#aktives Wahlrecht

Senkt endlich das Wahlalter

von , 11.1.14

Das Statistische Bundesamt dokumentiert die Rentner-Republik Deutschland. Im Jahr 2010 waren bereits 26 Prozent der Bundesbürger älter als 60 Jahre. In sechs Jahren werden es nach offizieller Prognose vermutlich 31 Prozent sein.

Diese Alterspyramide bestimmt die Politik in Deutschland: Von der Generation 60+ kommen immer mehr Wählerstimmen. Davon profitieren vor allem CDU, CSU und SPD. Die Parteien der Großen Koalition haben bei den über 60-Jährigen fast 80 Prozent der Stimmen geholt. Dafür werden die Jüngeren politisch geopfert: Sie müssen zahlen, was die Politik den Rentnern verspricht. Mütterrente, Erwerbsminderungsrente, abschlagsfreie Rente, Lebensleistungsrente: Der Koalitionsvertrag wurde in wesentlichen Teilen zugunsten der Alten aufgesetzt.

Deutschlands Jugendliche dürfen zwar Alkohol trinken, unter Auflagen Auto fahren und schon als Kind ihr Taschengeld mit leichten Tätigkeiten aufbessern. Das wichtigste demokratische Recht aber bleibt ihnen bisher verwehrt. Es ist höchste Zeit, den Jungen mehr politisches Gewicht zu geben und unter 18-Jährige wählen zu lassen.

Es wäre ein starkes Signal an die Politik, die Interessen und Bedürfnisse der jungen Generation nicht länger weitgehend zu ignorieren. Die Parteien wissen ganz genau, wer ihre Zielgruppen sind, ihre Wähler – und wer nicht oder noch nicht. Entsprechend sehen die Strategien und Konzepte aus. Entsprechend wenig wird Politik auf die Jüngeren ausgerichtet, selbst wenn Wissenschaftler angesichts der milliardenschweren Rentenpläne vor Nachteilen für die Jüngeren warnen. Die alternde Wählerschicht wiegt mehr als politische Vernunft.

Der Politikwissenschaftler Jörg Hebenstreit von der Friedrich-Schiller-Universität Jena beschreibt das Dilemma: Geht es nach der Responsivität – Politiker berücksichtigen die Interessen der Wähler -, könnte man sogar dafür argumentieren, dass zentrale Inhalte aus wahltaktischen Gründen auf ältere Mitbürger zugeschnitten sind. Auf der anderen Seite geraten die Jungen ins Hintertreffen, weil sie kein Wahlrecht haben und damit auch nicht das Recht, dass ihre Interessen gehört und umgesetzt werden.

Noch vor einigen Jahrzehnten lag die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht bei 21 Jahren. Am 9. Juni 1972 ermöglichte der Bundestag auch 18-Jährigen, ihre Stimme abzugeben. Damals gab es nicht wenige kritische Stimmen, gegen die sich die Befürworter schließlich durchsetzten: Wer schon arbeiten und zum Wehrdienst eingezogen werden kann, soll auch wählen dürfen. Es war das, was Willy Brandt mit „Mehr Demokratie wagen“ meinte. Es war sogar genau das, denn Brandt wollte mehr Demokratie auch für die Jüngeren in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Es war wieder ein Motto der Großen Koalition 2005, wenn auch in der abgeänderten Form „Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen“.

Über außerparlamentarische Forderungen, Petitionen und blumige Sonntagsreden einiger Abgeordneter ist die Frage der erneuten Absenkung des Wahlalters bisher nicht hinausgekommen. Dabei verfügen Jugendlichen „regelmäßig bereits zu einem früheren Zeitpunkt über die Fähigkeit, sich eine eigene politische Meinung zu bilden“, hieß es in einem Gesetzentwurf der Grünen aus dem April 2013 zur Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren bei Bundes- und Europawahl. Es spricht nichts dafür, grundsätzlich an der Einsicht und Reife der unter 18-Jährigen zu zweifeln.

Es ist eine Fehlinterpretation vieler, die gegen die Öffnung der Wahlen für Jüngere sind: Es bestünde kein Interesse. Sie würden ihr Recht eh nicht wahrnehmen. Die Kritiker leiten aus der verbreiteten Politikverdrossenheit der Jüngeren ein Desinteresse an politischer Mitsprache und Wahlen ab. Ein Trugschluss. Viele Jugendliche haben gerade deshalb kein Interesse an Politik, weil Politik bisher kein Interesse an ihnen hat.

Auch aus verfassungsphilosophischer Sicht haben die Kritiker nicht Recht. Selbst bei einer geringen Wahlbeteiligung der unter 18-Jährigen rechtfertigt das nicht, ihnen das Wahlrecht grundsätzlich abzusprechen. Im Geiste dieser Argumentation bräuchten auch andere Bevölkerungsschichten nicht wahlberechtigt zu sein, weil sie eher nicht wählen gehen. Kein Mensch würde ernsthaft so argumentieren, wenn es um demokratische Grundrechte geht.

Kritiker einer Absenkung des Wahlalters argumentieren gerne auch mit der Komplexität politischer Kausalität. Jugendliche würden nicht verstehen, warum etwas notwendig und richtig sei, sie könnten deshalb auch keine qualifizierte Wahlentscheidung treffen. Es ist der Generalverdacht der Naivität. Und eine billige Ausrede. Erstens verstehen auch 80-Jährige Politik oftmals nicht mehr, genau aus diesen Altersgründen. Trotzdem wird ihnen das Wahlrecht nicht abgesprochen.

Zweitens wäre die einzig logische und richtige Konsequenz aus dieser Befürchtung, Politik schlicht besser zu erklären – und zwar allen Menschen, unabhängig von ihrem Alter. Bisher fehlt die ernsthafte Ansprache der Jungen, die über die Arbeit der Jugendorganisationen der Parteien, Alibi-Veranstaltungen meist auf lokaler Ebene und Online-Aktionen hinausgeht.

Dass sich unter 18-Jährige in Parteien politisch engagieren können, ist kein Ersatz für das aktive Wahlrecht. Die über 60-Jährigen stellen den Großteil der Mitglieder in Volksparteien, auch hier haftet den Jüngeren das Etikett der Minderheit an. Sie können ihre politischen Anliegen über eine Mitgliedschaft zwar formulieren, den Kurs von Politik beeinflussen sie damit aber nur marginal. Die Kritik der Jusos am Koalitionsvertrag beispielsweise verpuffte fast vollständig. Auch an den Spitzen der Parteien haben zumeist ältere Politiker das Sagen.

Den Jungen bleibt das Mahnen, Fordern und Klagen. Und spätestens zu jeder Wahl beklagt die Politik ihrerseits wieder die Politikverdrossenheit. Mit einer Senkung des Wahlalters könnte Politik sich öffnen, für Mitsprache und Mitbestimmung begeistern und Menschen politisch aktivieren. Eindringlich hatte Bundespräsident Joachim Gauck 2012 in seiner Antrittsrede seine Vision von Deutschland beschrieben: Als Land der Teilhabe auch für „unsere Kinder und Enkel“, in dem Bürger nicht nur Konsumenten, sondern Gestalter und Mitgestalter sind. Nicht zuletzt wäre es ein Ausdruck echter Generationengerechtigkeit: Ältere, die nicht wählen wollen, müssen nicht – Jüngere, die wählen wollen, dürfen es.

Die Überlegung, das Wahlalter abzusenken, führt zwangsläufig zu einer noch schwierigeren Überlegung: Auf welches Alter absenken? Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden bringt sogar ins Gespräch, überhaupt keine Mindestgrenze mehr festzuschreiben. Wenn 16-Jährige wählen dürfen, warum nicht auch 6-Jährige? Patzelt plädiert für ein stellvertretendes Wahlrecht der Eltern. Damit hätten auch Kinder eine Stimme, auch wenn sie noch nicht in der Lage sind, das Kreuz selbst zu setzen.

Das könnte dazu führen, dass die Erziehungsberechtigten eine besonders umworbene Wählergruppe wären, wenn sie mehr als eine Stimme vergeben können – eben je nach Anzahl ihrer Kinder. Möglicherweise richten die Parteien Politik dann stärker auf die Interessen von Kinder und Eltern aus, wenn diese in besonderer Form davon profitieren – oder andererseits belastet würden. Idealziel wäre ein politisches und gesellschaftliches Gleichgewicht zwischen Alten und Jungen.

Wie groß das Interesse der Jüngeren überhaupt ist, ihr Wahlrecht auch auszuüben, zeigt sich erst beim Versuch. In einigen Bundesländern dürfen bereits unter 18-Jährige ihre Stimme bei Wahlen auf Landes- und Kommunalebene abgeben. Das muss auch auf Bundesebene kommen, denn hier entscheidet sich das Schicksal der jungen Generationen.
 
Dennis Sulzmann bloggt auf heutigentags.de

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