#Geschichte

Die Geschichtslosigkeit der Deutschen

von , 3.3.14

Die größte Leistung nach 1989 war, den Zusammenbruch der alten Sowjetunion weitgehend friedlich abgewickelt zu haben. Russland verzichtete angesichts des ideologischen und ökonomischen Bankrotts auf den Erhalt des alten, bis zur Elbe reichenden Imperiums mit Hilfe brutaler Gewalt. Der Westen befand sich allerdings schon damals in einem gravierenden Irrtum. Denn anstatt Frieden, Rechtsstaat und Demokratie waren alte Konflikte in diesem Riesenreich reaktualisiert worden. Es begann zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach und endete zuletzt 2008 in dem Handeln eines Westentaschen-Mussolini aus Georgien namens Michail Saakaschwili. Seine Verantwortung für den damaligen Krieg ist heute unumstritten. Nun ist Russland auch heute noch ein Reich mit imperialen Ausmaßen – und einem enormen innenpolitischen Konfliktpotential. Ein rationaler Umgang mit Russland ist für die Europäer existentiell. Das bedeutet die Anerkennung der wechselseitigen Interessen durch beide Seiten. Mittlerweile scheinen aber einige Scharfmacher im Westen ihre damalige Naivität durch einen irrationalen Umgang mit Russland ersetzt zu haben. Ein Beispiel ist dieses bemerkenswerte Dokument aus der Welt.

Der Autor, Richard Herzinger, steht für jene Entwicklung in den vergangenen Jahren, die in einer seltenen Form politischer Dummheit Putin mit Russland verwechselt. Es ist nämlich naiv anzunehmen, es könnte irgendeine Regierung in Moskau geben, die in einer Situation wie jetzt in der Ukraine anders reagieren könnte als der amtierende Autokrat im Kreml. Die Ukraine ist aus historischen, ökonomischen und politischen Gründen für Russland existentiell. Selbst ein Musterdemokrat im Kreml, oder das, was ein Herzinger darunter versteht, müsste den Versuch, die Grenzen der EU und Nato bis auf die Krim auszuweiten, als Aggression verstehen. Wohlgemerkt: Die Krim gehört heute nur deshalb zur Ukraine, weil Chruschtschow 1954 aus machtpolitischen Kalkül den Einfluss Russlands in der KPdSU schwächen wollte. Sewastopol und die Krim gehören seit den Zeiten Katharinas der Großen zu Russland. Die nach der Unabhängigkeit der Ukraine gefundene Regelung zwischen Kiew und Moskau hatte das Ziel, den Zusammenbruch der Sowjetunion nicht durch das Neuziehen von Grenzen zu einem Pulverfass zu machen. Berg-Karabach war das abschreckende Beispiel gewesen, was passieren konnte, wenn die in der Sowjetunion eingefrorenen nationalen Konflikte wieder ausbrechen sollten.

Jetzt passiert die Reaktualisierung historischer Erfahrung in die aktuelle Politik. Offenkundig sind die Herzingers nicht in der Lage, die elementarsten Sachverhalte zur Kenntnis zu nehmen. Will man jetzt wirklich, dass die Russen auf der Krim (oder in anderen Teilen der Ukraine) sich an solche Fakten wieder erinnern? Wie die Krimtataren, von Stalin später allein wegen des Verdachts der Kollaboration mit den deutschen Invasoren deportiert, in Russland wahrgenommen werden? Was die Krim für Russland bedeutet? Oder die Goldene Horde für Russlands Selbstverständnis? Aber die Kosaken nimmt man wahrscheinlich auch nur noch als folkloristische Kuriosität wahr. Dabei hat der Bürgerkrieg in Jugoslawien gezeigt, wie schnell aus bis dahin harmlosen Nachbarn ein Tschetnik oder Ustascha werden kann. Es hat Jahre gedauert, um diesen Krieg wirksam einzudämmen. Nur fand dieser Konflikt nicht vor Russlands Haustür statt.

Nun spielt in Deutschland Geschichte keine Rolle mehr, weil mit dem Tod als Meister aus Deutschland die Ignoranz zum allein erträglichen Ton geführt hat. Außenpolitische Wirrköpfe wie die Herzingers (und ihre naiven Fellow Travellers in der Politik, vor allem bei den unsäglichen Grünen) sind anders als mit Geschichtslosigkeit nicht zu erklären. Weil die deutsche Geschichte zu schmerzhaft ist, meinen sie, das müsse auch für alle anderen so sein. Wie anders ist dieses substanzlose Gerede eines Herzinger zu erklären?

“Das stimmt zweifellos, doch darf man diese Interessen Russlands nicht kurzerhand mit denen Putins verwechseln. Auf Dauer wird Russland sein enormes Potenzial nur wirklich entfalten können, wenn es sich von der Gewaltlogik des Putinismus lossagt und auf Kooperation zum gegenseitigen Vorteil mit seinen Nachbarn statt auf deren Unterwerfung setzt – und wenn es die modernen europäischen Standards von demokratischer Rechtsstaatlichkeit bejaht oder doch zumindest respektiert. Gerade weil er Russland als wichtigen Partner braucht, muss der Westen dies jetzt deutlich sagen – ohne mystische Ehrfurcht vor einer “russischen Eigenart”, die angeblich von Putins reaktionärem Herrschaftsprinzip repräsentiert werde.”

Es geht nicht um die “russische Eigenart”. Man sollte nur endlich zur Kenntnis nehmen, was in der Ukraine und auf der Krim passiert. Und zwar nicht nur auf Live-Tickern, sondern in seiner historischen und geopolitischen Dimension. Die Ignoranz drückt sich nicht nur in solchen Artikeln eines Richard Herzinger aus. Der letzte Deutsche, der sich auf der Krim die Zähne ausgebissen hat, hieß übrigens Erich von Manstein. Im Gegensatz zu den Deutschen haben die Russen diesen General sicher nicht vergessen. Um Frieden, Rechtsstaat und Demokratie ging es damals übrigens nicht.

Crosspost von Wiesaussieht

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