#Euro

Wir zahlen doch für eure Krise!

von , 12.10.13

Am 5. Juli 2012 übergab der Sachverständigenrat ein Sondergutachten an die Bundesregierung. Es enthielt im Kern den Vorschlag, die europäische Finanzkrise dadurch zu lösen, dass die Euro-Staaten einen zeitlich befristeten, mit allerlei Bedingungen versehenen Schuldentilgungspakt beschließen. (Die Reformgruppe um EU-Ratschef Herman Van Rompuy und die EU-Kommission haben diese Idee weitgehend übernommen).

Der Schuldentilgungspakt als zentrale „Rettungsidee“ tauchte vier Wochen später auch in jenem Papier auf, das der Philosoph Jürgen Habermas, der Wirtschaftsweise Peter Bofinger und der Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Julian Nida-Rümelin, auf Anregung des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel verfasst haben – was einige Kritiker ganz richtig als Angebot für eine große Koalition nach der Bundestagswahl interpretierten.

Der Schuldentilgungs-Pakt, so der Sachverständigenrat in seinem Sondergutachten…
 

„basiert auf drei Säulen: einem Schuldentilgungsfonds, der eine temporäre und begrenzte Vergemeinschaftung von Schulden in Europa vorsieht, dem Fiskalpakt, der die nationale Finanzpolitik mit geeigneten Restriktionen dauerhaft auf Solidität ausrichten soll, und einer nach Abbau der Schulden im Tilgungsfonds einsetzenden Insolvenzordnung für Staaten. Die Zielsetzung dieses Vorschlags ist die Wiederherstellung der nationalen Verantwortung in der Finanzpolitik im Sinne der Nicht-Beistandsklausel des Lissabon-Vertrags.“

 
Man möchte also mit Hilfe der Vergemeinschaftung eines Teils der öffentlichen Schulden zur vertraglich erforderlichen Einzelverantwortung der Staaten zurückkehren!

Das ist der Kern jenes Zauberkunststücks, das der Sachverständigenrat im Juli 2012 präsentierte (und das die Bundesregierung prompt zu einer Ablehnung motivierte). Nun aber könnte die SPD das Finanzministerium übernehmen.

Die List des Vorschlags des Sachverständigenrats wurde damals von Habermas, Bofinger und Nida-Rümelin erkannt, aber als politisch überaus kluger Schachzug interpretiert:
 

„Der Charme des von der Bundesregierung abgelehnten Vorschlags des Sachverständigenrats zur Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds besteht gerade darin, dass er die Illusion fortgesetzter einzelstaatlicher Souveränität durch eine offen etablierte gemeinsame Verantwortung beendet.“

 

Die nächste Mehrwertsteuerlüge?

Beide Vorlagen – das Sachverständigengutachten und das SPD-Papier – müssen nun fusioniert werden. Und am Ende wird man den Bürgern die Rechnung präsentieren.

Schauen wir uns das damalige Gutachten also noch einmal genau an. Es sah vor, dass alle Schulden der Euro-Länder, die über die im Maastricht-Vertrag festgelegte Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, in einen Schuldentilgungsfonds mit gemeinschaftlicher Haftung ausgelagert werden. Bis 2018 soll dieser Fonds einen maximalen Wert von 2,6 Billionen Euro erreichen. Das hochverschuldete Italien stünde dann mit 952 Milliarden Euro in der Kreide, Frankreich mit 580 Milliarden und Deutschland mit 538 Milliarden.

Jeder Staat – und das ist der Clou des Vorschlags – bliebe für die Abzahlung der eigenen Schulden zuständig und allein verantwortlich! Vergemeinschaftet würden lediglich die im Gegenzug ausgegebenen Staatsanleihen, die vielgeschmähten Eurobonds. Diese Lösung würde im Ergebnis zu etwas höheren Zinsen für deutsche Anleihen und zu etwas niedrigeren Zinsen für italienische Anleihen führen. Leider wurde aber gerade dieser (vernünftige) Teil des Vorschlags in den Medien (und in Teilen der Bundesregierung) dramatisiert und empört zurückgewiesen. Der eigentliche Skandal steckt nämlich ganz woanders: in der Tilgung.

Getilgt werden sollen die ausgelagerten Schulden – von jedem Land separat – wie eine ganz normale Haushypothek. Das heißt, im Prinzip soll die Finanzkrise genau so gelöst werden, wie sie verursacht wurde: Menschen, die über sehr wenig Eigenmittel verfügen, sollen einen lang laufenden Kredit abzahlen.

Nach Meinung der Sachverständigen, aber auch nach Meinung der „SPD-Troika“ Habermas-Bofinger-NidaRümelin sollen die Schulden durch „eine Zweckbindung bestimmter Steuern“ getilgt werden.

An welche Steuern haben die Sachverständigen da wohl gedacht? An eine Steuer auf große Vermögen? An die Finanztransaktionssteuer? Weit gefehlt. Nein,
 

„die Tilgung der Staatsschulden soll durch einen 25-jährigen Solidaritätszuschlag auf die Mehrwertsteuer erfolgen.“

 
Die entscheidende Frage wird nun sein, ob die SPD diesem Ansinnen nachgibt oder ob sie andere Finanzierungs-Töpfe (Umwidmung des bisherigen Soli, Vermögenssteuer, Finanztransaktionssteuer) dafür findet. Zahlen werden die Bürger in jedem Fall.

 

Annahmen und Luftbuchungen

Damit das Tilgungs-Modell der Wirtschaftsweisen auch funktioniert, schlagen die Wissenschaftler eine ganze Latte von Bedingungen und Sanktionsmöglichkeiten vor: So müssen Staaten, die am Schuldentilgungsfonds teilnehmen wollen, eine Schuldenbremse nach deutschem Muster einführen. Außerdem will man klammen Staaten, die ihre Tilgungszahlungen aussetzen, hohe Strafzinsen aufbrummen (das machen die Banken bei säumigen Haushypotheken ja auch so).

Leider – und das gibt der Sachverständigenrat nur im Kleingedruckten zu – hängt der schöne Plan von vielen großzügigen „Annahmen (!) über die Refinanzierungskosten des Fonds sowie des künftigen Wirtschaftswachstums“ ab. Niemand kann z.B. seriös voraussagen, wie sich das Wirtschaftswachstum in den kommenden 25 Jahren entwickelt. Vom Wachstum aber hängt ab, ob die Staaten die Schulden-Obergrenze von 60 Prozent (die sie ja auch früher nicht eingehalten haben) mit Beginn der Tilgung plötzlich einhalten können. Einem Nackten kann man nicht in die Taschen greifen. Und wie glaubwürdig sind Sanktionsdrohungen, wenn von vornherein klar ist, dass man im Ernstfall unbegrenzte Rettungsaktionen durchführen muss?

Der Fonds, so die Gutachter weiter, könne auch Sparmaßnahmen (zum Einhalten der Schuldenbremse) von den nationalen Haushalten verlangen. Wie würde das aussehen? Steht dann hinter jedem Abgeordneten bei den Abstimmungen ein Kavallerie-Leutnant? Und was ist, wenn die Sparauflagen – wie in Griechenland – trotz aller Anstrengungen nicht zu den erhofften Ergebnissen führen?

In diesem Fall würde der Sachverständigenrat sein deutsches Rohrstöckchen herausziehen und den bösen Schuldenstaat übers Knie legen:
 

„Verstieße ein Land gegen die Vorgaben seiner Schuldenbremse, würde eine sofortige Strafzahlung an den Tilgungsfonds folgen.“

 
Das heißt übersetzt: Die fälligen Strafgebühren würden sofort wieder in einem neuen Schulden-Tilgungsfonds landen. Und so weiter und so fort.

 

Mehr Demokratie wagen = weniger Demokratie haben

Bleibt die politische Frage, wer die Tilgungszahlungen an den Fonds überhaupt beschließt, wer die Rückzahlung überwacht und wer die Strafmaßnahmen mit welcher Kavallerie durchsetzt? Etwa irgendein undurchsichtiges „Direktorium“ aus Bankern und anderen Finanzexperten – angesiedelt beim ESM? Exakt diese postdemokratische Lösung hat der Sachverständigenrat in seinem Gutachten vorgeschlagen: Ein vom Souverän nicht legitimiertes „Direktorium“ hätte freie Hand. Laut Gutachten müssten …
 

„…die Entscheidungsstrukturen im Schuldentilgungsfonds eine weitgehende Unabhängigkeit des Direktoriums gewährleisten. Dies lässt sich angesichts der Befristung dieser Institution demokratietheoretisch rechtfertigen (!) und würde nur temporär einen gewissen Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten bedeuten.“

 
Was hatte noch der greise Jürgen Habermas in der FAZ gefordert? Eine „Selbstermächtigung des europäischen Souveräns“? In der Praxis sähe die europäische Souveränität auf nationaler Ebene wohl so aus: 25 Jahre lang weniger Demokratie – und wahrscheinlich ein Extra-Soli auf Milch und Brot für die Tilgung der von den Großbanken verursachten Schulden.
 

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.