Kurz vor der „Notfall“-Enteignung: Eine Begegnung mit dem unscheinbaren Mr. Flowers

von , 18.3.09


Es gibt Begegnungen, die man erlebt haben muss: So zum Beispiel im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 16. März 2009. Laut Tagesordnung ging es um den „Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes“, kurz: Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz (FMStErgG). Dahinter verbirgt sich, was einmal als die Wasserscheide der Finanzkrise (und des Versuchs, sie politisch einzudämmen), in die Geschichtsbücher eingehen könnte: nämlich die erklärte Absicht der Bundesregierung, unser Wirtschaftsrecht um die Option der Enteignung zu erweitern.

Die Bühne, auf der diese Auseinandersetzung im Rahmen einer öffentlichen Anhörung ausgetragen wurde, hätte imposanter nicht sein können: Der Ausschusssitzungssaal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestages besticht durch die atemberaubende Höhe seiner Decke ebenso wie durch die zur Spreeseite gewandte Vollverglasung. Auf der Gästetribüne gibt es nur noch Stehplätze. Parterre, im Halbrund versammelt, die Finanzpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen mit ihren Obleuten und Arbeitsgruppenmitgliedern. Ihnen gegenüber, als Sachverständige angekündigt, all diejenigen, die vor lauter Krisensitzungen zur Rettung der maroden Hypo Real Estate (HRE) kaum noch in den Schlaf kommen dürften: Bundesbankpräsident Axel Weber, Soffin-Chef Hannes Rehm samt seines Vorgängers, Günter Merl, Jochen Sanio, der die Bafin leitet, ebenso wie die Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und Beatrice Weder di Mauro.

Bei soviel geballter Kompetenz blieb für den eigentlichen Hauptakteur nur noch ein Stuhl in der zweiten Reihe: J. Christopher Flowers. Er ist es, der zwischen der Bundesregierung und dem „E-Wort“ (das am Montag keiner in den Mund nehmen wollte) steht; er ist es, der allein an seinem HRE-Engagement (hinzu kommt die desaströse Entwicklung der HSH-Nordbank, an der Flowers ebenfalls beteiligt ist) nicht weniger als eine Milliarde Euro verloren hat; und er scheint irgendwie auch der einzige (wiewohl fast keinem Klischee entsprechende) global agierende Banker zu sein, dessen man im Rahmen eines parlamentarischen Verfahrens habhaft werden konnte. Entsprechend grell ist das Blitzlichtgewitter, als Flowers, dieser hagere, unscheinbare Mann, eingeflogen aus New York, die Arena am Spreebogen betritt: Begegnungen, die man erlebt haben muss.

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Investor J. Christopher Flowers: "Da kennen wir uns besser aus." (Foto: ddp)

Flowers spult den Termin mit einer Emotionslosigkeit ab, die fast schon irritierend ist: Der einst jüngste Partner der Investmentbank Goldman Sachs, der durch den Turnaround einer japanischen Bank zu Ruhm und Kleingeld gekommen ist, beruft sich auf seine Rechte als Aktionär ebenso wie auf seine Kompetenz: „Die HRE hat Investments in Florida. Da kennen wir uns besser aus“, bietet er dem Staat seine Hilfe und Expertise an. Und fügt hinzu, dass die Annahme falsch sei, eine 100 Prozent-Verstaatlichung verhelfe der HRE zu besseren Refinanzierungskonditionen. „Dann müssten Fortis und Northern Rock doch auch geringere Zinsen zahlen. Das Gegenteil ist der Fall“.

Die Abgeordneten, aber insbesondere die Sachverständigen sehen den Fall anders: Für Hannes Rehm, der zuletzt die NORD/LB geleitet hat, ist die HRE von „überragender systemischer Bedeutung“. Die Rettung des Instituts dürfe „durch dritte Aktionäre nicht gestört werden“. Bundesbankchef Weber sinniert, dass der „Nettounternehmenswert“ der HRE bereits „unter Null“ liegen könne – klarer hätte man Flowers’ Ansprüche auf 3 Euro pro Aktie nicht abweisen können. Noch düsterer bemalt Jochen Sanio von der Bafin den Horizont: Ende März, also in zwei Wochen, müsse die HRE ihre Bilanz vorlegen. Es könne so kommen, dass die Verluste der Bank „nicht neutralisierbar“ seien. Dann schlage „die Minute der Bafin“, so deren Präsident nicht ohne Sinn fürs Dramatische: Seine Behörde müsse dann über die HRE ein Moratorium verhängen – als Vorstufe zur Liquidation.

Das sass. Volltreffer. Wer bis hierhin nicht kapieren wollte, worum es ging, der hatte nunmehr verstanden. Die „Kernschmelze“ stand förmlich im Sitzungsraum des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Denn jeder hatte am Morgen in den Zeitungen gelesen, was alles dranhängt an der HRE. Von bis zu eintausend Milliarden Euro bedrohter Assets war da die Rede. Nun richteten sich alle Blicke auf die Abgeordneten.

Diese rangen von Frage zu Frage ums Grundsätzliche: Ist die von Wirtschaftsminister zu Guttenberg ins Spiel gebrachte „Restrukturierungsverwaltung“ als eine Art deutsches „Chapter Eleven“ eine kurzfristig realisierbare Alternative? Wie würde sich eine Enteignung auf Deutschlands Ruf als Investitionsstandort auswirken? Wie sinnvoll ist die Befristung des Gesetzes bis zum 30. Juni? Verraten wir die Marktwirtschaft, wenn wir der Verstaatlichung zustimmen? Oder schließen wir eine Gesetzeslücke, um so die Marktwirtschaft, wie Jörg-Otto Spiller von der SPD argumentierte, gerade aufrecht zu erhalten? Man wollte in diesen Stunden nicht wirklich tauschen mit unseren Volksvertretern: Auf ihnen lastet eine Entscheidung von Tragweite. „Wir sind hier nicht in einem Notfall-Gesetzgebungsverfahren“, stöhnt einer der Sachverständigen, nachdem alle Argumente ausgetauscht worden sind. Er könnte das Gegenteil gemeint haben.

Irgendwann, nach etwa zwei Stunden, verliert sich der Spannungsbogen. Während Flowers noch einmal für eine „recovery“ der HRE unter seiner Beteiligung wirbt („Das haben wir in Japan auch schon gemacht“), hat der Reuters-Reporter neben uns schon auf „Senden“ gedrückt. Draussen auf der Spree ziehen Vergnügungsdampfer tuckernd ihre Bahnen. Im Saal werden die ersten Bockwürste gereicht. Die Renten steigen, und Fed-Chef Bernanke sieht Licht am Ende des Konjunkturtunnels. Den Abgeordneten in Deutschland verbleiben derweil noch vier Tage. Am Freitag wird abgestimmt über das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz. Dass am Montag darüber ausgiebigst und in voller Transparenz diskutiert wurde, zählt nicht zu den schlechtesten Seiten unserer Demokratie.

Weitere Quellen: Die FTD über den Flowers-Auftritt.

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