu ihrem mythen-umrankten Ursprung: Laut den Erzählungen aus der bayerischen Sagenwelt habe der (inzwischen verstorbene) Adidas-Chef Robert-Louis Dreyfus dem FC Bayern-Boss Uli Hoeneß im Jahr 2000 20 Millionen Mark zum Zocken überlassen. Allein dieser grandiose Ursprungsmythos genügt, um den Plot als Meisterstück aus dem Bayerischen Komödienstadl erscheinen zu lassen. Seltsamerweise schluckten die Medien die Erzählung und recherchierten nicht weiter. Es ist, als existiere eine unsichtbare Mauer zwischen dem Privatmann Uli Hoeneß und der FC Bayern München AG.

2. Warum wurde das Haus von Uli Hoeneß acht Wochen nach der Selbstanzeige durchsucht, und warum gab es einen Haftbefehl, wenn doch die Selbstanzeige längst vorlag? Das fragte Günther Jauch in seiner Talkshow, in der außer einem (relativ stummen) stern-Reporter zweieinhalb Hoeneß-Verteidiger und ein Pfarrer saßen, die sich alle nicht trauten, Tacheles zu reden. Bei dieser Gelegenheit wäre zu fragen, warum in deutschen Talkshows zum Fall Hoeneß so häufig Freunde von Uli oder prominente Mitglieder des FC Bayern sitzen, die rührselige Storys über den herzensguten Uli erzählen? Kommt das aus der Tradition des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das bis heute nichts dabei findet, dass Mitarbeiter des FC Bayern ganz selbstverständlich Spiele des FC Bayern kommentieren?

3. Was geht vor beim Magazin Stern? Da gibt es den Reporter Johannes Röhrig, der am 16. Januar 2013 (einen Tag vor der panikartig abgegebenen Selbstanzeige des Uli Hoeneß) auf stern.de seine inzwischen berühmt gewordene Enthüllungsgeschichte veröffentlichte. Diese Geschichte war präzise und hat bis heute Bestand. Aber warum fehlte der Name Hoeneß in der Geschichte, also der Name, der die Story zu einem Scoup gemacht hätte? Und was hat Uli Hoeneß mit seinem Freund Hans-Ulrich Jörges, der Mitglied der stern-Chefredaktion ist, am 15. Januar in Berlin besprochen? Diese Frage ist interessant, weil der stern die Begegnung in seiner Titel-Geschichte über „Hoeness“ (Nr.47/2013) verschweigt, obwohl Hoeneß’ Berlinbesuch in der Geschichte eine Rolle spielt? Auch die vielzitierte „Bombe“, die während des Prozesses platzte, hatte der stern im Prinzip schon im Januar gezündet. Am 25. Januar 2014 berichtete das Magazin, Hoeneß habe in Deutschland Verluste von knapp 119 Millionen Euro ‚erwirtschaftet’, während er in der Schweiz Spekulations-Gewinne steuerfrei kassierte. Warum ging der stern mit dieser Story so defensiv um? Und warum erhielt die Geschichte kaum Resonanz in anderen Medien? Zufall oder Notwendigkeit?

4. Auch die Süddeutsche Zeitung ist nah dran am Fall Hoeneß, sitzt ihm fast schon auf dem Schoß, schließlich geht es um innerbayerische Angelegenheiten. Als aufmerksamer Leser fällt einem allerdings auf, wie sehr der Chefinvestigateur der Süddeutschen Zeitung, Hans Leyendecker (der den Prozess offenbar nicht vor Ort verfolgt), in der Vergangenheit nach entlastenden Momenten, verzeihlichen Fehlern und Schusseligkeiten suchte. Klar, in dubio pro reo. Aber worin bestanden eigentlich die Zweifel?

5. In kaum einer Hoeneß-Geschichte fehlt der Hinweis auf den wohltätigen Samariter und familiären Patron, obwohl der Betrag, den er der gemeinnützigen Verwendung entzogen hat, höher ist als der Betrag, den er imagewirksam wohltätigen Zwecken zukommen ließ (natürlich stets mit dem kolportierten Hinweis, er wolle kein öffentliches Aufsehen darum machen). Ist diese Suche nach Entlastungsgründen reine Menschenfreundlichkeit oder hat das auch etwas mit der Pfötchen-Haltung gegenüber Oligarchen zu tun?

6. Wie macht man aus 20 Millionen D-Mark mehrere hundert Millionen Euro? Und welche Rollen spielen in der ganzen “Zockerstory” die Schweizer Banken und vielleicht auch die Aktionäre des FC Bayern?

Wahrscheinlich will das Gericht das alles gar nicht so genau wissen.

 

Bisherige Beiträge zum Fall Hoeneß:

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