#Absatzpreise

Wie wir über die Spekulation mit Nahrungsmitteln diskutieren

von , 11.9.13

Gegner wie Befürworter haben empirische Evidenz für ihre Argumente und werfen der jeweils anderen Seite vor, das Offensichtliche nicht zu sehen. Ich habe lange mit einer Seite sympathisiert und die Vertreter der Gegenposition entsprechend für Ignoranten gehalten. Eine eingehendere Beschäftigung mit dem Thema Rohstoffe in den letzten Monaten hat allerdings dazu geführt, dass mir die anderen Argumente durchaus verständlicher wurden.

Inzwischen hat sich bei mir der Eindruck durchgesetzt, dass sich beide Seiten komplett missverstehen: Wie übrigens auch in anderen Themengebieten – z. B. der Finanzkrise – haben wir eine Kakofonie aneinander vorbeiredender Experten bekommen, bei denen man oftmals den Eindruck hat, ihre Statements dienten eher der eigenen Profilierung als der Klärung von Sachfragen.

Deswegen möchte ich im Folgenden kurz erläutern, welche Argumente die beiden Seiten unterstützen, und warum sich diese nicht ausschließen.

 

Was für die Befürworter spricht

Warentermingeschäfte gibt es schon seit Tausenden von Jahren. Bis vor Kurzem ist aber noch niemand auf die Idee gekommen, dass diese Geschäfte die Nahrungsmittelversorgung negativ beeinflussen oder moralisch verwerflich sein sollen. Im Gegenteil: Spekulanten nehmen an den Warenterminbörsen die Gegenposition zu Landwirten ein, die sich langfristig Absatzpreise sichern wollen. Dies schafft Planungssicherheit für Investitionen in der Landwirtschaft.

Zudem geht seit einigen Jahrzehnten der Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung deutlich zurück. Darüber hinaus haben diverse empirische Untersuchungen keinen langfristigen Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelspekulation und Hunger gefunden.

 

Was für die Gegner spricht

Im letzten Jahrzehnt ist es an den globalen Terminmärkten für Nahrungsmittel zu extremen Preisausschlägen gekommen. Diese Ausschläge waren vor allem durch Finanzströme verursacht und haben – zumindest 2011 – die Nahrungsmittelversorgung für arme Länder massiv erschwert. Unten sind die Weltmarktpreisentwicklungen für einige der wichtigsten Agrarrohstoffe anhand des IMF-Index beispielhaft dargestellt.
 

IMF-Index Agrarrohstoffe, Bearbeitung: K.-H. Thielmann mit Daten des Internationalen Währungsfonds IWF

Grafik: K.-H. Thielmann mit Daten des Internationalen Währungsfonds IWF

 
Wie kann es sein, dass beide Seiten gute Argumente haben, obwohl sie sich scheinbar grundsätzlich widersprechen?

Das erste Verständnisproblem ergibt sich aus der Perspektive. Während die Gegner sich auf einen spezifischen Zeitraum mit einer extremen Marktanomalie fokussieren und dessen Wiederholung fürchten, betrachten die Befürworter vor allem längere Zeiträume, in denen sich Marktverwerfungen auch wieder ausgleichen.

Das zweite, viel grundsätzlichere Problem sowohl bei Gegnern wie Befürwortern ist die prinzipielle Begriffsverwirrung von Nahrungsmittelspekulation mit anderen finanzmarktgetriebenen Transaktionen an den Warenterminmärkten.

Gegner der Nahrungsmittelspekulation definieren diese i.d.R. relativ weit als jede Finanztransaktion in Rohstoffen, während das Verständnis der Befürworter sich zumeist relativ eng auf traditionelle Spekulation bezieht. Dies ist wichtig, weil in den vergangenen Jahren Rohstoffe – und damit auch Agrarrohstoffe incl. Nahrungsmittel – als Kapitalanlage von institutionellen Investoren entdeckt worden sind.

Die Suche nach hoher Rendite ist als Grund für Rohstoffinvestments für viele Anleger in den Hintergrund getreten. Korrelationsanalysen der Investmentbanken stellten Rohstoffe als eine Anlageform dar, die mit traditionellen Finanzmarktanlagen wie Aktien oder Renten nur eine geringe Korrelation auswiesen. Somit erschienen Rohstoffe als ideales Instrument der Risikostreuung.

Das Paradoxe an den jüngsten Verwerfungen an den Märkten für Agrarrohstoffe ist, dass sie eben nicht durch an kurzfristigen Gewinnen orientierte Spekulanten verursacht wurden, sondern von langfristig ausgerichteten Institutionen, die vor allem das Risikoprofil ihrer Anlagestruktur verbessern wollten. Der “Flow of Funds” von Pensionsfonds, Versicherungen und Family Offices hat die Rohstoffpreise nach oben getrieben – nicht die klassische Rohstoffspekulation. Diese hat sich vielleicht an den Trend angehängt und damit auch verstärkt, ihn aber nicht ausgelöst.

Derzeit deutet allerdings viel darauf hin, dass eine solche Diversifikation in Rohstoffe auf falschen Annahmen beruht: Die langfristigen realen Renditen für viele Agrarrohstoffe sind negativ; die Korrelationen zwischen Rohstoffen und anderen Anlageklassen erwiesen sich in sehr langen Betrachtungszeiträumen als instabil.

Welche Konsequenzen ergeben sich jetzt für die öffentliche Debatte um Finanzgeschäfte mit Agrarrohstoffen?

 

1.

Die Befürworter sollten anerkennen, dass Finanzmarktströme Nahrungsmittelpreise und damit auch die Lebensumstände armer Menschen stark negativ beeinflussen können. Die extreme Volatilät der Finanzmärkte hat sich seit 2008 auch auf die Märkte von Agrarrohstoffen übertragen.

Dies ist grundsätzlich eine bedrohliche Entwicklung für Menschen, die am Existenzminimum leben. Durch Flow of Funds verzerrte Agrarpreise führen übrigens nicht nur zu sozialen Problemen, sondern setzen auch – ganz unabhängig von moralischen Überlegungen – falsche Anreize für realwirtschaftliche Investitionen. Auch Landwirte benötigen halbwegs stabile Planungsbedingungen.

 

2.

Die Gegner sollten gleichfalls lernen, dass ihre Sichtweise von durch Gewinngier getriebener rücksichtsloser Preistreiberei als einzigem Grund von Finanzmarktströmen zu simpel ist. Sie müssen anerkennen, dass die Motivation für finanzielle Agrarinvestitionen nicht nur im Profitstreben liegt, sondern dass gerade im letzten Jahrzehnt andere Faktoren ausschlaggebend waren.

 

3.

Für mich ist die Evidenz relativ groß, dass gerade die nichtspekulativen Kapitalströme den größten Schaden verursachten. Dies erklärt auch, warum beide Lager im Grunde recht haben und nur aneinander vorbei argumentieren. Eine lagerspezifische Konfusion von Spekulation mit anderen Finanzmarktströmen führt bei Gegnern wie Befürwortern zu einer starken Verengung ihres Blickwinkels.

Beide Seiten definieren den Begriff “Spekulation” anders, und weil sie den gleichen Begriff für unterschiedliche Sachverhalte verwenden, können sie sich nicht verstehen und auch zu keiner Lösung kommen.

 

4.

Die klassische Spekulation kann manchmal nützen – wenn sie Landwirte absichert -, und manchmal schaden – wenn sie Flow of Funds verstärkt. Dieses doppelte Gesicht der Spekulation ist aber nichts Neues und an den Warenterminmärkten schon seit den Anfangstagen bekannt.

Mir – da habe ich die ökonomische Theorie und die überwiegende Anzahl von empirischen Untersuchungen auf meiner Seite – erscheint langfristig der gesamtwirtschaftliche Nutzen weit höher als der potenzielle Schaden. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es immer wieder zu schwierigen Situationen kommen kann, wenn der Herdentrieb sich durchsetzt und dann der Markt versagt. Und bei Nahrungsmitteln sind in der Tat die Konsequenzen eines Marktversagens gravierender als in anderen Märkten.

 

5.

In den letzten Jahren haben wir fragwürdige Preisexzesse bei Nahrungsmitteln gesehen. Die Gegener von Rohstoffspekulation tendieren dazu, diese speziellen Ereignisse zu verallgemeinern, die Befürworter neigen dazu, sie zu marginalisieren. Beide Sichtweisen greifen aber zu kurz und gehen damit am eigentlichen Problem vorbei.

Weltweit folgen immer größere Kapitalströme einem Herdentrieb und generieren damit abwechselnd bei Immobilien, Staatsanleihen, Rohstoffen, Kunst, Schwellenländern, etc. temporäre Preisblasen, die dann irgendwann mit einem lauten Knall wieder platzen. Die globalen Waren- und Finanzmärkte – incl. derjenigen bei Nahrungsmitteln – sind somit immer weniger in der Lage, effiziente Preise zu bilden.

 

6.

Wenn Märkte nicht funktionieren, darf man staatliche Eingriffe nicht ausschließen. Allerdings muss man damit sehr vorsichtig sein. Insbesondere Verbote könnten mehr schaden als nützen. Ein Verzicht auf Warentermingeschäfte wäre, als wolle man einen Beinbruch mit der Totalamputation behandeln.

 

7.

Nichtsdestotrotz sind kreative Lösungen gefragt, um Hunger als Folge von Finanzmarktgeschäften zu verhindern, und diese Lösungen müssen global koordiniert werden.

Die Schweizerische Nationalbank hat 2011 bei der Verteidigung des Schweizer Franken vorgemacht, wie man eine irre in eine Richtung stürmende Finanzmarkherde zur Vollbremsung zwingt. Wenn Märkte sich von den Fundamentaldaten lösen, lässt sich mit Interventionen sogar Geld verdienen. Nur leider fühlt sich beim Thema Nahrungsmittel von den unzähligen supranationalen Organisationen keine wirklich zuständig. Hier müsste man aber ansetzten, wenn man das Thema Hunger als Folge von Finanzmarktgeschäften nachhaltig angehen will.

 

8.

Diejenigen, die Agrarrohstoffe als lukrative Langfristanlage bzw. als Risikoabsicherung sehen, sollten einmal ernsthaft ihre Annahmen zu Renditen und Risiko auch mit Zeitreihen überprüfen, die mehr als 30 Jahre zurückgehen. Ich fürchte, sie erwartet eine unangenehme Überraschung.

 
Preisexzesse bei Agrarrohstoffen nützen weder armen Menschen noch Anlegern und nur einer Minderheit der Spekulanten. Eine differenzierte Diskussion, warum die Kursausschläge in den letzten Jahren so extrem waren, findet bisher weder bei Befürwortern noch Gegnern der Nahrungsmittelspekulation statt. Wenn man aber nur aneinander vorbeiredet, wird man keine konstruktive Lösung der entstandenen Probleme finden.

Dies ist sehr schade. Laut UN-Prognosen soll die Weltbevölkerung bis 2050 um 2,4 Mrd. ansteigen und sich damit um ein Drittel erhöhen. Funktionierende Agrarmärkte werden essenziell sein, um diese Menschen zu ernähren. Das Thema ist viel zu wichtig, um es voreingenommenen „Experten“ als Rechtfertigung für Profilierungsversuche zu überlassen.

 

Dieser Text erschien ursprünglich auf Dirk Elsners Blick Log. Karl-Heinz Thielmann ist Diplom-Volkswirt und berät Unternehmen, Vermögensverwaltungen und Privatpersonen in Kapitalmarktfragen.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.