#Gesundheitspolitik

Roboter für Demente: Digitale Gesundheitspolitik

von , 15.3.09


Stillstand in der Bewegung – das Bild des französischen Soziologen Paul Virilio für die Moderne (sein jüngstes Buch „Die Verblendung der Kunst“) passt erschreckend gut auf die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft mit dem Vergreisen umgeht. In Japan treten die Alten bereits im Bett ein Laufrad, während auf einem Monitor eine Landschaft an ihnen vorbeizieht. Dieses „Pflege-Spinning“ setzt die Hektik eines Lebens fort, das sich ohne Rast auf den Punkt des Sterbens zubewegt, ohne ihn jemals erreichen zu wollen – aber auch ohne jemals Zeit zum Leben gehabt zu haben.

Drei Millionen Euro spendet die Krupp-Stiftung für ein neues Kompetenzzentrum zur Förderung “medizintechnischer Systeme für eine älter werdende Gesellschaft an der Münchner Technischen Universität, das, wie Präsident Wolfgang A. Herrmann bei der Vertragsunterzeichnung versicherte, „angesichts der demographischen Entwicklung … einer ethischen Verpflichtung der Technikwissenschaften“ entspricht. Computerspiele sollen künftig nicht nur von Kids gespielt werden, sondern „auf spielerische Weise die geistige Vitalität erfassen und trainieren“. Dr. Kawashima lässt grüßen. Intelligente Implantate werden irgendwann jene Fähigkeiten ersetzen, die für immer verloren gegangen sind – Namen, Telefonnummern, vielleicht auch Gesichter und Körperfunktionen. Oder sie helfen schlicht als eine Art elektronische Fußfessel der Orientierung, wenn die Demenz das Woher und Wohin vergessen macht.

Nun ist gegen intelligente Technik nicht das Geringste zu sagen, wenn es nicht die einzige Strategie wäre, mit der Hilflosigkeit eines langen Lebens fertigzuwerden. Die Reform der Pflegeversicherung nähert sich nur mühsam dem Phänomen an. Soziale Fürsorge, Hilfe bei der Organisation des Alltags oder seelische Betreuung gegen Depression und Einsamkeit lassen sich nicht takten wie der Windelwechsel und werden deshalb auch nicht unterstützt. Pflegeberufe sind dramatisch unterbezahlt. Die Idee, Langzeitarbeitslose zur Betreuung von Menschen einzusetzen, die schon erfahrene Altenpfleger zum Burnout treiben, ist grotesk.

Die Leiden der „Multimorbiden“ werden mit Medikamenten ruhig gestellt, von denen viele – Herzkreislaufmittel, psychiatrische Medikamente, Antirheumamittel, Cortison – neue Symptome produzieren, weil sie unkontrollierbare Wechselwirkungen produzieren. Geriatrie, das Expertentum des Alters, verlässt die Universitätskliniken nicht, weil es draußen, in der Praxis, nicht bezahlt wird. Aber auch nur einen Neurologen oder Orthopäden zu einem Besuch im Heim zu bewegen, ist so gut wie aussichtslos. Die jüngsten Facharztstreiks zeigen einmal mehr, dass nicht das bezahlt wird, was die Ärzte leisten. Von den Hausärzten geht demnächst jeder vierte in Ruhestand. Die „Lotsen“, auf die die Gesundheitspolitik immer noch setzt, haben sich längst abgesetzt.

„Bedeutende Fortschritte an Lebensqualität“ verspricht sich Kuratoriumsvorsitzender Berthold Beitz, mit 95 Jahren beeindruckendes Beispiel für vitales Altern, durch das neue Medizintechnik-Zentrum „für eine älter werdende Gesellschaft“.

7,8 Minuten dauert zur Zeit noch der durchschnittliche Arzt-Patientenkontakt in der ambulanten Betreuung. Das entspricht laut Pflegeliste des Medizinischen Dienstes dem „Wechsel von Windel nach Stuhlgang“. Wir dürfen gespannt sein, welcher der beiden Vorgänge sind durch Digitalisierung noch optimieren lässt.

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