#Beruf

Der für das Establishment angenehmstmögliche Außenseiterdarsteller

von , 17.11.13

Eine Theke mit Bier, belegten Broten und Schokoriegeln: Das ist das Café Mittelachse in der Berliner Universität der Künste (UdK). Die Hochschule hat 40 Studiengänge und 16 Standorte, aber keine Mensa. Studenten treffen sich deshalb hier, im Hauptgebäude am Bahnhof Zoo.

Vor dem Interview mit dem Autor, Berater und Internetexperten Sascha Lobo, 38, herrscht Verwirrung. »Haben Sie ein Pferd bestellt?«, fragt der Pförtner. Leider nein. Die Frau im Café weiß aber Bescheid: »Ah, du bist hier, um mit dem Sascha zu sprechen!« Lobo gehört an seiner alten Uni immer noch zum Inventar. Eigentlich kein Wunder, bei der Studiendauer …

 
Manche Leute halten Sascha Lobo für einen Künstlernamen. Stimmt das?

Nein, der Name ist echt, ich habe ihn von meinem argentinischen Vater. Was lustig ist, weil ich erst neulich merkte: Ich habe ja einen Migrationshintergrund! Mein Vater ist mit 30 Jahren nach Berlin gekommen und hat erst hier die deutsche Sprache gelernt.
 
Hat Sie das als Kind geprägt?

Mein Vater und meine Mutter kommen aus unterschiedlichen Welten. Deshalb musste ich schon früh ein Übersetzer zwischen den Kulturen sein. Das bin ich heute noch, bloß dass ich nicht mehr zwischen Argentinien und Deutschland vermittle, sondern zwischen der analogen und der digitalen Welt.
 
In Ihren Büchern und Vorträgen erklären Sie den digitalen Wandel. Sie sind so etwas wie der Klassensprecher des Internets. Dafür werden Sie auch verspottet. Fühlen Sie sich als Außenseiter?

Ach, man sollte das nicht überschätzen. Eine Außenperspektive hilft, Dinge zu hinterfragen, die andere für normal halten. In dem Moment, in dem man etwas selbstverständlich findet, baut man bewusst oder unbewusst Anpassungsdruck auf. Man beginnt, andere auszugrenzen. Mein Aussehen spielt damit.
 
Wie meinen Sie das?

Sascha Lobo, Foto: © Reto Klar

Sascha Lobo, Foto: © Reto Klar

Was ist akzeptiert, und was ist lächerlich? Das will ich mit meinem Anzug und meinem Iro aufbrechen. Ich bin aber kein Außenseiter und kein Revoluzzer, sondern der für das Establishment angenehmstmögliche Außenseiterdarsteller.

Ich habe meine Vermittlungs- und Darstellungskompetenz und spiele eine Rolle: Ich bin derjenige, der gerade noch reinpasst und die Welt da draußen erklärt.
 
Und wie das geht, haben Sie hier an der UdK im Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation gelernt?

Das Studium war ein Hort der strukturierten Ineffizienz. Einige Dozenten konnten was, aber in den Seminaren habe ich nur die Theorien der Kommunikation gelernt – und die Bedienung von Geräten aus den frühen 1970er Jahren. Aber die Atmosphäre und die Leute hier, die waren entscheidend.
 
Inwiefern?

Die Uni war ein Trainingscamp für Selbstdarsteller. Ich meine das gar nicht abfällig. Es gab einen Wettbewerb der Selbstinszenierung. Oft ironisch gebrochen, sonst ist so was ja kaum zu ertragen. Anderswo bekam man auf die Fresse, wenn man sich auf die Bühne stellte und laut wurde – hier gehörte es dazu.
 
Wie lange waren Sie Student?

Eingeschrieben habe ich mich 1998. Mein Diplom habe ich im letzten Februar abgeholt.
 
Sie haben also 15 Jahre studiert …

Nur 15? Shit! Ich rechne immer in Semestern, deshalb kam mir das länger vor. Ich habe aber schon vorher, ab Sommer 1995, an anderen Unis studiert, Publizistik und Biotechnologie.
 
Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie Sie mit weißem Kittel im Labor stehen. Was hat Sie an der Biotechnologie gereizt?

Ich interessierte mich schon immer für Sprache und für Technik. Deutsch und Physik waren meine Leistungskurse. Jemand, den ich wahnsinnig cool fand, studierte Publizistik, deshalb habe ich das auch gemacht, merkte aber schnell, dass mir da fachlich was fehlt.

Also bin ich an die TU gegangen und sah eine Tür, an der Biotechnologie stand. Ich dachte: geil. Das klang nach Cyborgs, also nach der Verbindung von Mensch und Maschine.
 
Sie haben gewechselt, weil Biotechnologie besser klingt als Publizistik?

Ja, und ich habe Vorlesungen besucht wie Mathematik für Ingenieure und Anorganische Chemie. Da merkte ich, dass man mit Biotechnologie keine Cyborgs baut, sondern irgendwelche Pilze züchtet.
 
Wie haben Sie im dritten Anlauf das Studienfach gefunden, das zu Ihnen passte?

Ein Freund studierte Kommunikation an der Universität der Künste. Bei ihm hatte ich das Gefühl: Der spielt auf der Klaviatur der Gesellschaft. Das wollte ich auch können.
 
Holm Friebe und Sie haben 2006 das Buch »Wir nennen es Arbeit« veröffentlicht. Seitdem sind Sie ein gefragter Berater, schreiben eine Kolumne und fast jedes Jahr ein Buch. Wieso haben Sie überhaupt noch einen Abschluss gemacht?

Ich habe mich in den letzten Jahren dafür geschämt, dass ich das Studium noch nicht ordentlich zu Ende gebracht hatte. Dinge nicht fertig zu machen ist ein wunder Punkt bei mir. Auch weil dieses Fach genau meins war.
 
Wie nennen Sie eigentlich den Beruf, den Sie heute ausüben? Autor? Berater?

Ach, das ist eine eigene Kategorie, nämlich: Selbstbeauftragung. Ich gebe mir Aufträge zur Verbesserung der Gesellschaft, die auch die Verbesserung meiner Position bedeuten. Anfangs habe ich zu wenig auf Geld geachtet.
 
Christian Ulmen hat Sie in seiner Figur des Uwe Wöllner mal dazu bewegen können, Ihr Einkommen zu verraten: 15 000 Euro im Monat. Klingt nicht nach wenig Geld.

Die Zahl ist falsch, ich möchte aber nicht sagen, in welche Richtung. Dass ich nicht nur auf der Klaviatur der Gesellschaft spielen möchte, sondern dazu auch Geld brauche, habe ich erst ziemlich spät begriffen. Bis ich etwa 26 Jahre alt war, fand ich das egoistisch.
 
Nützt Ihnen heute Ihr Studium der Biotechnologie? Zum Beispiel, weil Sie einen besonderen Zugang zur Technik haben?

Nein, null. Für eine Klausur musste ich lernen, wie man die Festigkeit von Zahnrädern berechnet – das habe ich danach sofort wieder vergessen. Geholfen hat mit aber der Umgang mit Menschen, die eine nerdhafte Ingenieurdenkweise verinnerlicht hatten. Mit denen musste ich so kommunizieren, dass wir zumindest ungefähr verstehen konnten, was der jeweils andere gerade von einem wollte. Ich glaube, dass heute ein Riss durch die Gesellschaft geht: Zwischen den Nerds und allen anderen. Vermittlungsarbeit ist notwendig.
 
Haben Sie dafür ein Beispiel?

Nehmen wir Facebook, das von den Massen genutzt, aber von Nerds gebaut wird. Man muss Mark Zuckerberg zugestehen, dass er ein soziales Genie ist, weil er ahnt, was viele Menschen wollen. Trotzdem wird die digitale Gesellschaft stark von Menschen geformt, die mit dem Begriff »Gesellschaft« wenig anfangen können, weil sie sehr technisch denken.
 
Liegt an dem Riss zwischen den Nerds und allen anderen auch die Gleichgültigkeit gegenüber staatlicher Überwachung?

Nein, der fehlende Aufschrei nach der Überwachungsaffäre liegt am fehlenden Abstraktionsvermögen vieler Menschen. Die NSA spioniert mich aus, aber trotzdem kann ich entspannt ein Bier trinken gehen. Es braucht sehr lange, etwas, das unsichtbar und scheinbar folgenlos ist, als Bedrohung zu begreifen.
 
Wenn Sie ein 17-Jähriger fragt: Soll ich vier Jahre lang an die Uni gehen und dort Sachen lernen, die ich nie wieder brauche, oder soll ich lieber ins Internet, weil das die Zukunft ist, was würden Sie dem sagen?

Ich sage: Geh an die Uni und mach einen Abschluss. Zum einen, weil man da Leute kennenlernt, die einem guttun könnten. Zum anderen, weil in Deutschland ein Abschluss das Maß aller Dinge ist. Das mag ärgerlich sein, ist aber so. Und selbst der deppenhafteste Abschluss sagt etwas aus: Wer ein Studium abgeschlossen hat, beweist damit die Beharrlichkeit, auch bescheuerte Dinge zu Ende bringen zu können. Da sind viele Unis in ihrer Bescheuertheit eine gute Schule, die mehr Realität vermittelt, als einem lieb ist. Beklopptes zu Ende machen zu können, beschreibt viele Berufsanforderungen ganz gut.

 
Das Interview erschien zuerst in der Serie ZEIT Campus: In der Mensa mit …

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