#Aktien

Die merkwürdige Welt der Spekulationsblasen

von , 4.11.13

So kann man auf Spiegel Online lesen: „Gefährlicher Hype um die 9000“ und „Wer jetzt noch investieren will, muss extrem vorsichtig sein“. Es wird daran erinnert, dass der DAX vor 13 Jahren nach einem markanten Höchststand von 8.000 mit einem Verlust von mehr als zwei Dritteln auf dreijährige Talfahrt ging.

Kommt dies jetzt wieder, weil wir uns in einer Phase irrationalen Überschwangs befinden? Kaufen von blinder Gier und billiger Notenbank-Liquidität getriebene Anleger wahllos Aktien?

Leider vergisst man, dass der DAX eine Berechnungsmethodik hat, aufgrund derer die Wertentwicklung massiv überzeichnet wird. Er ist ein Performanceindex, der unter Einbeziehung aller Dividenden, Bezugsrechtserlöse etc. berechnet wird. Wird der DAX wie seine internationalen Kollegen S&P500, CAC40 oder FTSE100 als Kursindex berechnet, sind wir von den alten Rekordständen noch weit entfernt. Genauer gesagt müsste der DAX-Kursindex noch um 32% steigen, um seinen Rekord von 2000 wieder zu erreichen.
 

DAX-Kurs im Oktober 2013

DAX-Kurs im Oktober 2013

 
Weiterhin müsste man für einen fairen Vergleich mit alten Höchstständen Wertverluste durch Steuern und Inflation mit einbeziehen, die für Anleger ja reale Einbußen bedeuten. Würde man diese mit einrechnen, müsste der DAX übrigens noch auf über 11.000 steigen, um den alten Rekordstand von 2000 (8061) nicht nur nominal, sondern auch real wieder zu übertreffen. Die gemeldeten DAX-Rekorde wie die unlängst erzielten 9.000 sind also mehr eine optische Täuschung als echte Höchststände.

Ob man sich in einer Spekulationsblase befindet, wird aber nicht vom Vergleich mit historischen Kursmarken, sondern vor allem dadurch bestimmt, wie die Erwartungen über die zukünftige Entwicklung zustande kommen. Treibt blinde Gier die Kurse, oder ein begründbares Ertragskalkül?

Hierüber gibt die Bewertung Aufschluss. Spekulationsblasen an Kapitalmärkten (d.h., an den Märkten für Aktien, Renten und Immobilien) sind immer dadurch gekennzeichnet gewesen, dass die Bewertungen nach herkömmlichen Kriterien absurd hoch waren.

Ein mögliches Kriterium ist das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV), das die Bewertung in Relation zum Substanzwert setzt. Hier hat der DAX derzeit 1,7 und ist etwas oberhalb historischer Durchschnittswerte. Damit erscheint er nicht mehr billig, ist aber noch eindeutig von Bewertungen zu bisherigen Höchstständen wie 2000 (KBV ca. 4) oder 2007 (KBV ca. 2) entfernt.

Ein weiterer allgemein gebräuchlicher Indikator für die Bewertung ist das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Dieses liegt im Moment in Deutschland mit ca. 15 für den Gesamtmarkt in einem tendenziell mittleren Bereich, denn historisch gesehen schwankte die Bewertung des DAX zwischen KGVs von 10 und 20.

Im Jahr 2000, während der Internetspekulationsblase, war man beim KGV weit über 20, bei Wachstumsaktien schienen Anleger echte Gewinne gar nicht mehr zu beachten. Damals war dies ein klares Signal für eine Spekulationsblase. Auch mit einem KGV von 15 ist man heutzutage nicht mehr günstig. Das kann man angesichts der weltwirtschaftlichen Unsicherheiten durchaus als ambitioniert betrachten. Doch egal, ob man deutsche Aktien derzeit nun für fair bewertet hält oder nicht, eines sind sie momentan definitiv nicht: spekulativ überhitzt.

Für den Rentenmarkt kann man übrigens auch ein KGV berechnen, indem man den Kehrwert der Rendite der 10-Jahres-Bundesanleihe nimmt. Derzeit beträgt diese 1,74%, woraus sich ein Rentenmarkt-KGV von 57 ergibt. Hält man sich zudem vor Augen, dass diese Rendite klar unterhalb der Inflationsrate liegt, sieht dies schon sehr viel eher nach einer absurd hohen Bewertung und damit nach einer Spekulationsblase aus.

Bei Sparbüchern mit einem Zins von 0,5% p.a. läge das KGV übrigens bei 200. Hiermit verliert man real nach Inflation und Steuern nicht nur vielleicht, sondern relativ sicher jährlich 1%-2% an Wert. Angesichts dieser Bewertung wäre es angemessener, von einer Spekulationsblase bei Sparbüchern zu sprechen. Allerdings ist diese nicht mit Gier, sondern mit übertriebener Angst begründet.

Für den Immobilienmarkt gibt es kein KGV. Wenn allerdings in Spitzenlagen derzeit schon über 10.000 Euro pro Quadratmeter gezahlt werden, würde zumindest ich dies als starkes Indiz für eine spekulative Überhitzung ansehen.

Vergleicht man also Aktien mit anderen Kapitalanlagen, so muss man festhalten, dass Aktien anscheinend die einzigen Investments sind, die gegenwärtig noch einigermaßen „normal“ bewertet sind. Und Spekulationsblasen sind auch nie ein Monopol der Aktienmärkte gewesen, ganz im Gegenteil.

Insbesondere relativ harmlos wirken spekulative Exzesse am Aktienmarkt, wenn man sie mit dem vergleicht, was in vielen Immobilienmärkten in der Vergangenheit passiert ist. Die jüngsten Dramen in Spanien, Irland und USA seien nur als abschreckende Beispiele genannt. Deutschland hat in den 90er-Jahren leidvolle Erfahrungen mit Spekulationen in Ost-Immobilien gemacht. Besonders deswegen ist die derzeitige selbstverständliche Verknüpfung der Begriffe Aktien und Spekulationsblase schon sehr verwunderlich.

Laut Robert Shiller sind Spekulationsblasen dadurch gekennzeichnet, das (fast) keiner merkt, wenn sie da sind. Die gegenwärtige Diskussion über die Irrationalität der Aktienmärkte in Verbindung mit der allgemeinen Ignoranz gegenüber Bewertungen für andere Investments deutet für mich eigentlich nur auf eines hin: Wenn überhaupt, haben wir derzeit Spekulationsblasen bei Sparbüchern, am Renten- oder am Immobilienmarkt, aber nicht am Aktienmarkt.

Der derzeitige Aufschwung bei Aktien hat demnach auch weniger mit lockerer Geldpolitik oder sensationellen Perspektiven für deutsche Unternehmen zu tun, als mit dem Umstand, dass die Alternativen zur Aktie völlig überzockt sind.

Vielleicht entsteht aus dieser Kursbewegung irgendwann mal eine Spekulationsblase. Bis dahin muss der DAX aber noch sehr lange sehr weit steigen.

 
Aktualisierte Fassung eines Beitrags auf Blicklog

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