#Akzeptanz

Netzpolitik: Das Ende einer Ära

von , 24.9.13

Ich habe 2005 mit dem Bloggen angefangen. Zunächst war es reines Ausprobieren, vielleicht der Beginn eines lustigen Hobbys. Geändert hat sich das zur Bundestagswahl. Ihr erinnert euch: die, wo Schröder abgewählt wurde und in der Elefantenrunde besoffen rumpöbelte. Vor allem im Wahlkampf und schließlich zur Wahl intensivierten sich die Debatten in den Blogs, überschlugen sich die Analysen, Thesen und Argumente. Normale Leute tauschten sich da auf hohem Niveau aus und man konnte live dabei sein – beim politischen Diskurs. “Diskurs”, dieses Abstraktum wurde anfassbar, erfahrbar. So etwas hatte ich bis dato noch nicht gesehen.

Ich begriff damals zum ersten Mal, welche enormen Möglichkeiten für die Politik im Internet schlummerten, und wie relevant das alles eines Tages mal sein könnte. Ich begann, die Sache ernst zu nehmen.

Eine Bundestagswahl später – 2009 – sah alles ganz anders aus. Ich war Mitorganisator einer Konferenz namens Atoms & Bits in Berlin, direkt zum Wahlwochenende. Wir wollten all die neu aufkommenden Schnittstellen der digitalen mit der analogen Welt – vom 3D-Drucker bis zum Coworkingspace – unter die Lupe nehmen. Ich organisierte den Track Politik und hatte unter anderem eine Podiumsdiskussion ins Leben gerufen, die der Frage nachgehen sollte, wie man die neue digitale Schwungmasse in konkrete Politik kanalisieren konnte.

Mein damaliges Bauchgefühl zur politischen Relevanz des Netzes war inzwischen einer Gewissheit gewichen. Der Kampf gegen Zensursula, der da aus dem Nichts zu einer (aus damaliger Sicht) gigantischen Woge des Protestes emergierte, ließ uns von einer neuen Politik träumen. Wir wussten nur noch nicht, von welcher.

Die Piraten, bereits 2006 gegründet, erschienen 2009 das erste Mal als realistische Machtoption auf der Bildfläche. Aber nicht nur das: Auch die Aktivisten glaubten, die neu entdeckten Superkräfte in politischen Einfluss ummünzen zu können. Netzpolitik.org wurde zu einem der meistgelesenen Blogs, und allen Parteien saß der Schock über die Netzmacht tief in den Knochen.

Die Wahl selbst ließ die Euphorie kurz abkühlen. Merkel wurde bestätigt, die Vor- und Nachteile von Schwarz-Gelb zur großen Koalition wurden diskutiert. Den Piraten wurde mit den 2% immerhin ein kleiner Achtungserfolg attestiert. Keiner war zufrieden mit dieser Wahl, aber niemand blies deswegen wirklich Trübsal. Denn wir wussten ja, wo es in Zukunft hingeht. Das alles war ja nur der Anfang.

Bei der nächsten Wahl, dachte ich und trank mein Bier aus, bei der nächsten Wahl wird alles anders.

Und in der Tat. Die Netzsperren wurden, obwohl bereits beschlossen, aus Angst vor der mächtigen Netzlobby beerdigt. Leutheusser-Schnarrenberger achtete peinlich darauf. jedem CDUler, der mit der Vorratsdatenspeicherung um die Ecke kam, sofort auf die Patschen zu hauen. Netzpolitik war en vogue, alle Parteien gründeten Arbeitskreise und Lobbybeiboote zum Thema, von der Regierung gab es eine eigene Enquetekommission.

Die Piraten eilten von Wahlerfolg zu Wahlerfolg, und Tatort-Autoren und andere Besitzstandswahrer schrieben offene Briefe, aus Angst um ihre Urheberrechtspfründe. Schließlich stoppte die Netzszene noch ein internationales Handelsabkommen – wo geht’s hier zur Weltherrschaft?

Nur ein Jahr später stehen wir da, wieder war Bundestagswahl, und das Ergebnis ist erschütternd. Die Regierung Merkel hat schließlich doch netzfeindliche Gesetze wie das Leistungsschutzrecht durchbekommen, und es hatte bei der Wahl keinen Effekt. Der digitale Überwachungs-GAU war kurz vor der Wahl eingetreten und er hatte, trotz medialem Dauerfeuer, keinen Effekt. Die Piraten wurden auf ganzer Linie nicht mehr ernst genommen und “steigerten” sich um 0,2% zur letzten Wahl auf jämmerliche 2,2%.

Unsere Diskurse, unsere Belange, unsere Sicht auf die Welt kam bei dieser Wahl nicht vor, nicht im Geringsten. Vermutlich hatte der Deutsche Ruderverein einen größeren Impact auf diese Wahl als die Netzgemeinde.

Es ist das Ende einer Ära. Weitergehen wie bisher wird es wohl nicht. Netzpolitik in der jetzigen Konzeption ist tot. Eine Politik aus dem Netz, für das Netz, als reine Selbstbespiegelung der Interessen der Netzgemeinde hat ausgespielt.

Hier müssen jetzt eingehende Analysen stattfinden: Ist Post-Privacy bereits so eine Gesellschaftsnormalität, dass die Prism-Debatte nicht verfängt? Ist es ein deutsches Phänomen, das Netz und seine Zukunft weniger wichtig zu nehmen, oder liegt es an der Demokratie? Ist die Netzgemeinde einfach nicht anschlussfähig für die neue Generation und andere Interessengruppen?

Haben wir versagt: organisatorisch, ideologisch, personell? Was ist das eigentlich, was da am Boden liegt? Eine Idee, eine soziokulturelle Gruppe, eine Haltung, ein Tool?

Klar ist, die Politik hat ihren Respekt vorm Netz verloren. Viel Getöse, nichts dahinter. Auch Shitstorms bestehen nur aus Dünnschiss. Es wird jetzt schnell gehen, ob mit der großen Koalition oder ohne: Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, mehr Überwachung, ein Trojanergesetz werden sicher kommen, Netzneutralität können wir uns in die Haare schmieren, und vielleicht können sich die Urheberlobbyisten noch mit Three-strikes oder anderem Ekelquatsch durchsetzen. Wer sollte sie aufhalten? Willkommen beim Rollback, bitte anschnallen.

 
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