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Wahlplakate: Meine Idee, deine Idee, keine Idee

von , 6.9.13

 

 
Schon jetzt kann die Kommunikationsberatungs-Branche der kleinen Berliner Agentur Kornberger & Partner dankbar sein: Am 22. August schaltete die auf politische Kommunikation spezialisierte Mannschaft das Blog wahlplag.de online.

Durchaus gewünscht öffentlichkeitswirksam klagen k+p hier an: Ihre ehemals gepitchten und abgelehnten Konzepte seien in der aktuellen Bundestagswahl umgesetzt worden – von anderen Agenturen. Die Kollegen werden des Ideen-Klaus beschuldigt.
 

These 1

Die Beschuldigungen in den drei Fällen Grüne, Linke und SPD veranschaulichen ein zentrales Problem politischer Kommunikation heute – unabhängig von Schuld oder Unschuld vermeintlicher Konzeptklauer.

 
Nehmen wir zunächst an, die auf wahlplag.de gezeigten Ideen „Und du?“, „rote Männer“ und „WIR“ sind geklaut – eines sticht sofort ins Auge: In allen drei Fällen setzen die Diebe sie für andere Kunden ein (im Fall der SPD für die Gesamtpartei statt für die Bundestagsfraktion). Aber wenn die Botschaften eines anderen Kunden in denselben Formen vermittelt werden, wie gut passen die Formen dann eigentlich zum Kunden? Wie eignen sie sich für Abgrenzung und Markenaufbau? Was nach Marketingsprech klingt, holt vielmehr das Problem ans Licht:

 

Laut und leer

Die meisten Kommentare auf wahlplag.de halten die Grünen für schuldig: Das Key Visual und der Claim „Und du?“ der aktuellen Bundestags-Wahlkampagne scheint geklaut. Er wurde zuerst von k+p entwickelt für die IG Metall-Kampagne „Operation Übernahme“.

Ein Kreis setzt sich durch seine geschlossene Form vom Rest des Bildmotivs ab; unifarben voll ausgefüllt, wird dieser Effekt noch verstärkt. Er vermittelt dem Betrachter – akademisch formuliert, formal-ästhetisch bis subsymbolisch-unbewusst – das Gefühl, sich als Einzelner, frei, in der Umwelt zu positionieren bzw. zu verhalten. Vor allem frei von Zwängen, so frei, wie der Kreis auf der Bildfläche schwebt.

Der Copytext verbindet ihn mit dem Betrachter – im Kreis steht in großer Type „Und du?“. So greift der Text die befreiende Botschaft durch die persönliche Ansprache und die Frageform auf. Auf dem Bildmotiv des IG Metall-Plakats steht eine junge Frau neben einer Maschine in einem ansonsten leeren Raum und schaut uns entschlossen an. Ihre Mimik erinnert an ein Lehrbuch für „selbstbewussten und entschlossenen Auftritt“. Neben dem Copytext „Angebildet“ am unteren Bildrand erklärt ein Textkasten in kleiner Type das Bildmotiv: Tina tritt in die IG Metall ein, um sich gegen ihre Entlassung zu wehren. Wehren wird im Kreis (in kleinerer Type) wiederholt: „Tina wehrt sich. Und du?“.

Bildmotiv, Gestaltung und Text des Plakats fordern als dominante Botschaft den Azubi aus der Zielgruppe auf, sich zu wehren. Das Plakat vermittelt Selbstvertrauen und aktiviert. Aber es sagt uns mit keinem Pixel, warum wir uns ausgerechnet zusammen mit der IG Metall wehren sollten, und nicht zum Beispiel mit den Grünen.

Das Plakat gibt dem Azubi kein Argument an die Hand, warum er Mitglied der IG Metall werden sollte, um sich vor seiner Entlassung zu schützen. Das ist nicht trivial: Das Plakat stellt eine These auf, ohne sie zu begründen. Es weckt Emotionen und hofft, diese mögen schon irgendwie auf den Absender IG Metall übertragen werden.

 

Vom Stammtisch bis zum Elfenbeinturm

 

These 2

Branchenübliche politische Kommunikation unterschätzt den Verstand ihrer Zielgruppe.

 
Vom Stammtisch über den bloß gewissensgebundenen Bundestagsabgeordneten bis zum Forscher im Elfenbeinturm sind sich alle einig: Guten Argumenten ist zuzustimmen und im Zweifel die eigene Position zu räumen. Der Philosoph Jürgen Habermas formuliert nach jahrzehntelanger Analyse politischer Öffentlichkeit als „unhintergehbare Voraussetzung“ für das Zusammenleben in einer Gruppe den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“. Selbst in der thesenreichen wie argumentarmen Konsumgüter-Werbung dürfte dieses Urgesetz der Kommunikation gelten, mithin muss es in der Kommunikation politischer Fragen als unstrittig gelten.

Auch die Grünen fragen nun „… und du?“. Sie setzen ebenso auf die stimmige Wirkung der Text-Bild-Kombination „Kreis + persönliche Ansprache + Fragezeichen“. Diese Wort-Bild-Marke markiert ihre Kampagne und fragt den Betrachter auf jedem Plakatmotiv zu einem anderen Thema nach seiner Meinung. All diese rhetorischen Fragen zu den Themen der Kampagne bleiben dabei Allgemeinplätze: „Faire Mieten statt Renditen“, „Mit Essen spekuliert man nicht“, „Mensch vor Bank“ – hier würden selbst Anhänger des neoliberalen Glaubensbekenntnisses nicken.

Das Grünen-Motiv appelliert durch das „…und du?“ wie das IG-Metall-Motiv an das Bauchgefühl des Betrachters. Die Plakate vermitteln keine neuen Inhalte: So wenig man im IG-Metall Plakat etwas über die Auswirkungen des Organisierungsrads auf die Tariflöhne und Beschäftigungszahlen erfährt, so wenig informiert das Grünen-Plakat über die Anreizstrukturen von Lebensmittelspekulationen oder Zusammenhänge zwischen Energie-, Sanierungs- und Mietkosten – geschweige denn, über Lösungen, die die Grünen in diesen Politikfeldern vorschlagen.

Die Idee „… und du?“ ist also eine ästhetische, und sie zielt auf die Aktivierung bzw. das Involvement des Betrachters. Als solche kann sie auf jeden beliebigen Absender übertragen werden, zum Beispiel auf die CDU im aktuellen Wahlkampf: „Solide Finanzen sind wichtig. Weil wir an morgen denken“ – und du?“. Oder auch „Ich bin ein Berliner – und du?“; „Katzen würden Whiskas kaufen – und du?“.

Eine Idee, die so wenig auf den Kunden und sein Anliegen abgestimmt ist, sollte eher als formalästhetisches Werkzeug gelten. Eine Frau mit sexy Rundungen in ein Motiv einzubauen, würde heute auch niemand mehr als eigene Idee reklamieren.
 

These 3

Die bloße Auslösung von Emotionen verringert die Leistungsfähigkeit unserer politischen Debatte.

 
Ähnlich wie „… und du?“ funktionieren auch die „roten Männer“ aus dem zweiten vermeintlichen Ideenklau auf wahlplag.de: Die simplen Spandexanzüge bringen das Problem der branchenüblichen politischen Kommunikation metaphorisch auf den Punkt: Mit der Ganzkörper-Verkleidung demonstrieren die Sympathisanten einer Gruppe allen Andersdenkenden ihre Geisteshaltung und, falls die Marke etabliert ist, das tragende politische Konzept: Wir sind Rote!

Stellen wir uns vor: Alle Mitglieder aller politischen Gruppen trügen Ganzkörper-Spandexanzüge – ein enormer Mobilisierungserfolg! Doch es könnte niemand mehr Weiterentwicklungen der bestehenden roten, grünen, schwarzen Konzepte diskutieren: behindert doch der Stoff über dem Gesicht das Sprechen, verdeckt die Mimik und erschwert das Zuhören. Der Effekt allein nähme die Sinne in Beschlag und erschwerte die Debatte – selbst, wenn es Argumente zur Weiterentwicklung des Problems gäbe.

Stattdessen soll die bloße Präsenz einer bestimmten Polit-Marke, unmittelbar wirkend durch das Branding des Parteisoldaten-Körpers selbst, anstecken und für die Gruppe und ihre Lösung begeistern. Dieses Verständnis des politischen Prozesses, „Wer stärker ist, gewinnt“, führte mit Auf- und Fackel-Märschen Tausender ähnlich Frisierter und Dressierter bereits vor 80 Jahren zu großer Öffentlichkeitswirkung und einem historisch hoffentlich einmaligen Mobilisierungserfolg.

Vor diesem Hintergrund liest man auch das letzte Beispiel auf wahlplag.de mit anderen Augen: „Das WIR entscheidet.“ der SPD. Zwar wird mit „WIR“ unsere Gemeinschaft als Ganzes beschworen, aber der Fettdruck des Wörtchens wirkt subtil: Wir nehmen wahr, wer groß und stark, und wer klein und dünn ist – keine Frage, zu wem man lieber gehören möchte.

Die Demoskopin und Gründerin des Allensbacher Instituts Elisabeth Noelle-Neumann nannte diesen Anpasser-Effekt „Schweigespirale“, nachdem sie ihn in den Bundestagswahlkämpfen 1965 und 1972 beobachtet hatte.

Heute scheint selbst bei der SPD nichts übrig von Rede und Gegenrede, These und Antithese. Es regiert die Synthese bzw. Symbiose: „Das WIR entscheidet.“ So könnte auch der Claim des Vertrags der nächsten großen Koalition lauten (er wäre dann zugleich eine Argument der Klasse „offensichtlicher Fakt“).

 

Ideen überwinden

 

These 4

Wir müssen politische Kommunikation neu denken – Wissensaufbau statt Emotionsabbau, Philosophie statt Katharsis, Lehrmaterial statt Storytelling.

 
Nehmen wir abschließend den zweiten Fall an: Die auf wahlplag.de dargestellten Ideen sind nicht geklaut, sondern ein zweites Mal mit dem Gedankenschweiß der Kreativen entstanden. Dies wäre erst recht der Beweis, dass branchenübliche politische Kommunikation heute so gedacht wird: Thesen effektvoll vortragen und ein inhaltliches Vakuum hinterlassen.

Programmatisch geistert durch die Flure so mancher Agentur die witzig gemeinte Parole „Inhalte überwinden“, doch das Lachen bleibt einem im Hals stecken. Denn im argumentleeren Raum gelingt keine langfristig bindende Überzeugungsarbeit, das zeigt die wachsende Zahl der Wechselwähler. Sie folgen ihren volatilen Emotionen bis ins Wahllokal.

Das macht aber auch Hoffnung. Wenn die Mitgliederzahlen der Parteien weiter wie die Prognosefähigkeit der Demoskopen abnimmt, werden die Generalsekretäre die Demagogen unter ihren Beratern vielleicht zur Revolution treiben: „Ideen überwinden“ könnte am Ende gute Kommunikation bedeuten, also schlicht und einfach, die passende Form für eine sachpolitische Aussage zu finden. Es gilt, Sachpolitik sinnlich zu vermitteln: Mit der kommunikationswissenschaftlichen Framing-Theorie kann man von einem guten Kommunikations-Produkt fordern,

  1. ein Problem deutlich zu machen
  2. seinen Ursprung zu erklären
  3. eine Lösung aufzuzeigen
  4. das Problem zu bewerten.

Keine einfache Aufgabe – aber auf unseren Schreibtischen stehen mannigfaltige Kanäle, Displayflächen, Abspielzeiten und Zeichen-Kombinationen parat.

 

AVAAZ 2013

 

Plakatmotiv, AVAAZ 2013

Plakatmotiv, AVAAZ 2013

 
Selbst ein einzelnes Plakat kann mehrere Ansprüche einlösen, wie die Online-Werbung der jungen amerikanischen NGO avaaz.org: Auf dem Motiv „Assad loves the U.S. and Russia“ sehen wir das Problem – die im Krieg zerstörte Stadt im Hintergrund -, sowie die Ursache – den kriegführenden Präsidenten Assad im Vordergrund. Der Textkasten bewertet das Problem: „Kerry and Lavrov: Everyday you stall, he kills“, und schlägt eine konkrete Lösungsstrategie vor: „Syrians need a ceasefire now“. Die sollen die namentlich genannten amerikanischen und russischen Außenminister umsetzen. Optisch dominiert der Eye-Catcher Assad, der durch das Mittel der kognitiven Dissonanz durch das „I-love-the-United-States“-T-Shirt anregt, den Text zu lesen.

Keine Frage: Das Plakat appelliert durch den fürchterlichen Anblick der zerstörten Stadt an unsere Emotionen, und es erfasst auch nicht die Komplexität des syrischen Bürgerkriegs. Das kann der Anspruch an ein Kommunikationsprodukt unter der herrschenden Aufmerksamkeitsökonomie auch nicht sein. Aber avaaz liefert für seine These (Waffenstillstand) einen Grund (Leiden der Bevölkerung) und einen Vorschlag zur Umsetzung (John Kerrys und Ivan Lavrovs Intervention im Weltsicherheitsrat).

All das liefern die „und du?“ –Plakate von IG Metall und Grünen nicht. Das IG Metall-Plakat baut zwar eine Argumentation auf – Problem: Entlassung, Lösung: sich wehren – aber kein Wissen über sein Themenfeld, wie der positive Einfluss des Organisierungsgrads auf die Tarifleistungen für die Statistiken schlagende Argumente hätten sein können. Dagegen lehrt das avaaz-Ad zur Weltpolitik, dass die US-amerikanischen und russischen Außenminister besonders handlungsmächtige Akteure sind, die es zu gewinnen gilt.

Wenn ein Kommunikationsprodukt vom Flyer bis zum Film anregend und verständlich das für das zukünftige politische Handeln der Zielgruppe relevante Wissen vermittelt – wenn z.B. die Grünen einen ästhetischen Weg gefunden hätten, die Effekte ihres Steuermodells prägnant darzustellen – dann könnten auch Kommunikationskonzepte nicht mehr so leicht geklaut werden. Denn im Unterschied zum Wettbewerb auf Konsumgütermärkten ist das Schöne an der Politik schließlich: Wenn der Andere meine Inhalte klaut – dann hab ich schon gewonnen.

 
Patrick Fink bloggt unregelmäßig auf patrickfink.de. Offenlegung: Patrick hat in der Agentur k+p ein Traineeship absolviert.
 

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