#Dschungelcamp

Die Talkshow ist das Dschungelcamp der Mittelschicht

von , 3.2.14

Dass die Piraten eine Zeit lang glaubten, sie seien die neue Kraft der Republik, lag auch daran, dass sie ihre Teilnahme an Talkshows mit politischem Einfluss verwechselten. Ein Platz neben Jauch oder Lanz erschien ihnen so wertvoll wie ein Platz im Parlament.

Dann folgte der Absturz. Aber auch die Niederlage der Piraten konnte den Glauben an die Wichtigkeit der Talkshows nicht erschüttern, im Gegenteil, inzwischen werden Talkshows zu nationalen Großereignissen aufgeblasen, füllen Schlagzeilen, Feuilletons, soziale Netzwerke, Blogs und Petitionen, und man darf sicher sein, dass die Bundesbürger in Umfragen und Quizshows mehr Talkmaster aufzählen könnten als Bundesminister.

Das Lästern über Talkshows ist zum Netzsport geworden. Vor allem das Lästern über Personen. Was will der Heini da neben der @afelia, der soll doch sein Maul halten. Und wer hat bloß den Vollpfosten von der BLÖD-Zeitung eingeladen? Manche Kritiker halten solche Unmutsäußerungen für gelebte Demokratie.

 

Ein autoritäres Konzept

Auch die „Fernsehgewaltigen“ finden das Extra-„Engagement“ ihrer “kritischen” Zuschauer toll: Mitmachen, Dampf ablassen, dazwischenquatschen, abstimmen, das ist trendy. Das ist lebendige Community.

Die Möglichkeit des schnellen Urteils – „Lagerfeuer“ war gestern – hat nicht nur die Castingshows, sondern auch die Talkrunden verroht verändert. Deren Gäste werden nicht mehr danach ausgesucht, ob sie mit anderen Gästen ein Gespräch über ein Thema führen können, sondern danach, wie zuverlässig sie den Effekt garantieren, dass sich während der Sendung eine hinreichende Zahl von Zuschauern das Maul über sie zerreißt.

Um diesen Effekt zu steigern (und richtige Gespräche zu verhindern) bevorzugen die Fernsehanstalten neuerdings Moderatoren, die vieles können, nur eines nicht: moderieren. Die immer dann eingreifen, wenn ein Gespräch interessant zu werden verspricht; die Gesprächsfäden abreißen lassen, weil sie sich im Thema nicht auskennen, die anzügliche Bemerkungen machen, provozierend dumme Fragen stellen oder Gästen über den Mund fahren. Das empörende Verhalten des Moderators garantiert, dass die empörten Zuschauer das nächste Mal wieder einschalten.

Weil die emotionale Anbindung der Zuschauer an eine Talkshow sowohl positiv als auch negativ funktioniert (Hauptsache Emotion!) sind die Moderatoren die Stargäste ihrer eigenen Shows. Die Moderatoren stehen im Mittelpunkt, und folgerichtig heißen die Talkshows wie sie. Die übrigen Gäste sind mehr oder weniger Staffage für die Performance des Moderators. Wie in der Zwerg-Schule der fünfziger Jahre kann sich der Showmaster einen Gast nach dem anderen zur Brust nehmen.

Wer dieses (fast immer männliche) Dominanz-Konzept unterlaufen will – wie der kecke Piratenpolitiker Johannes Ponader – kann nur scheitern. Die Gäste, so lautet die ungeschriebene Regel, dürfen den Moderator nicht ausstechen wollen.

 

Macht euer eigenes Programm!

Bei uns wurde das aus den USA importierte Format zunächst in Late Night Shows erprobt. Harald Schmidts demonstratives Desinteresse an seinen Studio-Gästen, sein respektloses, „ungezogenes“ Verhalten war der Prototyp der heutigen Talkshow-Serie. Jauch, Lanz, Raab, Böhmermann, Krömer (und viele andere) lernten vom großen Meister Schmidt. Ihre Gesprächssimulationen folgen einem autoritären Konzept, das locker vom Hocker daherkommt.

Leider gehen die Leute aus der Netzszene diesem Konzept voll auf den Leim. Bei Twitter laufen sie Abend für Abend zu Hochform auf. Mit beißendem Spott und fanclubartigem Jubel begleiten sie ihre „Spiel-Figuren“. Denn die Talkshow ist das Dschungelcamp für die Mittelschicht. Das Hirsch-Sperma wird in Form zudringlicher Fragen serviert.

Wie könnte man aus diesen Shows richtige Gespräche machen? Mit einer Online-Petition, d.h. mit gesteigerter Aufmerksamkeit? Ich fürchte, es gibt nur einen Weg, die TV-Quoten entscheidend zu drücken: Nicht hingehen, nicht zuschauen! Macht euer eigenes Programm. Die Mittel dazu habt ihr ja.

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