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Weniger Staat im ZDF-Fernsehrat

von , 6.11.13

Umgedreht wurde er gestern Morgen in der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Sie sollte ergeben, ob die Kontrollgremien des ZDF noch dem Gebot der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks genügen. Und was den acht Richterinnen und Richtern oben auf der Bank da mit einem Mal alles entgegengekrabbelt kam, war teilweise schon ziemlich spektakulär.

Offiziell läuft es so, dass das ZDF von einem Intendanten geleitet wird, der mit seinen Direktorinnen und Direktoren alleine bestimmt, was gesendet wird und was nicht. Kontrolliert werden er und sein Haus durch einen 14-köpfigen Verwaltungsrat, der ähnlich wie ein Aufsichtsrat über Finanzen und Investitionen wacht, und einen 77-köpfigen Fernsehrat, der Programmrichtlinien aufstellt und ihre Einhaltung kontrolliert. Besetzt sind sie teils mit Politikern, teils mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen und Verbände.

 

Wie arbeiten die Rundfunkgremien?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll dafür sorgen, dass die Deutschen sich eine unmanipulierte Meinung bilden können, welche Politiker sie wählen wollen und wen nicht – eine Funktion, die, wie wir seit einem halben Jahrhundert dank Karlsruhe wissen, für das Funktionieren der Demokratie schlechthin konstitutiv ist. Jeder weiß aber, oder glaubt zumindest zu wissen, dass sich die Kontrollgremien des ZDF fest in der Hand eben jener Politiker befinden, über deren Tun und Lassen dasselbe in Erfüllung seines Auftrags jeden Tag berichtet.

Stimmt das überhaupt? Das zu klären, war Gegenstand des ersten Teils der heutigen Verhandlung. Zunächst interessierte sich der Senat dafür, wie diese Gremien eigentlich arbeiten. Die ZDF-Vertreter um Intendant Thomas Bellut und die anwesenden Mitglieder des Fernsehrates zeichneten unisono ein Bild, das Richterin Susanne Baer hinterher mit schneidendem Sarkasmus als „idyllisch“ bezeichnete: Der Fernsehrat sei vor allem ein Ratgeber für den Intendanten, diskutiere völlig offen und ungezwungen, nehme nie im Voraus auf Programmentscheidungen Einfluss, sondern tue seine Meinung allenfalls hinterher als zarte Kritik kund, und auch das fast immer im Konsens über alle Parteilinien hinweg.

Im Prinzip gelte auch nichts anderes für die ominösen „Freundeskreise“. So nennen sich die beiden Quasi-Fraktionen – die eine konservativ, die andere sozialdemokratisch-gewerkschaftlich -, in denen offenbar alle wichtigen Entscheidungen fallen. Die jeweiligen Mitglieder treffen sich am Vorabend der Sitzungen im informellen Kreis und diskutieren aus, was es zum Ausdiskutieren gibt. Grundsätzlich, so hieß es, könne da jeder rein, es werde auch gelegentlich vom einen zum anderen gewechselt. Die Diskussionen seien völlig offen, von politischen Marschbefehlen könne keine Rede sein, und niemand werde „vergewaltigt“ (Ex-Beamtenbund-Chef Peter Heesen), wenn man hinterher im Fernsehrat anders abstimme, als im Freundeskreis besprochen.

Das klang so leutselig und heiter, was die verschiedenen anwesenden Herren (nicht eine Dame darunter) aus ihrem oft jahrzehntelangen Leben als Fernsehratsmitglieder vortrugen, dass einem ganz warm ums Herz wurde. Was hatten sie gelacht, als plötzlich Rainer Brüderle vom SPD-Freundeskreis zu den Konservativen ging, weil er nicht mehr in Mainz einem sozialliberalen, sondern in Berlin einem schwarz-gelben Kabinett angehörte, berichtete ein Funktionär des Landkreistags.

Ich fand das völlig glaubwürdig. Das ist ein gut geölter oder – um den sächsischen Staatskanzleichef und Koordinator der CDU-Medienpolitiker Johannes Beermann zu zitieren – „fein austarierter“ Apparat, in dem ein Elite-Netzwerk mächtiger Männer sich selbst reproduziert und dafür sorgt, dass im Rundfunk niemand an entscheidende Positionen kommt, der sich nicht zuvor mit diesem Netzwerk gutgestellt hat.

 

Getrübte Idylle

Risse fügte diesem idyllischen Bild die Linken-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch zu, die berichtete, dass sie jedenfalls bei keinem Freundeskreis Anschluss gefunden habe. Dieter Dörr, Prozessvertreter der Linken- und der Grünen-Bundestagsfraktion, beschränkte sich darauf, aus der 2012 erschienenen Biographie des langjährigen ZDF-Intendanten Dieter Stolte vorzulesen, in welcher dieser schildert, dass die Freundeskreise vor allem dazu da sind, den Intendanten bzw. seinen Stellvertreter (der eine geht zu den Konservativen, der andere zu den Nicht-Konservativen) „einzunorden“.

Richtig trübe wurde es, als die Rede auf die Auswahl der Fernsehratsmitglieder kam. Auf die Frage des Richters Geyer, wer denn etwa die Belange der Muslime oder der Migranten im Fernsehrat vertrete, kam nur die Antwort, eine tüchtige Verdi-Vertreterin habe sich als Fürsprecherin der Minderheiten immer sehr hervorgetan.

Noch peinlicher war der Moment, als Masing fragte, nach welchen Kriterien denn die 16 Fernsehratsmitglieder ausgewählt werden, die für gesellschaftliche Vielfalt jenseits der etablierten Verbände sorgen sollen: Offenbar hat seit Jahrzehnten niemand mehr darüber nachgedacht. Es habe mal eine solche Zuordnung zu bestimmten gesellschaftlichen Belangen gegeben, sagte Beermann, aber nur für 12 der 16 – das sei nämlich vor der Wiedervereinigung gewesen.

Auch die 25 Mitglieder, die die im Staatsvertrag festgelegten gesellschaftlichen Verbände vertreten, werden auf eine Weise ausgewählt, die auf der Richterbank die Stirnen zum Runzeln brachte: Die Verbände schlagen drei Leute vor, die Ministerpräsidenten wählen daraus einen aus – aber, so wurde versichert, im Grunde werde immer der Erstplatzierte genommen. Wozu dann das Ganze, fragte Richterin Britz, ohne darauf eine befriedigende Antwort zu erhalten.

Was folgt aus diesem Befund? Das wird der Nachmittag erweisen, an dem es um die Rechtsfragen gehen wird. Deutlich wurde auch jetzt schon, dass der Senat darüber nachdenkt, die Anforderungen an die Vorgaben, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Gremien macht, hochzuschrauben, und vor allem den Gesichtspunkt der Vielfaltsicherung stark zu machen. Vor allem Masing ließ erkennen, dass ihn beschäftigt, ob man den Einfluss der Staatsvertreter mit einer Quote in den Griff bekommen könnte. Dazu später mehr.
 

Television, Foto: santinet, CC BY-ND

Television, Foto: santinet, CC BY-ND

 
Dass der ZDF-Staatsvertrag aus diesem Verfahren unversehrt hervorgehen wird, glaubt nach dieser Verhandlung wohl niemand mehr. Am Vormittag hatte es sich angedeutet, am Nachmittag wurde es quasi Gewissheit: Das Bundesverfassungsgericht wird seinen 13 Rundfunkurteilen ein vierzehntes hinzufügen, das die Staatskanzleien zurück an den Verhandlungstisch schicken wird. Selbst Christian von Coelln, der Prozessvertreter eines halben Dutzend unionsregierter Bundesländer, bekannte zur Erheiterung des Publikums, eine Bestätigung des bestehenden Staatsvertrags wäre nach dem Verlauf der Verhandlung ein „komisches Ergebnis“.

 

Irgendwie zuständig

Kurz zur Erinnerung: Es geht um die Frage, ob der in diesem Staatsvertrag niedergelegte Rechtsrahmen für die Aufsichtsgremien des Zweiten Deutschen Fernsehens dem Gebot des Grundgesetzes genügt, dass der Rundfunk der Gesellschaft in all ihrer Vielfalt zu gehören hat und nicht dem Staat. Am Vormittag ließ sich der Erste Senat erklären, wie der Fernseh- und der Verwaltungsrat und seine Ausschüsse tatsächlich arbeiten, und wie ihre Mitglieder zu ihren Posten kommen. Am Nachmittag ging es um die Frage, ob diese Praxis verfassungswidrig ist und, wenn ja, wie man sie verfassungsmäßig machen könnte.

Relativ klar scheint zu sein, dass die Art, wie die so genannte „R-Gruppe“ unter den Gremienmitgliedern berufen wird, nicht so bleiben kann. Dabei handelt es sich um die 16 Posten, die die Ministerpräsidenten mehr oder minder nach Gusto besetzen können. Nominell sollen sie gesellschaftliche Interessen abdecken, die nicht verbandsmäßig organisiert sind und daher nicht von den im Staatsvertrag (unter den Buchstaben G bis Q, deshalb R-Gruppe) ausdrücklich genannten Verbänden abgedeckt werden.

Tatsächlich sitzen da offenbar alle möglichen Leute, darunter fünf Parlaments- und Regierungsmitglieder. Der sächsische Staatskanzleichef und Ober-Medienpolitiker der CDU, Johannes Beermann, bemühte sich noch, plausibel zu machen, dass der FDP-Politiker Zastrow doch im Zivilberuf eine Agentur besitze und daher irgendwie auch für die gesellschaftlichen Belange von Kunst und Kultur eintrete, aber das schien niemandem einzuleuchten, umso weniger, als offenbar auch mal ein veritabler Staatskanzleichef als angeblicher Interessenvertreter des Verbraucherschutzes im Fernsehrat Platz nahm.

 

Gruppenpluralismus und Vielfaltssicherung

Eine große Rolle spielte auch die Frage, ob man den Zugriff des Staates auf das ZDF dadurch begrenzen könne, dass man die Zahl der „staatsnahen“ Fernsehräte quotiert. Der Senatsvorsitzende Kirchhof machte klar, dass es nicht damit getan sein kann, dass man nur dem Extremfall eines total staatsdominierten Fernsehens vorbeugt, sondern dass das Grundgesetz Staatsferne befiehlt: Jeder unmittelbare oder mittelbare Einfluss des Staates auf das, was über den Sender geht, ist erst einmal von Übel.

Gernot Lehr, der Prozessvertreter des ZDF, machte dem Senat allerhand Angebote, hinter denen aber teilweise die Stimme seines Herrn, ZDF-Intendant Thomas Bellut, allzu deutlich zu vernehmen war: Lehr stellte den Intendanten als den wahren Hüter der Staatsferne dar und fand deshalb vor allem die Tatsache skandalös, dass dessen Personalentscheidungen, was Direktoren und Chefredakteur betrifft, in den Gremien einer 3/5-Mehrheit bedürfen und somit die Politik, wenn ihr eine Personalie nicht passt, dieselbe blockieren könne.

Dass der Intendant selber mit 3/5-Mehrheit gewählt werden muss, fand er dagegen nicht nur in Ordnung, sondern sogar als Bollwerk gegen politische Einflussnahme höchst empfehlenswert. Das leuchtete Richterin Britz nicht ein: Ob er damit nicht die „Ratio des ZDF-Staatsvertrags“ überspiele, nämlich die Aufgabe, für Staatsferne zu sorgen, in die Hände der die Gesellschaft in ihrer Breite repräsentierenden Gremien zu legen?

Interessant wird sein, wie weit der Senat das fünf Jahrzehnte alte Konzept der Staatsferne weiterentwickelt. Richter Masing schien sich für Staatsferne als Staatsferne gar nicht so sehr zu interessieren und sprach lieber von Gruppenpluralismus, Vielfaltssicherung und Transparenz. Tatsächlich scheint mir der alte Antagonismus zwischen Staat und Gesellschaft hier gar nicht mehr den Punkt zu treffen. Die zwölf Parteienvertreter im Fernsehrat wären aus dieser Perspektive ja streng genommen gerade keine Staats-, sondern Gesellschaftsvertreter.

 

Missbehagen

Es geht hier – zumal in diesen Zeiten einer sich abzeichnenden Riesengroßen Koalition – darum, zu verhindern, dass sich die miteinander auf das Komplexeste wechselseitig verflochtenen Inhaber politischer Macht in den Gremien der Rundfunkanstalten gemütlich machen und alle nicht Dazugehörigen ganz handfest und buchstäblich in die Marginalisierung drängen. Das betrifft, wie Masing deutlich machte, auch die Parteien: Grüne und Linke, die in den nächsten vier Jahren wohl alleine für Opposition im Bund sorgen müssen, sind unter den 77 Fernsehratsmitgliedern mit genau zwei Leuten vertreten.

Vor diesem Hintergrund rückten auch die informellen Zirkel in den Mittelpunkt des Verfahrens, die im Fernsehrat der eigentliche Ort des Geschehens sind – die „Freundeskreise“. Richter Paulus sprach von einem „Duopol“: Es gehe hier ja schließlich um Vielfalt, und wenn durch die gegenwärtige Struktur der ZDF-Aufsicht erst mal alles in CDU-nah und SPD-nah sortiert werde, dann sei das vielleicht Zweifalt, aber eben keine Vielfalt. ZDF-Vertreter Lehr unternahm den schwachen Versuch, dagegen zu halten, dass die Freundeskreise in der ZDF-Verfassung „doch gar nicht angelegt“ seien. Da lachte der ganze Saal, und Richter Paulus sagte: „Voilà!“

Niemand ist so naiv, zu glauben, dass Karlsruhe informellen Absprachen und Hinterzimmerzirkeln effektiv ein Ende bereiten kann oder auch nur will. (Schließlich sind die Richterinnen und Richter auf kaum weniger intransparente Weise zu ihren Ämtern gekommen.) Ich bin gespannt, welche Formulierung der Senat wählen wird, um die Diskussion und die Entscheidungsmacht wieder in die formellen Gremien zurückzuholen, und mit welchem Erfolg.

Zuletzt ließ der Senat noch erkennen, dass ihm die Intransparenz, mit der die Gremien arbeiten, überhaupt nicht gefällt. Masing wurde geradezu sarkastisch, als er schilderte, welche Hürden man überspringen muss, um auch nur die Sitzungsniederschriften des Fernsehrates einsehen zu können. Der sächsische Staatskanzleichef Beermann klang geradezu resigniert, als er daran erinnerte, dass eine Live-Übertragung der Gremiensitzungen „nicht der Bringer“ wäre (als ob das der Punkt wäre – überhaupt hat Beermann mich mehr als einmal scharf einatmen lassen vor Peinlichkeit, etwa als er Masing daran erinnerte, dass das Grundgesetz nicht von „Bundesländern“, sondern von „Ländern“ spricht). Das Argument, dass man mit der Öffentlichkeit im Saal nicht so gut arbeiten kann, schien mir ebenfalls auf nicht allzu viel Resonanz zu stoßen.

 

Fazit

Wie immer der Senat und nach ihm der Staatsvertrags-Gesetzgeber die Technizitäten der Gremienausgestaltung löst – im ZDF-Fernsehrat wird es künftig wohl deutlich weniger behaglich, dafür aber vielfältiger und transparenter zugehen als bisher. Ob es wirklich gelingt, dafür zu sorgen, dass nie wieder ein Roland Koch einen Nikolaus Brender verhindern kann, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt.

 
Disclosure: Ich arbeite als Journalist regelmäßig für den Deutschlandfunk, der mutatis mutandis von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Verfahren ebenfalls betroffen wäre. (Zusammenfassung zweier Artikel vom Verfassungsblog.)

 

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