#23andMe

ARD und ZDF bald unbegrenzt im Netz?

von , 28.2.14

Deutschlands Rundfunkbeitragszahler gehen paradiesischen Zeiten entgegen. Nachdem Medienpolitiker quer durch alle Fraktionen schon seit einiger Zeit immer lauter nach längeren Verweilzeiten des Fernsehprogramms in öffentlich-rechtlichen Mediatheken verlangen, wollen sie jetzt auch noch den Rundfunkbeitrag senken – um stolze 73 Cent im Monat! Was für ein schönes Weihnachtsgeschenk, mit dem Malu Dreyer, Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz, und ihr sächsischer Amtskollege Stanislaw Tillich da Anfang Dezember vor die Kameras traten! Erweiterter Internet-Abruf öffentlich-rechtlicher Sendungen für weniger Geld! Wer wollte ob solcher Nachrichten kurz vor dem Fest nicht frohlocken und jubilieren?

Die unabhängigen Produzenten und die freiberuflichen Film- und Fernsehschaffenden zum Beispiel. Weiß die Ministerpräsidentin nicht, dass Urhebern und Produzenten die Rechte zur Mediatheken – Nutzung fast immer vergütungsfrei weggenommen werden? Weiß sie nicht, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk in Deutschland einen großen Teil seines Programms völlig unzureichend bezahlt? Besonders im dokumentarischen Bereich können mehr als zwei Drittel der Sendungen nicht einmal nach den von Sendern selbst gesetzten Regeln als „voll finanziert” gelten; in manchen Fällen beträgt die Sender-Beteiligung gerade noch ein Viertel der kalkulierten Herstellungskosten. Im Schnitt übernehmen die Sender nur 60 % dessen, was ein dokumentarischer Film tatsächlich kostet. Oder, anders gesagt: die Produzenten müssen für vierzig, sechzig oder mehr als siebzig Prozent der Produktionskosten selbst aufkommen. Ein ruinöses Geschäftsmodell – vor allem dann, wenn die politischen Vorgaben keinen Freiraum lassen, um das selbst investierte Geld wieder zu verdienen.

 

Mit Gebührenmilliarden gepampert

Das mit Gebührenmilliarden gepamperte System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das dem neuesten KEF-Bericht zufolge immer noch knapp 24.000 fest angestellte Mitarbeiter beschäftigt, das sich unzählige gut bezahlte Direktorenposten und eine ganze Kompanie amtierender und ehemaliger Intendanten leistet, das jede Tariferhöhung mitmacht und seinen Getreuen eine solide betriebliche Altersversorgung auf Kosten der Gebührenzahler ermöglicht – die gleichen Sender, die der Öffentlichkeit mit Stolz neue Digitalkanäle, Online-Angebote und Mediatheken präsentieren, können sich diese Wohltaten nur leisten, weil sie seit Jahren den freien Mitarbeitern und der unabhängigen Produzentenszene dieses Landes wegsparen, was sie anderer Stelle mit vollen Händen zu den Funkhausfenstern herausschmeißen. Ja, es stimmt: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland, das jährlich über mehr als achttausend Millionen Euro verfügt, lässt sich einen großen Teil seines Programms von der freien Produktionswirtschaft subventionieren. Deutschlands Produzenten und Filmschaffende halten das Fernsehprogramm am Leben. Umgekehrt wäre es besser.

Wäre es angesichts solcher Fakten nicht sinnvoller, mit etwaigen Überschüssen die öffentlichrechtlichen Programme endlich einmal anständig, das heißt: nach marktüblichen Standards – zu bezahlen? Was Autoreninnen, Regisseure, auch, was Kameraleute und Cutterinnen nach den von den Sendern selbstherrlich festgesetzten Richtwerten zu bekommen haben, ist strikt gedeckelt, der Produzent muss nach dieser Definition grundsätzlich kostenlos arbeiten und darf kein Honorar für seine Arbeit beanspruchen (und die Produzentin natürlich auch nicht). Eine ganze Reihe unmittelbar produktionsbezogener Ausgaben soll darüber hinaus aus den Allgemeinkosten, den so genannten Handlungskosten finanziert werden, obwohl diese nach wie vor absurd niedrig und völlig unzeitgemäß sind.

 

Unterfinanziertes Vollprogramm

Schon vor Jahren haben Studien nachgewiesen, dass Produktionsfirmen selbst bei angeblich voll finanzierten Auftragsproduktionen mit einer Kostendeckung von weniger als neunzig Prozent auskommen müssen, wenn sie für deutsche Fernsehsender arbeiten – den Rest finanzieren sie in Form von Eigenleistungen, Rückstellungen – oder auch mit eigenem Geld. An einen unternehmerischen Gewinn, der Spielräume zur Entwicklung neuer Ideen und Projekte öffnet, ist unter solchen Umständen kaum zu denken. Das Hamsterrad der Produktion dreht sich immer schneller, denn der laufende Betrieb frisst alles weg und knabbert auch schon an den erwarteten Einnahmen zukünftiger, noch gar nicht realisierter Projekte. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Immer mehr unabhängige Produktionsfirmen steigen aus dem Markt aus – oder sie flüchten unter die Fittiche der Fernsehtöchter, die ohnehin schon weite Teile der Branche beherrschen.

Dass es über Jahre hinweg gelungen ist, diese unerträgliche Situation zu verschleiern, haben Deutschlands Fernsehproduzenten zumindest teilweise selbst zu verantworten. Aus Angst, Aufträge zu verlieren, haben die Produktionsfirmen die stetige Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen trotz ständig sinkender Umsatz-Renditen viel zu lange stillschweigend hingenommen und versucht, sich irgendwie durchzuwursteln. Erst kürzlich bestätigte die Allianz Deutscher Produzenten den
Sendern in mehreren so genannten „Eckpunkte-Papieren”, dass für voll finanzierte Auftragsproduktionen angemessene Vergütungen und eine faire Rechteaufteilung gelten, obwohl selbst die Unterzeichner wussten, dass nach wie vor das krasse Gegenteil der Fall ist.

 

Selbst schuld

Wer immer wieder öffentlich bekundet, dass im Verhältnis zwischen Sendern und Produzenten alles in Ordnung ist, darf sich nicht wundern, wenn das am Ende tatsächlich jemand glaubt. Zugleich erschweren solche Zugeständnisse jede weitere Argumentation. Denn wenn in der Branche wirklich faire Bedingungen herrschen – welchen Grund gäbe es dann noch, überschüssige Rundfunkbeiträge zurück zu halten? Und wenn – einschließlich der Nutzungsrechte – tatsächlich alles fair bezahlt wäre – warum, um alles in der Welt, sollten die Filme dann nicht unbegrenzt im Internet verfügbar sein? Dass sich Gebührenzahler und Politiker irgendwann auf solche Aussagen berufen würden, war vorauszusehen. Jetzt haben wir von Frau Dreyer die Quittung bekommen. Das Taktieren ist zum Bumerang geworden. Dumm gelaufen.

Doch auch die Ministerpräsidentenkonferenz scheint unentschieden. Vor einiger Zeit noch hat sie in einer Protokollerklärung zum Rundfunkstaatsvertrag die Sender aufgefordert, Urheber angemessen zu vergüten und Produzenten eine faire Aufteilung von Verwertungsrechten zu gewähren. Dieser Appell war wichtig, ehrlich und sicher gut gemeint. Jetzt verlangt sie von den Sendern die Bereitstellung zusätzlicher Verwertungsrechte im Internet, entzieht ihnen aber gleichzeitig die Mittel, die nötig sind, um diese Rechte auch angemessen zu bezahlen. Wie passt das zusammen? Gar nicht.

 

Man kann alles fordern – nur kein Geld

Wer eine unabhängige Produzenten-Szene als Ideenschmiede, als Spiegel gesellschaftlicher Vielfalt, als Garant innovativer inhaltlicher und künstlerischer Ansätze erhalten und fördern will, muss ihr doch zu allererst das wirtschaftliche Überleben sichern. Das ist – so banal es sich anhört- vor allem
eine Frage des Geldes. Dann muss allerdings auch gesagt werden, wo dieses Geld herkommen soll. Was den Sendern an Finanzmitteln zur Verfügung steht, ist nämlich restlos verplant. Jede Verhandlungsrunde zwischen Urhebern, Produzenten und Sendern beginnt mit der Drohung, man könne alles fordern – nur kein Geld. Aber wenn es keine Verhandlungsspielräume gibt, sind Verhandlungen über die adäquate Bezahlung unabhängiger Produzenten und Urheber sinnlos.

Nur zwei Optionen können die Ausbeutung der unabhängigen Produktionswirtschaft beenden: Entweder müssen die dafür notwendigen Mittel innerhalb der Sender umverteilt – das heißt: aus anderen Bereichen abgezogen werden. Oder aus dem Rundfunkbeitrag wird zusätzliches Geld bereitgestellt, das durch klare Zweckbestimmungen endlich an der richtigen Stelle ankommt. Beides ließe sich politisch lösen. Stattdessen den Rundfunkbeitrag zu senken, ist natürlich auch eine Option. Allerdings eine, die das Problem der unabhängigen Produktionswirtschaft weiterhin auf der politischen Tagesordnung hält. Zumindest so lange, bis die Branche endgültig zusammenbricht.

 

Rechtekosten von null Euro

Mag sein, dass dieses Szenario sogar einkalkuliert ist. Denn warum soll man sich über eine angemessene und faire Bezahlung der Filmschaffenden Gedanken machen, wenn es unter den Augen der aufsichtführenden Gremien und Politiker jahrelang auch anders ging? Wann immer sich eine neue Verbreitungsform für öffentlich-rechtliche Programme auftat, nahm man Urhebern und Produzenten die dazu nötigen Verwertungsrechte vergütungsfrei und durch kleine, scheinbar harmlose Vertragsergänzungen weg. Europaweite Satellitenausstrahlung über ASTRA, immer mehr Wiederholungen in immer mehr Digitalprogrammen, 7-days-catch-up in den Mediatheken – alles das musste nach und nach an die Sender abgetreten werden, ohne dass dafür auch nur ein Cent mehr bezahlt wurde. In den so genannten Drei-Stufen-Tests für öffentlich-rechtliche Telemedienangebote nickten die Aufsichtsgremien Finanzierungspläne ab, in denen die Rechtekosten der neuen online-Dienste auf “null Euro” beziffert wurden. Kaum ein Rundfunkrat fand das merkwürdig.

 

Was GEZahlt ist, ist noch lange nicht gezahlt

Und schon 2008 erhob eine unheilige Allianz aus Verbraucherverbänden, DGB und dem vom WDR aus regierten Deutschen Kulturrat mit dem Slogan “Was GEZahlt ist, muss von Dauer sein” die Forderung nach zeitlich unbegrenzten online-Abrufmöglichkeiten für das gesamte Fernsehprogramm – freilich ohne zu wissen, dass ein großer Teil des öffentlich-rechtlichen Programmangebots mitnichten „GEZahlt“ ist. Jetzt liegt die gleiche Forderung auf dem Tisch der Länderchefs. Und die haben anscheinend immer noch nicht verstanden, dass unabhängige Produzenten nur dann wirtschaftlich überleben können, wenn sie werthaltige Verwertungsrechte an ihren Filmen selbst nutzen können. Mit am wichtigsten sind dabei die Online-Rechte. Wenn sie den Produzenten verloren gehen, nur weil die Medienpolitik das gesamte öffentlich-rechtliche Programm auf Dauer kostenlos im Internet sehen will, macht die Ministerpräsidentenkonferenz ihre eigene Forderung nach einer fairen Aufteilung von Nutzungsrechten zur Makulatur.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um die gekürzte Version eines Artikels, der unter der Überschrift “Zeit für einen grundlegenden Systemwechsel” zuerst im filmpolitischen Informationsdienst “black box” erschienen ist, Nr. 239 vom Januar 2014. Hier geht es zur ungekürzten Fassung.

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