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TTIP: Aktuelle Entwicklungen – so weit bekannt

von , 21.1.14

Eigentlich wollte ich einfach die Ereignisse der letzten Woche zusammenfassen. Aber dann ist mir der Beitrag doch unerwartet aktuell geraten, weil am Freitagnachmittag schon wieder ein neues Leak spannende Informationen aus den sonst von der Öffentlichkeit abgeschotteten Verhandlungsräumen ans Tageslicht spülte. Aber lasst uns am Anfang beginnen.

Linktipp
Soeben erschien diese interessante Broschüre: The Transatlantic Colossus mit neuesten Hintergrundinfos von NGOs und Stakeholdern der Zivilgesellschaft.

TTIP – wie TAFTA jetzt genannt wird, weil der ursprüngliche Name zumindest in den USA zu viele ungute Assoziationen mit dem sehr negativ wahrgenommenen Handelsabkommen NAFTA aufwarf – war in der letzten Woche häufiger Gegenstand von Medienberichten. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen unterstrichen und untermauerten jene Kritikpunkte des Freihandelsabkommen, die wir bereits in den letzten Wochen thematisiert hatten.

 

EU Kommissare und TTIP-Claqueure

Besonders kritisch sollten wir die Aussagen zweier prominenter Protagonisten und strenger Befürworter von TTIP bewerten: Die von EU Kommissar Karel de Gucht und die von CDU MEP Daniel Caspary.

In einem aktuellen Interview mit der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung sieht de Gucht keine Verbindung zwischen der NSA Spähaffäre und den Verhandlungen. Er sagt, »niemand könne seine Gedanken lesen, daher sei der Datenschutz gewährleistet«. So kann man »wir halten die Verhandlungen sorgfältig geheim« auch ausdrücken – Demokratie geht anders.

De Gucht behauptet in diesem Interview weiter, dass sich nichts für deutsche Märkte verändern würde. Wenige Zeilen weiter erläutert er aber, dass Verhandlungsziele wie die vereinfachte und verkürzte Prüfung für europäische Medikamente in den USA im Austausch gegenüber Forderungen der US Wirtschaft verhandelt werden. Und anders herum soll das nicht laufen? Für wie dämlich hält de Gucht die Leser eigentlich?

Sein Kollege Caspary, handelspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion und Kenner der internen Verhandlungspapiere, präsentierte in einer Gesprächsrunde des DLF zu TTIP seine demokratische Vorstellung von Transparenz mit einem denkbar unpassenden Vergleich. »Wenn ich eine Treppe in meinem Einfamilienhaus baue, setze ich ja auch auf Verschwiegenheit, damit der Bauunternehmer nicht mitbekommt, was ich maximal zu zahlen gewillt wäre.« Mit dem Bauunternehmer meint er die USA. Aber gleichzeitig grenzt er damit auch 500 Millionen Europäer von der Beteiligung an der Frage aus, wie der Freihandel mit den USA gestaltet werden soll. Und er reduziert die hochkomplexen und weltweiten Auswirkungen von TTIP auf ein rein wirtschaftliches Pokerspiel – ein Pokerspiel um unsere Zukunft.

 

Geistiges Eigentum

Nach diesem unerfreulichen Intro komme ich zum aktuellen Leak:

Details zu einem Meeting zwischen Kommissionsmitgliedern – allen voran Unterhändler Pedro Velasco Martins – und Vertretern der Contentindustrie wie Warner und Disney in der Handelskammervertretung der Vereinigten Staaten von Amerika werfen Licht auf die verdeckten Forderungen der Branche an das Freihandelsabkommen.

Was steht in diesem – etwas unübersichtlichen – Dokument?

Das klassische Dreigestirn aus Urheberrecht, Patenten und Markenschutz, das wir bereits aus dem auf Druck der Öffentlichkeit gescheiterten ACTA kennen, soll ganz offenbar noch erneut und diesmal sogar vertieft angegangen werden. Die Verhandlungsführer sind sichtlich erfreut, dass Aktivisten und NGOs ihre Aufmerksamkeit zur Zeit eher auf die Schiedsrichter zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen »Investoren« und Staaten richten. Wir erinnern uns: Das waren die keiner demokratischen Kontrolle unterworfenen Tribunale … ach, das habt Ihr am Donnerstag im Artikel zur »WIR haben es satt«-Demo gelesen.

Die NGOs kümmern sich also gerade um diese Ungeheuerlichkeit und sind so abgelenkt von dem, was an der Urheberrechtsfront gerade ausgekungelt wird. Aber das zivilgesellschaftliche Engagement für die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer kann natürlich – wie damals bei ACTA – die Verhandlungen jederzeit in Gefahr und schließlich zum Scheitern bringen.

Deswegen fürchten sich die Verhandlungsführer, die sich in dieser Frage eigentümlich einig sind, bereits jetzt vor den ersten Leaks. Ähnlich wie beim Marketingkonzept für TTIP/TAFTA als Ganzes legen sie sich daher bereits jetzt eine Promotion-Strategie zurecht: Durch breite Streuung von einseitig pro-Contentindustrie ausgerichteten Studien soll jeder Arbeitsplatz, der auch nur im entferntesten von »geistigen Eigentumsrechten« berührt wird, als »at the stake« dargestellt werden – angeblich sollen all diese Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Was für ein Käse.

Datenschutz und digitale Privatsphäre sollen so lange wie möglich aus den Verhandlungen herausgehalten werden. Damit soll vor allem die Durchsetzung von Nutzungs- und Verwertungsrechten zementiert werden. Die Forderungen der nordamerikanischen Contentindustrie wurden ja bereits hinlänglich ausgebreitet und sind auch in Regierungskreisen salonfähig geworden: Mit Mitteln, die sonst nur das organisierte Verbrechen oder die NSA einsetzen, sollen die Nutzer ausgeforscht werden, dass sie auch wirklich kein illegal runtergeladenes Musikschnipselchen auf der Festplatte haben.

Auf der Wunschliste stehen Rootkits, Malware und Trojaner, die nicht nur den Datenstrom der Verbraucher durchsuchen, sondern auch gleich noch die gewünschten Sperrungen vornehmen können.

Auch in Deutschland hat der Bundesverband der Musikindustrie bereits – allerdings weniger offensichtlich und detailreich – ähnliche Forderungen an die Große Koalition gerichtet und wirbt mit dem Vorsitzenden Dieter Gorny um die Einführung einer Straßenverkehrsordnung für das Internet.

 

Daseinsfürsorge

Die Zeitung für kommunale Wirtschaft warnt vor der Enteignung der öffentlichen Hand im Bereich der Daseinsfürsorge, wenn die »Förderung des gegenseitigen Marktzuganges« die Wasser- und Abwasserwirtschaft betrifft.

Ebenso warnen Vertreter des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), dass TTIP die kommunale Selbstverwaltung bedroht. Bei rein kommunaler Auftragsvergabe könnte Schadensersatz bei den von TTIP eingerichteten Schiedsgerichten (ISDS / Investor-State-Dispute-Settlement) eingeklagt werden.

Der erleichterte Handel mit Pestiziden gefährde darüber hinaus unsere Gewässer und ihre hohen Standards.

 

Landwirtschaft

Darüber haben wir Donnerstag im Zusammenhang mit der Demonstration “WIR haben es satt” bereits ausführlich berichtet.

 

Arbeitnehmerrechte

Bereits vor einigen Wochen hatte Wikileaks die Strategie der europäischen Kommission geleakt, TTIP als Job- und Wirtschaftswunder für Deutschland darzustellen und diese Hoffnung gezielt in die Massenmedien zu tragen.

Verschiedene Arbeitnehmerverbände warnen jedoch mittlerweile offen vor TTIP, denn die USA haben einen Großteil der acht Kernnormen der internationalen Arbeitsorganisation ILO nicht ratifiziert. Darunter fallen z.B. viele Gewerkschaftsrechte, gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Mann und Frau, das Mindestalter für den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis, das Verbot von Zwangsarbeit von Häftlingen für Unternehmen, und das generelle Verbot von Diskriminierung wegen Hautfarbe, Geschlecht, politischer Meinung und Religion in der Arbeitswelt.

Dass all dies bei uns selbstverständlich ist, könnte zukünftig als »Handelshemmnis« eingestuft werden und die europäischen Länder könnten dafür vor eines dieser nicht demokratisch legitimierten Tribunale gezerrt werden.

 

Alibi Advisory-Komitee

Im Dezember wurde vollmundig das Advisory-Komitee vorgestellt, das zivilgesellschaftlichen Organisationen den Zugang zu den Verhandlungen ermöglichen soll.

Für die Verhandlungsführer kein Problem – denn sie definierten kurzerhand das Wort »Zivilgesellschaft« für die eigenen Zwecke um: Es stellte sich heraus, das nur jede fünfte der als »zivilgesellschaftliche Organisationen« gelisteten Gruppen auch wirklich eine war. Der Rest, also 80%, waren Vertreter großer Wirtschaftskonsortien – also schlicht noch mehr Lobbyisten.

Wir wollten es zuerst nicht glauben, aber selbst die »Confederation of European Community Cigarette Manufacturers« schaffte es auf die Liste der NGOs.

 

In den USA

In den USA macht sich langsam Widerstand breit, der unter dem Namensgleichnis »TAFTA = NAFTA« auftritt. Denn NAFTA, das Freihandelsabkommen zwischen Nord- und Südamerika, hat sich in Nordamerika bereits einen fragwürdigen Ruf erarbeitet. Kein Wunder, denn es hat zu einer Erosion der Grundrechte gegenüber den Konzerninteressen geführt.

Nordamerikanische Anti-TAFTA-Aktivisten sind alarmiert, denn die aggressive Wirtschaft in den USA versucht gemeinsam mit dem Weißen Haus das sogenannte »Fast-Track Verfahren« durchzusetzen, damit die Verhandlungen zu TTIP im Wesentlichen ohne die Beteiligung des US-Kongresses stattfinden können. Die sonst bei Gesetzesvorlagen übliche abschließende Verhandlung zwischen Kongress und Senat wird dadurch ausgesetzt, und es kann dort nur noch abgestimmt werden – wie bei dem damals im Europäischen Parlament bei ACTA gescheiterten Anlauf.

Darüber hinaus hat das Atlantic Council einen starken Fürsprecher in den USA gefunden. Dort wird das Freihandelsabkommen als eine starke »Handels-NATO« im (Wirtschafts-) Kampf gegen Russland und China promotet. Die Bertelsmann Stiftung wirbt mit einer Hochglanzbroschüre für TTIP in »den 50 Staaten« und liefert dazu eine zwar fiktive, aber dafür schön bunte Datenvisualisierung mit dem angeblichen Wachstumspotential für die einzelnen US-Bundesstaaten.

 

Datenschutz

Hinsichtlich der neuen Leaks, wie z.B. die SMS-Spionage in nicht gekanntem Ausmaß und der gänzlichen Absage zu einem Stopp der Spionage – der durch die halbherzigen und relativierenden Aussagen zur NSA-Affäre von Barack Obama am Freitagabend noch einmal bestätigt wurde –, ist die Strategie von Justizkommissarin und Kommissions-Vize-Präsidentin Reding höchst befremdlich: Sie und ihr Kollege de Gucht fordern, den Datenschutz aus dem Abkommen auszuklammern.

Ihre Begründung könnte nicht widersinniger sein: »Handel hat nichts mit Datenschutz zu tun.« Neuland eben.

In Wahrheit sind natürlich der komplette Warenverkehr, alle wirtschaftlichen Abläufe und der Schutz von technologischen Entwicklungen und Betriebsgeheimnissen wesentlich von vertraulichen Datenströmen diesseits und jenseits des Atlantiks abhängig. Ein Abkommen kann deshalb nur unter einem klaren Bekenntnis zur europäischen Datenschutzgrundverordnung und schmerzhaften Sanktionen bei Zuwiderhandlung unterzeichnet werden. Alles andere ist informationeller Selbstmord für Wirtschaft, Zivilgesellschaft und die demokratische Hegemonie. Aber wenn wir nicht massiv eingreifen, dann wird das Bekenntnis wohl kaum mehr als ein Lippenbekenntnis werden.

Übrigens: die TTIP-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero und sein nordamerikanischer Kollege Dan Mullaney haben gerade erst die Informations- und Kommunikationsindustrie auf die Agenda der wichtigen Verhandlungsfelder neben Fahrzeuge, Pharma, Textilien, Chemikalien gesetzt. Das hat natürlich mit Datenschutz nicht im Entferntesten etwas zu tun.
 
Bruno Kramm ist Bundesbeauftragter der Piratenpartei für das Urheberrecht und Listenkandidat (Platz 4) für die Europawahl. Er wird zweiwöchentlich auf der Website der Piraten ein Update zu TTIP veröffentlichen, dessen ersten Teil wir mit freundlicher Genehmigung übernehmen. Anfang des Jahres haben sich die Piraten auf ihrem Parteitag in Bochum dem Positionspapier »TTIP nein danke – transatlantische Partnerschaft geht anders« angeschlossen und es in ihr Wahlprogramm zur Europawahl aufgenommen.

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