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Wir sind zu faul, um nicht überwacht zu werden

von , 28.1.14

Ich habe mich bereits gefragt (und bin mit dieser Frage natürlich nicht alleine), warum die ganze NSA-Sache außerhalb des Internets so wenig zur Beunruhigung, geschweige denn zu massivem Entsetzen oder Protesten geführt hat.

Die simple Antwort ist: wir sind zu faul. Diese Einsicht leite ich ab von der übergeneralisierten Einsicht: Ich bin zu faul (es ist ein bisschen erschütternd, dass das im Grunde die Antwort auf fast alle Probleme ist). Ich habe mich nämlich an die Bequemlichkeiten der Zentralisierung gewöhnt. Alles an einem Ort in der Cloud zu haben, ist natürlich traumhaft bequem.

Ich bin ja nicht doof, ich weiß, auf was ich vernünftigerweise verzichten müsste, z.B. auf Dienste, die von Facebook, Google oder Apple angeboten werden.

Aber Himmelherrgott, es ist eben so bequem. Wer will schon auf Single-sign-on (Möchten Sie sich mit Ihrem Facebook-Account anmelden?) verzichten, wenn sie/er diese Möglichkeit erst mal ein paar Monate oder Jahre benutzt hat?

Vor Googlemail zum Beispiel hatte ich ein kompliziertes System, wie ich Mails kategorisiert habe. Das System war so komplex und inkonsistent, dass ich es leider selbst nie eingehalten habe (kommt die Mail nun in den Ordner von Person XYZ, oder ist sie themengebunden abzulegen, weil wir uns gegenseitig Unterlagen zu einem bestimmten Thema zugeschickt haben?).

Der Speicherplatz war merklich begrenzt, und so musste ich Dinge auch extra an einem zweiten Ort – lokal – abspeichern.

Allein diese beiden Umstände der Prägoogleära hatten als Effekt: Ich habe ca. 70% meiner Sachen nicht wiedergefunden. Den Link zum Ferienhaus, in dem wir 2011 waren, den ich meiner Freundin weiterleiten wollte. Das vorausgefüllte PDF-Formular zum Elterngeld, welches ich ans Amt geschickt habe, das ich mir beim 2. Kind noch mal anschauen wollte. Das Bild aus früheren Zeiten, über das meine Freundin beim Aufräumen gestolpert ist.

All diese Sachen waren früher irgendwo – aber nicht auffindbar.

Jetzt ist alles an einem Ort und AUFFINDBAR. Ich gebe ein bis zwei Worte in den Suchschlitz ein, und zack, habe ich das gesuchte Dokument. Das ist so toll, dass ich mir manchmal sogar selbst Mails schicke, damit ich diese Inhalte wiederfinde.

So wie im Kleinen – in meinem Mailfach – geht’s mir natürlich mit dem ganzen Internet. Ich benutze Bookmarks kaum, und auch wenn es sinnvoll ist, landen nicht alle meine Verweise auf bestimmte Websites, Bilder, Videos in meinem Pocketaccount. Ich lasse einfach alles, wo es ist, habe mir passiv gemerkt, wie ich auf die Seite gekommen bin und google einfach erneut danach.

Es ist so bequem. Alles an einem Ort, alles voll indiziert, auffindbar zu jeder Zeit.

Auch wenn ich sehr vieles von z.B. Anne Roth (Twitter/Blog) rund um das Thema Überwachung gelesen habe und aufgrund meiner durchaus gut ausgeprägten Denkfähigkeit weiß, dass es höchste Zeit ist: Ich bin immer noch bei Googlemail.

Dass ich mit dieser Bequemlichkeit nicht alleine bin, sehe ich an meinen Kontakten, wenn ich in WhatsApp schaue und das mit Threema vergleiche. 3/4 meiner insgesamt 267 Kontakte sind bei WhatsApp, ganze 4 (!) sind bei Threema, und das, obwohl die eine App weder leichter zu installieren noch leichter zu bedienen noch sonst irgendwas ist. Der einfache Grund: WhatsApp war zuerst da, wechseln macht Arbeit.

Nun.

Alles keine Wahnsinnseinsichten – aber – wie soll es den Leuten gehen, die a) gar nicht so informiert sind, die b) nicht so technikaffin sind, und die c) noch weniger Zeit als ich haben, wenn nicht mal ich all das, was ich in der Zwischenzeit weiß, umsetze.

Und hier geht es nur um meinen kleinen Mikrokosmos.

Nicht zu sprechen vom Internet an sich. Genauer gesagt, von der Infrastruktur als solcher, der Frage, wem eigentlich die ganzen Server gehören, etc. Ich musste beim Vortrag von Geert Lovink auf der Konferenz Netzkultur die ganze Zeit an Autobahnkarten von Frankreich denken.

Im Teenageralter sind mir die das erste Mal untergekommen, und ich weiß wirklich noch genau, wie erstaunt ich war. Wie verrückt ich das fand. Alle Autobahnen sternförmig Richtung Paris. Wenn man am Randgebiet des Sterns von A nach B wollte, nur holprige Landstraßen. Wenn überhaupt!

Das gleiche Gefühl hatte ich, als ich dieser Tage über die Ideen eines föderativen Zusammenschlusses des Internets hörte.

Ich kenne mich technisch zu wenig aus, aber es leuchtet mir ein, dass eine zentralistisch organisierte Infrastruktur, die nur von einem (oder wenigen) kontrolliert wird, natürlich viel einfacher zu überwachen und zu manipulieren ist, als ein dezentral organisiertes Netz.

Geert Lovink deutete an, dass das alles noch kompliziert werden könnte, und äußerte die Idee, dass es wohl zukünftig den Beruf des Interneterklärers – des Codeübersetzers – geben müsse. Da würden emotionale Äußerungen von Kulturpessimisten wie Sascha Lobo eben nicht weiter helfen.

Es wäre wohl sinnvoll gewesen, eben diesen mit in die Gesprächsrunde zu holen. Ich bin nämlich schwer verwirrt. Erst steht da im Fernsehen (fast) immer, wenn Sascha Lobo redet, “Deutschlands bekanntester Blogger”, obwohl er kaum bloggt. Dann freunde ich mich mit dem Begriff “Interneterklärer” an und denke, wenn ich ihn höre (den Begriff), immer an Sascha Lobo, und dann gibt es das Berufsbild plötzlich nicht mehr (oder noch nicht) und er wird öffentlich Kulturpessimist genannt, und stattdessen solle man sich doch mal den konstruktiven Artikel von Michael Seemann zu Gemüte führen.

Sehr verwirrend.

Also meine Anregung für den kommenden Termin der Netzkulturkonferenz: Ladet doch mal die Beiden, Anne Roth und eine weitere Dame in eine Gesprächsrunde ein und diskutiert Lösungsansätze zur Rettung des Internets.

So, und jetzt schaue ich mir den Vortrag “To Protect And Infect” von Jacob Applebaum vom 30c3 an. Das war Hausaufgabe.

 
Update
Weiterhin lesenswert von Anne Roth “Warum protestiert eigentlich niemand?” und sehenswert die BBC Doku “All watched over by machines of loving grace

 
Update 2
Der sehr lesenswerte Antwortartikel zum Thema Faulheit von Anne Roth “Kleine Philosophie der digitalen Sicherheit” inkl. ihrer drei Thesen zur digitalen Sicherheit:
 

“Das Gefühl von Ohnmacht spielt eine zentrale Rolle: Ohnmacht gegenüber der Politik, und Ohnmacht, wenn es darum geht, uns zu schützen. Es gibt übrigens kein Entweder-Oder dabei. Ich höre oft, dass wir das politisch angehen müssen, wenn ich erkläre, dass mehr Menschen Mails versch[l]üsseln sollten, und umgekehrt. Wir brauchen beides. Um nochmal Metaphern zu bemühen: wir brauchen eine öffentliche Gesundheitsversorgung und müssen uns natürlich trotzdem jeden Tag die Zähne selber putzen.

[…]

Googlemail ist die Brathähnchen-Käfighaltung unter den Mailprogrammen. Das kann man akzeptieren, aber ich jedenfalls komme gut damit zurecht, es ein bisschen weniger bequem zu haben und dafür ein paar Hühnerleben zu retten.”

 
Crosspost von Das Nuf Advanced
 

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