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Cool bleiben nach der Bundestagswahl: Die Fünf-Prozent-Hürde muss bleiben

von , 25.9.13

Davor möchte ich eindringlich warnen, auch wenn in Folge des aktuellen Wahlergebnisses fast 7 Mio. Wahlstimmen keine Vertretung im Bundestag erfahren.

Für eine Reform des Wahlrechts plädieren u. a. Stefan Niggemeier, Michael Schmalenstroer (sein Text auch auf Carta) und Andreas Grieß, weil sie eine große Zahl von Wählerstimmen nicht im Bundestag vertreten sehen: 15,7 % der Stimmen entfielen bei der jüngsten Wahl zum deutschen Bundestag auf Parteien, die unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben sind (darunter sehr spektakulär die FDP und die AfD).

Doch ist es wirklich so schlimm, wenn Parteien nicht in den Bundestag einziehen, obwohl sie relativ viele Stimmen auf sich vereinigen können und damit mehr oder weniger knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern?

Bei der Diskussion dieser Frage wird gerne auf die Zeit der Weimarer Republik verwiesen, doch das hilft meines Erachtens heute nicht viel weiter. Wesentlich ist ein ganz anderer Punkt: Mit dem Internet und der Digitalisierung der Medien stehen Bewegungen aller Art heute ganz andere Möglichkeiten der Anhänger-Mobilisierung zur Verfügung als noch vor wenigen Jahren.

Wer heute (oder künftig) eine Partei gründet und mit seiner Themenwahl auf Resonanz beim Publikum stösst, kann, wie die AfD, innerhalb relativ kurzer Zeit eine erhebliche Schlagkraft erreichen und diese bei Wahlen zur Probe stellen. In diesem Licht muss die Fünf-Prozent-Hürde heute gesehen werden, und sie darf deshalb auch nicht mit Zeitreihen zu den Stimmenanteilen sonstiger Parteien vergangener Wahlen verglichen werden, insbesondere nicht, wenn diese Wahlen schon sehr lange zurück liegen.

Die Situation heute ist eine völlig andere, und wir tun gut daran, die Fünf-Prozent-Hürde nicht vorschnell abzuschaffen. Denn es muss vermieden werden, dass Parteien mit einem einzigen Thema (wie etwa die AfD) zu leicht und zu schnell in die Parlamente einziehen. Parteien sollten sich dem (mühsamen) Prozess unterziehen, ein Programm zu entwickeln, mit dem sie in den Parlamenten anschluss- und koalitionsfähig werden.

Unsere Demokratie sollte nicht die schnelle Bildung von Splitterparteien begünstigen, die einseitig und stur nur die Interessen einer ganz bestimmten Klientel vertreten.

Soziale Medien wie Facebook, Twitter oder YouTube erleichtern in nie zuvor gekannter Form die Artikulation und Verbreitung von Meinungen und in der Folge die Bildung von Gruppen bis hin zu politischen Parteien. Das aber könnte zum Problem werden, wenn die Fünf-Prozent-Hürde abgeschafft wäre. Denn dann könnte aus einer Stimmungslage heraus die Idee aufkommen, eine neue Partei zu gründen, wenn sich abzeichnet, dass eine größere Menge an Menschen sich für oder gegen ein bestimmtes Thema bzw. Vorhaben mobilisieren lässt.

Einen kleinen Vorgeschmack darauf liefert uns ein aktueller Fall aus Frankreich: Dort wurde im September ein Juwelier in seinem Geschäft in Nizza überfallen. Anschließend erschoss dieser einen der beiden Diebe auf der Flucht (durch einen Schuss in den Rücken). Der Fall wurde von den Medien aufgegriffen und diskutiert: Darf man auf einen flüchtigen Täter schießen, selbst wenn man von diesem gar nicht mehr bedroht wird? Eine “Antwort” auf diese Frage zeigte sich schnell auf Facebook, wo anonym eine Seite eingerichtet wurde, auf der man sich mit dem Juwelier solidarisch zeigen konnte. 1,6 Mio. Menschen taten dies, sehr zum Erstaunen der französischen Politik und Justiz.

Das Beispiel mag extrem erscheinen, es zeigt aber im Ansatz, welche (Signal-) Wirkung heute von sozialen Medien ausgehen kann. Unsere Demokratie muss das einkalkulieren und ihre Sicht auf die Fünf-Prozent-Hürde weiter entwickeln.

In diesem Sinne interpretiere ich die 15,7 % an Stimmen, die in dieser Legislaturperiode nicht im Bundestag vertreten sein werden, nicht als Ausdruck eines akuten Problems, sondern als Ergebnis einer neueren Entwicklung, bei der auch die Wähler dazu lernen müssen: Wenn heute Parteien sowohl in den traditionellen Medien als auch in den neuen sozialen Medien ein breites Echo finden, bleibt ihre Wahl dennoch mit dem Risiko des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde behaftet. Das gilt sowohl für junge Parteien wie die AfD, als auch für Parteien mit großer Tradition wie die FDP.

Entscheidend ist nicht, dass jede Wahlstimme letztlich auch im Parlament vertreten ist. Entscheidend ist vielmehr, dass sich Parteien zur Wahl stellen können. Das knappe Scheitern etwa der AfD war sicher nicht vergeblich, sondern wird seine Nachwirkungen haben.

Eine Bestätigung meiner These sehe ich im Wahlergebnis der Piraten. Diese Partei hat die Fünf-Prozent-Hürde weit verfehlt, obwohl sie in den vergangenen Jahren in mehrere Länder-Parlamente Einzug halten konnte. Das Problem der Piraten liegt wohl darin, dass sie über ihre vielversprechenden Anfänge nicht recht hinausgekommen sind und ihnen bei der Bundestagswahl die Antworten auf wichtigen Politikfeldern fehlten.

Zum Teil sind die Piraten dabei auch Opfer ihres Fortschritts- und Technik-Glaubens geworden. Denn die diversen Online-Plattformen, die in der Partei zum Einsatz kommen, erlauben zwar endlose Debatten, helfen aber kaum bei der Konsensfindung. Ohne Konsens und Kompromiss aber ist Politik nicht möglich. Die Wähler haben das gesehen und die Piraten in die Warteschleife geschickt. Dank der Fünf-Prozent-Hürde haben die Piraten jetzt Zeit, sich neu zu formieren oder auch in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

In der Summe sehe ich die Fünf-Prozent-Hürde als ein nach wie vor wichtiges Element unserer Demokratie. In Zeiten der schnellen digitalen Kommunikation und einer hohen Meinungs-Fluktuation bildet sie eine Barriere im positiven Sinn, weil sie unsere Parlamente vor Schnelllebigkeit, politischen Modetrends und einer kleinteiligen Klientelpolitik schützt.

 
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