##btw13

Fünf Prozent

von , 23.9.13

Ich freue mich, dass sowohl AfD als auch FDP nicht im Bundestag vertreten sind, aber die Fünfprozenthürde hat bei dieser Wahl ihre Existenzberechtigung verloren. Schauen wir uns einmal das vorläufige Endergebnis an:
 

Vorläufiges Endergebnis, Grafik: ARD

Grafik: ARD

 

Demnach haben wir mit der AfD und der FDP zwei Parteien, die knapp an der Fünfprozenthürde scheitern, und mit den Piraten eine, die recht deutlich scheitert. Die weiteren Bewerber vereinen immerhin 4,1 Prozent auf sich. Jetzt könnte man sich freuen, dass damit die Fünfprozenthürde ihren Zweck erfüllt hat, denn die landläufige Begründung für sie ist ja, Nazis aus den Parlamenten herauszuhalten und klare Regierungsbildungen zu ermöglichen.

Das Problem dabei ist aber, dass damit insgesamt 15,7 Prozent der Wahlstimmen nicht im Bundestag vertreten sind. 6.855.044 Menschen gingen zum Wahllokal, machten ihr Kreuz und haben mit ihrer Stimme keinen Einfluss auf die nächsten vier Jahre nehmen können. Dies liegt vor allem an FDP, AfD und den Piraten, diese vereinen 11,7 Prozent der nicht vertretenen Stimmen auf sich.

Das führt zu handfesten Legitimationsproblemen des demokratischen Systems und liegt deutlich über den Ergebnissen der bisherigen Bundestagswahlen. 2009 entfielen etwa nur 6 Prozent der Stimmen auf “Sonstige”, 2005 waren es 4 Prozent, 2002 waren es 7 Prozent und 1998 5,9 Prozent. Ein kleiner historischer Vergleich: 1972 waren es 1 Prozent, 1980 waren es 1,9 Prozent. Die kompletten historischen Wahlergebnisse gibt es bei Wahlrecht.de.

Ebenfalls problematisch ist die Tatsache, dass durch die Fünfprozenthürde sowohl Wahlentscheidungen als auch die Regierungsbildung komplett durcheinander geworfen werden. Das “taktische Wählen” hat für die FDP etwa bei der letzten Landtagswahl in Niedersachsen gut geklappt und sie klar mit Hilfe von Leihstimmen über die Hürde katapultiert. Jetzt hat es nicht geklappt, aber mit FDP und AfD im Parlament würde jetzt keine absolute Mehrheit für die CDU im Raum stehen. Es würde auch nicht für eine schwarz-gelbe Koalition reichen.

Auch das Argument, dass die Fünfprozenthürde ein funktionierendes Parlament ermögliche, da es eine Zersplitterung in zu viele nicht kooperierende Kleinparteien verhindere, ist problematisch. Unser derzeitiges Wahlsystem und vor allem das aktuelle Ergebnis schaffen keine klare Koalition. Eine Zersplitterung in viele Parteien, wie etwa in der israelischen Knesset, sollte sicherlich verhindert werden, ist aber ein Produkt des politischen Systems und nicht der fehlenden Hürde.

 

Bild: FireJeff, Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Grafik: FireJeff, Wikipedia, CC BY-SA 3.0

 
Das größte Problem ist aber, dass der Wählerwille in zweierlei Hinsicht nicht abgebildet wird: Zum einen sitzen Parteien, die nur 4,9 Prozent aller Stimmen erhalten, schlicht und einfach nicht im Parlament. Diese Stimmen sind dann “verloren”. Zum anderen führt dies zu deutlich veränderten Mehrheitsverhältnissen im Parlament. Bei der jüngsten Landtagswahl in Bayern hätte die CSU ohne Sperrklausel nicht die absolute Mehrheit erreicht:
 

Wenn man die tatsächliche Stimmenverteilung auswertet, sieht der Landtag deutlich bunter aus. In diesem Fall wären auch FDP (6 Sitze), Bayernpartei (4 Sitze), Die Linke (4 Sitze), ÖDP (4 Sitze), Piraten (4 Sitze), Reps (2 Sitze), Die Franken (1 Sitz) und die NPD (1 Sitz) vertreten.

 

Sitzverteilung Bayern ohne 5%-Hürde, Grafik: C. Hufgard

Sitzverteilung Bayern ohne 5%-Hürde, Grafik: C. Hufgard

 
Dies ist kein bayerisches Problem: Momentan regieren in Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein Regierungskoalitionen mit absoluter Mehrheit, die weniger als 50% der Stimmen gewinnen konnten. Gleichzeitig gibt es für Parteien nationaler Minderheiten Ausnahmen von der Sperrklausel, was vor allem Sorben und Dänen hilft, aber etwa nicht den zahlenmäßig deutlich stärkeren Deutsch-Türken. Das führt zu handfesten Problemen der demokratischen Legitimation.

Die Grenze ist dabei sogar relativ willkürlich gezogen: Bei den Europawahlen gilt demnächst eine Dreiprozenthürde, und die meisten Länder haben Sperrklauseln zwischen 2 und 5 Prozent. Die Niederlande gönnen sich eine Sperrklausel von 0,6 Prozent, ohne dass der Staat dort zusammengebrochen ist, während die Türkei sich eine von satten 10 Prozent leistet.

Das zeigt auch den Machtaspekt dieser Klausel: Mit einer Zehnprozenthürde wäre Deutschland eine Zweiparteiendemokratie, mit einer Vierprozenthürde eine Sechsparteiendemokratie.

Momentan sind wir eine Vierparteiendemokratie. Zu begründen ist das nur schwer. Vor allem, wenn gerade mal 0,6 Prozent zwischen einem Parlament mit 4 oder 6 Parteien liegen. Die Landtagswahl in Hessen hat auch gezeigt, dass diese Entscheidungen haarscharf ausfallen können: Dort zog die FDP mit 5,03 Prozent der Stimmen doch in den Landtag ein. 0,03 Prozent der Wählerstimmen sind gerade einmal 964 Personen.

Fazit:
In einem sich deutlich veränderndem Parteiensystem sollten wir wirklich über die Fünfprozenthürde diskutieren. Auch, wenn sie die FDP und die AfD ins Parlament bringen würde, 15 Prozent aller WählerInnen auszusperren, ist undemokratisch.

Die Wahlbeteiligung liegt bei 71,5 Prozent, damit haben 28,5 Prozent der BürgerInnen ihre Stimme nicht abgegeben. Dagegen gibt es groß aufgezogene Programme, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Über die 15 Prozent, die zur Wahl gegangen sind, aber genauso viel Einfluss auf die Wahl hatten, redet keiner.

 
Crosspost von Schmalenstroer.net

 

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